„Vom Werbeträger in die Köpfe: […] ungezwungen und natürlich“

Wie die Universität der Werbeindustrie die Türen zur Zielgruppe StudentIn öffnet.

Von Nina Bust-Bartels und Janina Reibold

 

Im Zuge der zunehmenden Ökonomisierung unserer Gesellschaft und Kultur unterstützt die Privatwirtschaft den Staat immer mehr bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Nicht erst seit Einführung der Studiengebühren wird die Universität zur Dienstleisterin, die Studierenden zu Kunden der Ware ‚Bildung‘. Noch vor einigen Jahren hätte kommerzielle Werbung in einer öffentlichen Bildungseinrichtung einen Tabubruch dargestellt. Doch mittlerweile wird sogar die Aldi-Werbung an den Wänden der Triplex-Mensa kaum noch wahrgenommen, passt sie doch in ihrem ästhetischen Minimalismus zum Konzept der Innenausstattung der Mensa selbst. Während die UB ihre Zusammenarbeit mit Amazon nicht gerade offen zur Schau stellt, ist das Rektorat eitel genug seine Finanzspritzen von MLP überdimensional an die Neue Uni zu hängen. Die Uni wird dadurch gleichzeitig zum „kranken Kind“, das sich – von der Rabenmutter Staat vernachlässigt – unter dem Deckmantel des „lebendigen Geistes“ in der freien Wirtschaft verkaufen muss.

 

Aldi und O2 für die „Förderung der Studierenden“ unvermeidbar?

13 Uhr, Triplex Mensa. Nach langem Anstehen endlich etwas zu Essen ergattert und dazu noch einen der schönen Plätze am Fenster bekommen, unten, wo es noch etwas ruhiger ist. Gedankenverlorenes in-die-Luft-Starren, die Diskussion des letzten Seminars noch im Ohr, die gehörten Argumente abwägend, bildet sich eine autonome Meinung heraus. Und plötzlich wie aus dem Nichts: das Bedürfnis Einkaufen zu gehen – bei Aldi. Moment mal, wo kommt das denn her, ich gehe doch eigentlich nie zu Aldi...

„Lernen, diskutieren, Meinungen austauschen, Freunde treffen – nirgendwo passiert das komprimierter als in den modernen Bildungseinrichtungen. […] Umgeben von Freunden, mit denen sich die Zielgruppe austauscht, über neue Trends redet und wo Meinungen gebildet und absorbiert werden. Hier hat Ihre Marke mit Ihrer Botschaft die Chance, vom Werbeträger in die Köpfe zu wandern und von dort weiter in die Gespräche der Zielgruppe, wo sie Teil der Meinungsbildung wird. Ungezwungen und natürlich. Hier lernen Botschaften zu reden.“

So präsentiert sich die Firma United Ambient Media AG im Internet. Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, die Werbung ihrer Kunden zielgruppengerecht zu platzieren. Für das Unternehmen Aldi scheint die Zielgruppe StudentIn interessant. Laut der United Ambient Media AG sind Studierende „Meinungsführer, sie streben nach beruflichem Erfolg und einer hohen Gehaltsklasse. Das vorhandene Einkommen dient nicht nur der Finanzierung des Studiums, sondern wird ebenso in Sport, Kleidung, Reisen, Entertainment und Partys investiert.“

In den optimal positionierten Plakatrahmen der Triplex Mensa sowie der Mensa im Neuenheimer Feld platziert United Ambient Media die Werbung ihrer Kunden. Doch wer bekommt die Einnahmen aus der zur Verfügungstellung der Mensawände? Ist doch das Studentenwerk ein Zweckbetrieb, also ein wirtschaftlich ausgerichteter Teilbereich einer gemeinnützigen Einrichtung. Das Studentenwerk ist laut §65 der Abgabenordnung nur befugt, ein Werbevehältnis einzugehen, wenn die Kooperation mit den Werbepartnern für die Erfüllung des Zwecks der Gemeinnützigkeit „unvermeidbar“ ist. Dem Studentenwerk obliegt nach dem Gesetz „die soziale Betreuung und Förderung der Studierenden“. Wieso hierfür Aldi, O2, McKinsey, Boston Consulting & Co „unvermeidbar“ sind, ist nicht mal dem Studentenwerk selbst klar, denn die Auswahl der Werbekunden erfolgt ohne Einflussnahme des Studentenwerks durch die bereits erwähnte Firma United Ambient Media: ethisch-moralische Grundsätze, die den gemeinnützigen Zielen des Studentenwerks entsprechen würden, sucht man hier vergeblich.

