Siegel der Universität Heidelberg
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Schlaganfall: Rasche Therapie begrenzt Schäden

Jährlich erleiden etwa 500 000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Wird ihnen innerhalb der ersten Stunden geholfen, bestehen heute gute Chancen, den Hirnschaden gering zu halten. An der Universität Heidelberg besteht ein Schwerpunkt der klinischen und der Grundlagenforschung auf dem Gebiet des Schlaganfalls: Die neurologischen Kliniken in Heidelberg und Mannheim kooperieren interdisziplinär mit dem Physiologischen Institut. Michael Hennerici und Wolfgang Kuschinsky berichten über die Grundlagen dieser Forschung.

Es geschah am 13. April des Jahres 1737, als ,das ganze Haus von einem dumpfen Schlag erbebte . etwas Massiges und Schweres mußte im obern Stockwerk hingeschmettert haben." Der Diener des Komponisten Georg Friedrich Händel rannte die Stufen empor zum Arbeitszimmer seines Herrn und entdeckte ihn ,regungslos auf dem Boden liegend, die Augen starr offen .". Händel war zuvor ,in voll saftiger Wut aus der Probe nach Hause gekommen, prallrot das Gesicht von aufwallendem Blut und dick die Adersträhnen an den Schläfen, mit einem Knall hatte er die Haustür zugeworfen und wanderte jetzt, der Diener konnte es hören, so heftig im ersten Stock auf und ab daß die Decke bebte: es war nicht ratsam, an solchen Zorntagen lässig im Dienste zu sein." Vom unteren Stockwerk kam der Famulus Christof Schmidt, der Helfer des Meisters herauf; auch ihn hatte der dumpfe Fall aufgeschreckt. Er lief nach dem Arzt des königlichen Hofkomponisten. ,Wie alt ist er?" ,Zweiundfünfzig Jahre", antwortete Schmidt. ,Schlimmes Alter, er hat geschuftet wie ein Stier." Dr. Jenkins beugte sich tief über ihn. ,Aber er ist auch stark wie ein Stier. Nun, man wird sehen, was man tun kann." Er merkte, daß ein Auge, das rechte, starr sah und das andere belebt. Versuchsweise hob er den rechten Arm. Er fiel wie tot zurück. Dann hob er den linken. Der linke blieb in der neuen Lage. Jetzt wußte Dr. Jenkins genug. Als er das Zimmer verlassen hatte, folgte Schmidt ihm zur Treppe nach, ängstlich, verstört. ,Was ist es?" - ,Apoplexia. Die rechte Seite ist gelähmt." - ,Und wird ." - Schmidt stockte das Wort - ,wird er genesen?" Dr. Jenkins nahm umständlich eine Prise Schnupftabak. Er liebte derlei Fragen nicht. ,Vielleicht. Alles ist möglich." In diesem Ausschnitt aus der berühmten Erzählung ,Georg Friedrich Händels Auferstehung" von Stefan Zweig zeigt sich das Dilemma, das bis heute für Arzt und Patient nach einem akuten Schlaganfall fortdauert, die Frage nach der Prognose. Sie stellt sich in zweierlei Hinsicht: kurzfristig bezüglich der Überlebenswahrscheinlichkeit - die Mortalität beträgt noch immer 20 bis 25 Prozent - und langfristig, wenn die Wiedereingliederung in den normalen Lebensrhythmus angesprochen wird - immerhin bleiben ein Drittel der Patienten pflegebedürftig.

Im Gegensatz zu Dr. Jenkins steht dem Arzt heute eine Reihe von diagnostischen Methoden zur Verfügung, welche die Krankheitsursachen identifizieren und deshalb für die Beurteilung der Therapie und der Prognose von Bedeutung sind. Mit Computer- und Kernspintomographie (MRT) kann er rasch und für den Patienten schonend die therapeutisch wichtige Unterscheidung der verschiedenen Ursachen eines Schlaganfalls treffen und eine Hirnblutung von einer Minderdurchblutung, einer Ischämie, abgrenzen. Eine Blutung ist leicht zu erkennen, bisweilen sogar deren Quelle, zum Beispiel ein Aneurysma, eine krankhafte Ausstülpung in der Wand einer Hirnarterie. Hingegen hinterläßt die Ischämie in den ersten Stunden nach dem Hirninfarkt keine Spuren im CT- oder MRT-Bild. Aber mittels neuer perfusions- und diffusionsgewichteter kernspintomographischer Techniken gelingt es, auch den Ischämiebezirk bereits nach wenigen Minuten zu lokalisieren. Erst mit Hilfe verschiedener Ultraschallverfahren kann der Arzt in der Akutphase des Schlaganfalls schnell und nichtinvasiv die individuell relevanten Krankheitsmechanismen aufklären: zum Beispiel eine hochgradige Einengung der Halsschlagader oder anderer intrakranieller Hirnarterien nachweisen oder den Ursprungsort von Embolien - Blutgerinnseln, welche die Hirnarterie verschließen - im Herzen oder an den großen extra- und intrakraniellen Hirnarterien ausmachen.

