Forschungspolitik hinter geschlossener Vereinstür

Zur Struktur der größten forschungsfördernden Einrichtung der Bundesrepublik

Nicht erst seit der neuerdings fast schon zum Sport auserkorenen Massenaufdeckung von Plagiaten deutscher Politiker, ist der Verdacht aufgekommen, dass in der Wissenschaft nicht alles mit rechten Dingen zugeht – besonders dann, wenn Wissenschaft, Politik und Geld zusammenkommen.

Schließlich geht es um viel Geld, genauer um eine Höhe zwischen 2.300.000.000 und 2.700.000.000 Euro, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jedes Jahr in der deutsche Wissenschaftslandschaft verteilt. Diese Gelder bilden den größten Teil der berühmten Drittmittel, die als der Dritte im einstmals innigen Bund zwischen Forscher und Universität angesichts der chronischen Unterfinanzierung letzterer immer mehr zum finanzierenden Hauptansprechpartner beider wird. So dient bspw. der »Heidelberg Research Service« des Forschungsdezernats einzig dazu, Heidelberger Forschern mit Tipps, Tricks und Kniffen bei der Eintreibung von Drittmitteln beiseite zu stehen – ohne diese könnte die Uni längst ihre Pforten dichtmachen: Über die Hälfte des Personaletats der Universität Heidelberg wird momentan durch Drittmittel finanziert.

Dass ein Großteil dieser Drittmittel nicht von privaten Stiftungen, der Industrie oder sonstigen typischen Interessenvertretern kommt, sondern von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die ihre Gelder zu 3/4 aus dem Forschungsetat des Bundes und zu 1/4 aus dem der Länder bezieht, mag auf den ersten Blick vielleicht beruhigend wirken, auf den zweiten befällt einem dann aber doch ein leichtes Unbehagen angesichts der rechtlichen Organisationsform der DFG.

Vereinsrecht als Instrument der Geheimpolitik

Die DFG hat die hoheitliche Aufgabe der Wissenschaftsförderung der Bundesrepublik Deutschland inne. Sie ist dabei aber weder eine Abteilung eines Wissenschaftsministeriums (des Bundes oder der Länder), noch eine Stiftung, sondern ein ganz normaler eingetragener Verein. Genau wie der deutsche Taubenzüchterverein ist die DFG aufgrund des deutschen Privatrechts Nicht-Mitgliedern keine Rechenschaft über ihre Entscheidungen und Ausgaben schuldig, lediglich das Finanzamt prüft alljährlich, ob die Einnahmen und Ausgaben übereinstimmen und der Satzungszweck erfüllt wird. Was innerhalb der Blackbox DFG passiert, muss nicht nach Außen kommuniziert werden.

Zwar bezeichnet die DFG sich selbst als »Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft in Deutschland«, doch ist den Wissenschaftlern selbst per Satzung eine Mitgliedschaft in der DFG untersagt, lediglich Hochschulen, Forschungsverbände, Akademien und sonstige wissenschaftliche Verbände (kurz: Institutionen) dürfen Mitglied der DFG werden. Der ›Deutsche Hochschulverband‹, größter Zusammenschluss von Hochschullehrern, aber nicht.

Aufgrund der Vereinsstruktur unterliegt die DFG auch nicht dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das einer Transparenz behördlicher Entscheidungen dient, wie dem Bericht des Datenschutzbeauftragten an den Deutschen Bundestag vom 8.4.2008 (Drucksache 16/8500, S. 67) zu entnehmen ist. Ausgangspunkt für den Bericht war die Weigerung von DFG und Wissenschaftsrat, Auskunft über die Kriterien zur Mittelvergabe im Zuge der Exzellenzinitiative zu geben. Der Datenschutzbeauftragte kam zu dem Ergebnis, dass die DFG sich »aufgrund ihrer privatrechtlichen Organisationsform als eingetragener Verein« ebenso wenig in die Karten schauen lassen müsse wie der Wissenschaftsrat, bei dem es sich um ein »eingesetztes Beratungsgremium [handele], das keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt« (vgl. un!mut no. 198, 2009).