Als Gegenleistung für den begehrten Zugang zur Zielgruppe StudentIn „beteiligt sich die Firma United Ambient Media an den Herstellungskosten für Campus HD und an den Produktionskosten der CampusCard“, so jedenfalls das Studentenwerk gegenüber dem UNiMUT.

Das mag vielleicht wenig erscheinen, jedoch erhält das Studentenwerk von Versicherungen wie zum Beispiel der AOK und der Reiseagentur STAtravel keinerlei Gegenleistung für die zur Bereitstellung ganzer Werbestände direkt im Eingangsbereich der Hauptmensen. Die Beratung Studierender sei hier eine Serviceleistung dieser Unternehmen, so das Studentenwerk. Die Frage weshalb gerade diese Unternehmen für Gesundheits- und Versicherungsberatung sowie für Reiseplanungsberatung ausgewählt wurden, konnte oder wollte das Studentenwerk nicht beantworten.

Zwar können auch studentische Initiativen einen der begehrten Werbetische bekommen, dies erfordert allerdings das Durchlaufen eines bürokratischen Verfahrens, das von langer Hand geplant werden sollte. Auch ist es bei Betrachtung der zahlreichen in den Mensen angebrachten Verbotsschilder nicht ersichtlich, dass das „STOPP – Keine Werbung“, das bei Strafandrohung verbietet in den Räumen des Studentenwerks zu werben, nicht für studentische Initiativen gilt. Denn prinzipiell haben die Studierenden laut dem Studentenwerk „jederzeit die Möglichkeit, kostenlos zu plakatieren“. Das Studentenwerk schließt jedoch explizit „politische und religiöse Gruppen“ von diesen Möglichkeiten aus. Wer bereits einmal die schmerzliche Erfahrung erleiden musste, beim nicht ordnungsgemäß angemeldeten Flyer-Verteilen unsanft aus der Mensa befördert zu werden, weiß: Die Räume des Studentenwerks sind kein Raum für studentische Interessenvertretung.

Es würde der „sozialen Betreuung und Förderung der Studierenden“ entsprechen, die Möglichkeiten für studentische Initiativen für ihre Sache zu werben unkompliziert zu gestalten. Einen der begehrten Werbestände im Eingangsbereich dauerhaft zum Beispiel für hochschulpolitische Informationen oder den Verkauf von Theaterkarten zu nutzen, könnte eine Rückbesinnung auf die gemeinnützigen Ziele des Studentenwerks einleiten. Dann könnte das Studentenwerk in seinem nächsten Jahresbericht auch mit der „Förderung der Studierenden“ werben und müsste sich nicht auf das Herauskehren einer Umsatzsteigerung von 26% gegenüber dem Vorjahr beschränken.

Das PR-Büro des Studentenwerks steht für derartige Anregungen sicher gerne zur Verfügung.

 

UB Heidelberg verlinkt neuerdings auf amazon.de

Seit Juli 2007 bietet HEIDI eine zusätzliche Serviceleistung für literatursuchende Studierende: Neben den gewöhnlichen Informationen zu Autor, Titel und Standort wird dem Benutzer nun eine Abbildung des Buchcovers in Farbe präsentiert. Schon wollten wir die Verschwendung von Studiengebühren durch das Einscannen von sämtlichen 6,02 Millionen Titelseiten der UB anprangern und dem diese sinnfreie Tätigkeit verrichtenden Menschen unser Mitleid aussprechen, doch weit gefehlt: Dem investigativ veranlagten Studierenden öffnet sich unerwartet mit dem „Klick“ auf das Cover die Welt der Internetbuchhandlung Amazon.