Verschiedene Kompensationsmechanismen wirken den Folgen der Mangeldurchblutung entgegen: die Spontanlyse sowie vaskuläre und metabolische Reservekapazität. Manchmal sorgen sie allein für eine rasche, komplette Rückbildung der neurologischen Ausfallserscheinungen, obwohl pathologisch-anatomisch ein Substanzdefekt bleibt - man spricht dann von einer transitorisch-ischämischen Attacke (TIA). Über 70 Prozent der intraarteriellen Embolien lösen sich innerhalb von 72 Stunden spontan auf, ein Drittel schon in 12 bis 24 Stunden. Dabei fragmentieren allerdings größere Emboliepartikel bisweilen nach distal in kleinere Hirnarterien, was stufenweise zu einer klinischen Verschlechterung führen kann.

Die Mobilisierung kollateraler Umgehungskreisläufe, das heißt die Weitstellung der Gefäße in der Peripherie und die Erhöhung der Sauerstoffzufuhr aus dem Blut zum Schutz der Nervenzellen im Gehirn, lassen sich mit der Positronenemissionstomographie beobachten. Das noch immer experimentelle Verfahren wird wegen seines methodischen Aufwands in der Akutphase eines Schlaganfalls jedoch nur in Ausnahmefällen eingesetzt. Solche Untersuchungen haben neben tierexperimentellen Studien zum Konzept des ,therapeutischen Fensters" beigetragen. Der Begriff bezeichnet die Phase der Schlaganfallentwicklung, in der vaskuläre und metabolische Kompensationsmechanismen noch greifen und eine Akuttherapie erfolgreich sein kann. Das therapeutische Fenster kann ein Intervall von wenigen Minuten bis mehreren Stunden umfassen. Gegenwärtig stehen zwei Behandlungsformen während dieser Phase auf dem wissenschaftlichen Prüfstand: erstens die frühzeitige Lyse eines Gefäßverschlusses, und damit eine effektive Reperfusion des minderversorgten Hirnareals. Zweitens die Anwendung sogenannter neuroprotektiver Substanzen, die das Fortschreiten der toxischen Reaktionskaskade verzögern oder blockieren und die Nekrose von Nervenzellen verhindern sollen.

Um die geeignete Therapie auszuwählen, ist eine korrespondierende experimentelle und klinische Erforschung der kritischen Phase der zerebralen Ischämie erforderlich. Die experimentelle Schlaganfallforschung untersucht den Gefäßverschluß auf makroskopischer, mikroskopischer und zellulärer Ebene. Die Kausalkette, die im menschlichen Gehirn während eines Schlaganfalls abläuft, läßt sich nur durch Rückgriff auf Modelle erfassen. Dabei ist der nachgeahmte Schlaganfall am betäubten Versuchstier dem Geschehen bei Patienten näher als die Analyse von Zellkulturen unter den Bedingungen einer Mangelversorgung; in der Zellkultur lassen sich jedoch einzelne Kausalketten eher spezifizieren. Gefäßverschlüsse sind im Prinzip an jeder Stelle des Gehirns möglich; allerdings zeigt die Klinik, daß besonders häufig Verschlüsse in einer bestimmten Hirnarterie, der Arteria cerebri media, auftreten. Deshalb verschließen wir diese Hirnarterie auch im Experiment. Lange Zeit war dies nur unter großem experimentellem Aufwand möglich, wobei der Schädel im Bereich der Schläfe geöffnet werden mußte. Damit bestand immer die Gefahr, daß Schädigungen am Gehirn durch die schwierige Präparation des Gewebes und nicht allein durch den Gefäßverschluß zustande kamen. Außerdem konnte nur ein dauernder, nicht aber ein vorübergehender Verschluß des Blutgefäßes erzeugt werden. Verlaufsstudien bei Patienten haben jedoch gezeigt, daß nach dem akuten Verschluß in vielen Gefäßen eine Reperfusion stattfindet. Ein Schlaganfall ist daher in stärkerem Maße ein dynamisches Wechselspiel von Gefäßverschluß und Wiedereröffnung als bisher angenommen. Um dem Rechnung zu tragen und den Gefäßverschluß so wenig invasiv wie möglich zu gestalten, entwickelten verschiedene Arbeitsgruppen ein neues Tiermodell. Hierbei wird am betäubten Tier ein spezieller Nylonfaden über die Halsschlagader in die gewünschte Hirnarterie vorgeschoben. Der Faden weist an der Spitze eine leichte Verdickung auf und verschließt so die Hirnarterie. Das betroffene Gefäß kann beliebig lange verschlossen gehalten und durch Zurückziehen des Fadens wieder geöffnet werden.