Die privatrechtliche Rechtsform des Vereins wurde bei der Wiederneugründung der DFG 1951 aufgrund der Erfahrungen der Wissenschaftslenkung während des Nationalsozialismus gewählt (vgl. UNiMUT Nr. 206, 2010). Heute, 60 Jahre später, sagt der DFG-Präsident Matthias Kleiner in einer Pressemitteilung vom 7. Juli 2011: »Damals lag ein besonderes Augenmerk auf der wissenschaftlichen Selbstverwaltung, und es galt, dieses Prinzip gegenüber der Politik zu behaupten. Heute ist man hierzulande und auch in der Politik stolz auf diese Selbstverwaltung, die es so wohl nirgendwo anders gibt. Und man schätzt die DFG eben, weil sie unabhängig und zugleich in Hörweite der Politik ist«.

Und tatsächlich hat die DFG ihr Ohr sehr nah an der Politik: Der Wissenschaftsrat, jenes bereits zuvor erwähnte beratende Gremium der Bundesrepublik, das jedoch gleichzeitig die bundesweite Wissenschaftspolitik bestimmt, hat auch bei der DFG eine beratende Position inne. Der Wissenschaftsrat selbst setzt sich aus zwei Kammern zusammen: Die Mitglieder der ersten, genannt »Wissenschaftliche Kommission«, werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Mitglieder der DFG berufen; die zweite, genannt »Verwaltungskommision« setzt sich aus den Bildungs- und Wissenschaftsministerien zusammen. Jene zuletzt genannten wiederum ernennen die Mitglieder in den Uni-/Hochschulräten, die ihrerseits die Rektoren der Unis ernennen und gleichzeitig beaufsichtigen. Und seit der Überarbeitung der Landeshochschulgesetze haben die Rektoren quasi diktatorische Vollmachten über den Senat (vgl. hierzu ausführlich un!mut no. 199, 2009). Eine perfekt abgeschlossene Struktur also.

Angesichts der prekären rechtlichen und politischen Konstellation, dass die DFG nahezu ausschließlich aus Steuergeldern finanziert wird, jedoch als Verein nicht rechenschaftspflichtig bezüglich ihrer Vergaberegularien ist und dies auch nicht freiwillig tut, erscheint es geradezu verwunderlich, dass erst jetzt öffentlicher Widerstand gegen eine solche Praxis laut wird: Am 1. Juli 2011 forderten fünf Wissenschaftler und Verleger auf einer Tagung im Berliner Ensemble, die den Titel »Freie Wissenschaft vs. Geheime Wissenschaftsförderung« trug, eine grundsätzliche Neuordnung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und traten damit eine »längst überfällige Debatte « los. Der Heidelberger Literaturprofessor Roland Reuß, der Münchner Juraprofessor Volker Rieble, der Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum sowie die Verleger Georg Siebeck und KD Wolff monierten vor allem die durchgängige Intransparenz der DFG sowie deren Tendenz zur Forschungslenkung.

Statt ›freiwilliger‹ Auflistung aller geförderten Projekte, inklusive der Fördersummen, gibt die DFG alljährlich lediglich einen 300-Seiten starken, bunt illustrierten Jahresbericht heraus, der mehr Ähnlichkeit mit einer Werbebroschüre als mit einem Rechenschaftsbericht hat. Man findet darin nur allgemeine Zahlen wie z.B. dass 2009 912,1 Mio. zu den Lebenswissenschaften, 571,8 Mio. zu den Naturwissenschaften, 501 Mio. zu den Ingenieurwissenschaften und 366,2 Mio. zu den Geistes und Sozialwissenschaften flossen. Wohin genau, erfährt man jedoch nicht.