Hintergrund für die Kooperation zwischen der UB Heidelberg und Amazon Deutschland ist das neu erwachte Selbstverständnis der UB als Dienstleisterin für die zahlenden Studierenden. In ihrem Wettbewerbseifer im Zuge der Exzellenzinitiative möchte die UB den Studierenden „die Detailinformationen zu den einzelnen Titeln im Onlinekatalog so differenziert und informativ wie nur möglich“ anbieten. Für die zur Verfügungsstellung des farbigen Titelbildes – das Sahnehäubchen der Detailinformation – sei Amazon „allen anderen Anbietern voraus“.

Dies erklärt jedoch noch nicht, warum die Abbildung des Titelblattes gar keine Abbildung ist, sondern in Wirklichkeit ein Link auf amazon.de, von dessen Existenz der Benutzer erst durch den „Klick“ darauf erfährt.

Man könnte meinen, dies sei Werbung, gerade weil der ahnunglose Kunde nicht gefragt wird, ob er die Seite von Amazon besuchen möchte. Während der durchschnittliche Internetbesucher mit Aussicht auf den Gewinn einer Traumreise zum „Klick“ getrieben wird, wird in Zeiten personalisierter Werbung im Internet der nach Literatur lechzende Akademiker durch den Anblick des Buchcovers verführt.
Aber schon wieder weit gefehlt: zwar klingelt, ähnlich wie bei Traumreise-in-Aussicht-stellenden-Internetanbietern, auch bei der UB die Kasse, doch gehe es der UB „nicht um eine Werbung für Amazon, sondern um eine Anreicherung des Katalogs mit dem Cover des Buches“. Der „sehr kleine vierstellige Betrag“ den die UB im Jahr von Amazon für die Zusammenarbeit überwiesen bekommt, ist im Vergleich zu den Summen, die Amazon sicherlich aus der Kooperation zieht, nicht der Rede wert.

Die UB investiert die Zuwendungen von Amazon direkt in die Anschaffung neuer Literatur, die zum Glück (noch nicht) über Amazon läuft. Generell lehnt die UB Werbung in ihren Räumlichkeiten explizit ab: Es bleibt die Hoffnung, dass die serviceleistungsorientierte Einbindung von Amazon in das Katalogsystem der UB nicht der erste Schritt ist, den Grundsatz einer werbungsfreien UB über Bord zu werfen. Nach Aussage der UB ist mit derartigen Entwicklungen jedoch nicht zu rechnen.

 

Geist durch Glanz? – „mit einer renovierten Fassade, mit modernisierten Hörsälen für den lebendigen Geist“ – unterstützt von MLP

„Die globalisierte Welt stellt Universitäten vor gewaltige Herausforderungen. Es gilt, Antworten zu finden auf die drängenden und komplexen Fragen der Zukunft. „Lebendiger Geist“ ist hierbei gefordert wie noch nie.“ so Rektor Eitel auf der Internetseite der Initiative Lebendiger Geist 2011+.

Man sollte meinen, es handele sich hierbei um Themen wie Frieden, Gerechtigkeit, den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder Ressourcennachhaltigkeit… Doch die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung universitärer Bildungseinrichtungen findet hier keinen Eingang. Liest man weiter, so wird schnell deutlich, Ziel der Reflexion über den Lebendigen Geist ist es, die neue Uni „mit einer renovierten Fassade, mit modernisierten Hörsälen, kurz, mit einem Standard, der einer exzellenten Universität würdig ist“ wieder der Zukunft zuzuwenden.