Im Tiermodell können wir die Durchblutung in kleinsten Gefäßen messen, in Kapillaren von wenigen tausendstel Millimetern Durchmesser, in denen der Gas- und Nährstoffaustausch im Gehirn erfolgt. Sie sind der klinischen Analyse nicht zugänglich, jedoch müssen pathologische Veränderungen in diesen Austauschgefäßen direkte Rückwirkungen auf die Versorgung und Entsorgung des Gehirns haben. Die bisherigen Untersuchungen ergaben, daß es beim Schlaganfall zu Komplikationen im Bereich der Strombahn der Kapillaren kommt: Die weißen Blutkörperchen bleiben verstärkt an der Innenseite der Gefäße haften. Inwieweit diese pathologischen Abläufe die Mangelversorgung des Gehirns mit Blut verstärken, muß noch geklärt werden. Unsere direkten Untersuchungen einzelner Kapillargefäße haben gezeigt, daß selbst bei extrem niedriger Durchblutung im experimentellen Schlaganfall viele Kapillaren in den ersten Stunden nach Gefäßverschluß noch perfundiert sind. Gegenüber dem Normalzustand ist jedoch die Geschwindigkeit der Blutströmung stark verlangsamt. Daraus kann man die positive Folgerung ziehen, daß offensichtlich größere Bereiche des mangelversorgten Gehirns noch einer Therapie von der Blutseite her zugänglich sind. Wenn also geeignete Medikamente gefunden werden, können diese in ihr Zielgebiet, das mangelversorgte Hirngewebe, gelangen.

Auf zellulärer Ebene gilt das Interesse der Wissenschaftler dem Hirngewebe, das sich weder auf der Sonnenseite befindet, also normal durchblutet wird, noch auf der Seite der Finsternis, also nicht durchblutet ist, und dessen Absterben nicht verhindert werden kann. Also den Zellen in der ,Schattenzone", im Englischen penumbra genannt, zwischen dem Infarktkern und dem gesunden Hirngewebe, die durch die verminderte Durchblutung zwar funktionell beeinträchtigt sind, aber nicht so stark geschädigt scheinen, als daß ihr Absterben unvermeidlich wäre. Hier muß die Therapie versuchen, entweder die Durchblutung so hoch zu halten, daß keine dauernden Gewebeschäden eintreten, oder durch Dämpfung der Stoffwechselaktivität den Sauerstoff- und Nährstoffbedarf der Zellen soweit zu senken, daß die geringe Blutversorgung ausreicht.