Das Dickicht des Gutachterverfahrens

Auch das Gutachterverfahren – also die Entscheidung, ob ein Projekt gefördert wird oder nicht – verläuft augenblicklich noch vollkommen anonym und intransparent. Die Antragsteller erfahren weder wer, noch warum mit dem Verfassen eines Gutachtens betraut wurde, noch welche Gründe eine eventuelle Ablehnung hatte. Nicht einmal, ob sie inhaltlicher oder formaler Art waren. Dazu Roland Reuß in Berlin: »Wer als Wissenschaftler nicht bereit ist, mit seinem Namen zu bürgen, hat als Gutachter in einem für wissenschaftliche Projekte so wichtigen Prozeß nichts verloren. Mit der ungekürzten Zustellung nicht anonymer Gutachten an den Antragsteller verlöre der manchmal nicht ganz unbegründete Verdacht, Willkürentscheidungen ausgesetzt zu sein, seine Grundlage.«

Ein weitere Forderung zur Reform der DFG der Berliner Tagung war eine genaue Dokumentation der internen personellen Prozesse der DFG. Dass in verschiedenen Gremien der DFG, den Wissenschaftsministerien, in Unter- und Überausschüssen immer die gleichen Namen vorkommen, mag seine internen Gründe haben, nähre jedoch »den Verdacht, dass dort sachfremde Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, oder dass sich dort gar gegenseitig Pfründen zugeschoben werden«, so der Tübinger Verleger Georg Siebeck. Durch diese systematische Intransparenz wecke die DFG (ob berechtigt oder nicht) den Verdacht, dass hinter verschlossener Vereinstür nicht alles mit rechten Dingen zugehe. Dies könne nicht im Interesse der größten deutschen forschungsfördernden Einrichtung liegen.

Forschungslenkung durch Antragsbürokratie

Desweiteren sei das gesamte Antragsverfahren der DFG so undurchsichtig und mit ausgesprochenen »Erwartungen« in Bezug auf die Antragsformulierung durchtränkt, dass man nicht mehr von einer rein forschungsfördernden, sondern zunehmend von einer forschungslenkenden Einrichtung sprechen müsse. Sie produziere ein Heer von Wissenschaftler, die – weil aufgrund der Unterfinanzierung der Universitäten auf die externen Gelder angewiesen – eben genau das beantragten und bewilligt bekämen, was von ihnen »erwartet« wird. Dies unterhöhle aber die Grundfesten der Wissenschaftsfreiheit – und bedeute, da Forschung an sich das Abweichen von bisher Gedachtem und »Erwartetem« ist, mittelfristig das Ende einer Wissenschaft, die sich und ihre Ergebnisse nicht bloß selbst reproduziert.

Hinter vorgehaltener Hand kritisieren fast alle WissenschaftlerInnen die Forschungspolitik der DFG, doch aus Angst in Zukunft keine Forschungsgelder mehr abzubekommen, verhallte die Kritik bisher in den universitären Büroräumen. Nun ist sie auch öffentlich ausgesprochen und die DFG kündigte daraufhin bereits am 7. Juli 2011 in ihrer Pressekonferenz anlässlich der Jahreshauptversammlung an, dass »das Prinzip der Selbstverwaltung und die gesamte Arbeit der DFG […] künftig noch transparenter werden« solle. Ein erster Schritt sei der Ausbau des »Online-Projektinformationssystems GEPRIS«, das die geförderten Projekte auflisten soll – jedoch bisher ohne Nennung der Fördersummen. Sie begegne damit »Ansichten und auch vereinzelten Anwürfen, die von mangelnder Sachkenntnis oder Vorurteilen geprägt sind und etwa behaupten, die Arbeit der DFG geschehe im Geheimen und ohne Kontrolle.«

Janina Reibold

 

erschienen in un!mut no. 213: Wer wie wissen schafft – und abschafft vom 11. Juli 2011

Letzte Änderung: 26.08.2012
zum Seitenanfang/up