Die Initiative besitzt jedoch auch eine inhaltlich ausgerichtete Komponente. Am 16. Mai fand unter dem Titel „Feuerwerk der Sinne“ die erste inhaltliche Veranstaltung der Initiative Lebendiger Geist 2011+ statt. In einer „Wissensshow“ wurde dem Publikum Wissenschaft zum Anfassen präsentiert. Es zerbrachen sich Rektor und Oberbürgermeister gemeinsam den Kopf: „Was ist eine magische Flamme? Kann eine Gurke leuchten?“

Die Kosten für die Sanierung des Hörsaalgebäudes werden sich auf mindestens acht Mio. Euro zur Unterstützung belaufen. Das Land stellt drei Mio. Euro Unterstützung in Aussicht, wenn der Restbetrag durch die Universität Heidelberg bzw. durch Sponsoren aufgewendet wird. Nach einer großzügigen Beteiligung Manfred Lautenschlägers, Mitbegründer des Finanzdienstleisters MLP, fehlen nun noch 3,5 Millionen. Die Initiative Lebendiger Geist 2011+ hat den Auftrag, die Wirtschaft zu motivieren sich finanziell zu engagieren. Neuer Glanz also für die Neue Universität – und das fördert den „lebendigen Geist“?

Für die Verbesserung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Gebäudes wirbt an der Außenfassade ein überdimensionales Plakat mit dem „Lebendigen Geist“. Doch was hat eine Renovierung mit Geist, oder gar mit Lebendigkeit zu tun?

Auf diesem – inzwischen fast zum Bild der Uni gehörenden – Plakat wird deutlich auf den zentralen Sponsor der Renovierungskampagne, den Finanzdienstleister MLP, verwiesen. Die Marschollek, Lautenschläger und Partner AG (MLP) ist in ihrer Selbstdarstellung „der führende unabhängige Finanz- und Vermögensberater für Akademiker und andere anspruchsvolle Kunden“. Der Zugang zur von MLP bevorzugten Zielgruppe StudentIn beziehungsweise AkademikerIn gestaltet sich hier optimal. Wie auch die Werbung in anderen Teilen der Uni fließt die Werbebotschaft unterbewusst in den Alltag der Studierenden ein. Im Gegensatz zu der bei Studentenwerk und UB geschalteten Werbung, profitiert die Uni, zumindest in ihrer materiellen Existenz, deutlich von der Zusammenarbeit mit MLP. Eine Reflexion über die gesellschaftliche Verantwortung öffentlicher Bildungseinrichtungen in Bezug auf die mit ihnen kooperierenden Unternehmen findet jedoch nicht statt. Scheint doch insbesondere nach den Erkenntnissen aus der aktuellen Finanzkrise die ethische Kompetenz von Finanzdienstleistungsunternehmen fragwürdig.

Nachdem im Juristischen Seminar bereits ein Hörsaal den Namen seines Unterstützers Manfred Lautenschläger trägt, bleibt nun abzuwarten ob der Hörsaal 13 der Neuen Uni, dem sich der MLP-Mitbegründer finanziell zuwenden möchte, in Zukunft Lautenschlägerhörsaal genannt wird.

Doch hiermit nicht genug, Manfred Lautenschläger bekräftigt: „Man sollte die Verantwortung, die einem auferlegt ist, wahrnehmen und alle Möglichkeiten, die man finanziell hat, nutzen, um zu helfen.“ Mit Gesamterlösen der MLP von 125,5 Millionen Euro im ersten Quartal 2009 scheinen die Möglichkeiten des Manfred Lautenschläger bei weitem nicht ausgeschöpft – vielleicht bekommen wir ja demnächst eine Lauti-Mensa und eine Manni-Bibliothek… Die Worte des Heidelberger VWL-Professors Paul Kirchhof: „Geld ist geprägte Freiheit“, scheinen zumindest in Bezug auf die Freiheit der Namensgebung für öffentliche Räume zuzutreffen.

 

erschienen in un!mut No. 198: Er kommt …  vom 3. Juni 2009 [pdf]

Letzte Änderung: 21.05.2014
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