Die in Zellkulturen gewonnenen Aussagen können zwar nur mit großen Einschränkungen auf den Menschen übertragen werden, denn das Gehirn besteht aus vielen verschiedenen Zelltypen, die im Organismus in unnachahmlicher Weise miteinander verknüpft sind. Doch lassen sich einige Vorgänge wie ein roter Faden verfolgen, die offensichtlich bei einer Mangeldurchblutung ablaufen und als ursächlich für die Schädigung der Zellen angesehen werden. Dreh- und Angelpunkt der pathologischen Veränderungen scheinen Kalzium-Ionen zu sein. Sie treten bei einer Mangelversorgung vermehrt in das Zellinnere ein. Hierbei wird aber nicht einfach die Zellmembran durchlässiger, denn dann könnten auch andere Ionen in großem Stil aus der Zelle heraus- oder in sie hineinströmen. Vielmehr scheint eine verminderte Durchblutung als erstes die Aktivität der Ionenpumpe zu beeinträchtigen. Die in jeder Zelle des Organismus vorhandene ,Na+-K+-Pumpe" sorgt für die normale Verteilung von Ionen an der Innen- und Außenseite der Zellmembran. Sie befördert Na+-Ionen aus der Zelle heraus und im Gegenzug K+-Ionen hinein; eine echte Sisyphus-Arbeit, denn die Na+-Ionen strömen permanent über entsprechende Ionenkanäle in die Zelle zurück. Die Pumpe benötigt dauernd Sauerstoff und Nährstoffe. Wenn diese fehlen, läßt ihre Leistung nach, doch die Natrium-Ionen fließen weiterhin in die Zelle und rufen dort ein Durcheinander hervor, indem sie eine weitere wichtige Pumpe in der Zellmembran ,umpolen", die Natrium-Kalzium-Pumpe. Einströmende Na+-Ionen dienen normalerweise dazu, Ca++-Ionen aus der Zelle herauszuschaffen. Der Austausch Na+ gegen Ca++ ist insofern sehr praktisch, als er keine zusätzliche Energie benötigt. Während also unter normalen Bedingungen Ca++-Ionen im Austausch mit Na+- Ionen aus der Zelle entfernt werden, ist es bei Sauerstoffmangel genau umgekehrt. Ausgelöst durch die erhöhte zelluläre Na+- Konzentration strömen Ca++-Ionen in die Zelle. Die erhöhte Kalziumkonzentration hat katastrophale Folgen für den Zellstoffwechsel: Destruktive Enzyme, die Eiweiße und Fette aufspalten, werden aktiviert; der zelluläre Stoffwechsel entgleist; die Integrität der Membranfette wird gestört, was sich bis zum Versagen der Zellfunktion steigern kann. Wie in experimentellen Schlaganfallmodellen nachgewiesen werden konnte, führt auch die vermehrte Freisetzung erregender Botenstoffe durch die geschädigten Nervenzellen zum Zelltod. Der wesentliche Überträgerstoff ist in diesem Zusammenhang das Glutamat. Die vermehrte Erregung setzt Nervenzellen, deren Energieversorgung bereits eingeschränkt ist, energiefordernden Entladungen aus, was die Gewebsversorgung weiter verschlechtert. Der durch Glutamat ausgelöste pathologische Stoffwechselweg führt zu einer Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration. Therapeutische Bemühungen richten sich gegenwärtig sehr intensiv darauf, die Wirkung des Glutamats möglichst selektiv im mangelversorgten Hirngewebe zu blockieren - eine interessante neuroprotektive Therapiemöglichkeit.

Analog zur Behandlung des Herzinfarkts können auch Verschlüsse der Hirnarterien bei einem Schlaganfall mit dem Gewebsplasminogen-Aktivator (tPA) innerhalb der ersten Stunden nach dem Ereignis vollständig lysiert werden. Die Lysetherapie dient der beschleunigten ,natürlichen" Wiederherstellung der Zirkulation in minderversorgten Hirnarealen. Erste Dosisfindungsstudien beim akuten ischämischen Hirninfarkt haben bestätigt, daß bei Anwendung innerhalb von sechs Stunden nach Beginn der neurologischen Symptomatik eine arterielle Rekanalisation zumindest partiell ohne gravierende Nebenwirkungen möglich ist. Eine japanische Studie konnte 1992 erstmals an 98 Patienten zeigen, daß auch das neurologische Defizit bei den so behandelten Patienten geringer ausfiel als im Spontanverlauf. Die Auswertung einer großen europäischen Studie mit über 600 Patienten in diesem Jahr bestätigt erstmals den Nutzen dieser Behandlungsmaßnahme, zeigt allerdings auch die Gefahr eines erhöhten Blutungsrisikos und die Notwendigkeit einer strengen Indikationsstellung auf. Eine frühe medikamentöse Thrombolyse scheint besonders wirksam zu sein, wenn sich beim Auftreten einer Hirnembolie bislang unbedeutende Nachbargefäße spontan und unmittelbar kompensatorisch erweitern und dadurch einen ausgedehnten initialen Zelluntergang verzögern. Das therapeutische Fenster bleibt bei diesen Patienten über mehrere Stunden geöffnet, die Therapie kann greifen.

lm Gegensatz dazu gibt es Patienten, die anlagemäßig nicht über ausreichende Kollateralkreisläufe verfügen, so daß sich bei ihnen das therapeutische Fenster oft schon nach Minuten schließt und eine Lysetherapie in der Regel zu spät beginnt. Von besonderer Bedeutung für diese Patienten sind ,neuroprotektive" Substanzen, welche die Stoffwechselaktivität in minderdurchbluteten Zellen reduzieren, beziehungsweise den Stoffwechsel so beeinflussen, daß den Zelltod beschleunigende Stoffwechselprodukte nicht überhand nehmen. Unter den neuroprotektiven Substanzen sind die Kalziumantagonisten bisher experimentell und klinisch am besten untersucht. Sogenannte Metaanalysen aller Patienten, die in den letzten Jahren mit einem Kalziumantagonisten behandelt worden sind, zeigen, daß diese Medikamente tatsächlich das neurologische Defizit dann wirkungsvoll mindern, wenn sie innerhalb der ersten Stunden nach Beginn der Symptomatik angewandt werden. Neuere, modifizierte Kalziumantagonisten, sogenannte NMDA-Antagonisten und andere neuroprotektive Substanzen, sind möglicherweise noch wirksamer oder komplementär einsetzbar. Da sie arm an Nebenwirkungen sind, könnten sie von Risiko-Patienten sogar selbst eingenommen werden, sobald Symptome auftreten, oder zur Prophylaxe.

Heute, über 250 Jahre nach Georg Friedrich Händels Schlaganfall, sind die Nachfolger des Dr. Jenkins besser über die Pathophysiologie des Hirnschlags informiert. Die Chancen einer differenzierten Akuttherapie sind gestiegen, und die Prognose kann zuverlässiger eingeschätzt werden: Kleine Hirnblutungen haben nach Resorption im allgemeinen eine gute Prognose, wenn sie nicht strategisch hochkomplexe Regionen, zum Beispiel den Hirnstamm, betreffen oder zu sekundären ischämischen Schädigungen führen. Dies gilt ebenso für die umschriebenen, sogenannten lakunären Hirninfarkte, die gleichfalls als Folge eines chronischen, oft unzureichend behandelten Bluthochdrucks entstehen - dies dürfte bei Händel die Ursache des Schlaganfalls gewesen sein. Die Mechanismen der Rückbildung von Symptomen im Erholungsprozeß verstehen wir erst in jüngster Zeit besser. Untersuchungen mit der Positronenemissionstomographie haben gezeigt, daß im Falle einer Schädigung in korrespondierenden Regionen beider Hirnhälften residuale neuronale Verbindungen aktiviert werden und sogar neue synaptische Verbindungen und Umformungen neuronaler Netzwerke möglich sind. Diese als Plastizität bezeichnete Kapazität auch des erwachsenen Gehirns wurde noch vor wenigen Jahren negiert.

Die Erholung in den heißen Bädern von Aachen brachte Georg Friedrich Händel ein wenig Besserung. ,. nach einer Woche konnte er sich schon wieder hinschleppen, nach einer zweiten den Arm bewegen und ungeheurer Sieg des Willens und der Zuversicht, noch einmal riß er sich los aus der lähmenden Umstrickung des Todes, um das Leben zu umfassen, heißer, glühender als je zuvor mit jener unsäglichen Beglückung, die nur der Genesende kennt. . Als das ,Halleluja" zum ersten mal dröhnte, riß es einen empor . und als am Ende ,Amen" anhub, . kaum daß der Jubel der anderen Tosenden den Raum erfüllte, schlich er still seitab, um nicht den Menschen zu danken, die ihm danken wollten, sondern der Gnade, die ihm dies Werk gegeben."

Autoren:
Prof. Dr. Michael Hennerici
Neurologische Klinik, Theodor-Kutzer-Ufer, 68167 Mannheim,
Telefon (0621) 3 83 28 85;

Prof. Dr. Wolfgang Kuschinsky
Physiologisches Institut, Im Neuenheimer Feld 326, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 40 33

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