Siegel der Universität Heidelberg
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Tiefe Einblicke ins Proton

Einen tiefen Blick ins Innere des Protons werfen zwei Forschungsgruppen der Universitaet Heidelberg. An den Untersuchungen im Rahmen der grossen internationalen H1- Kollaboration sind zur Zeit 26 Physiker in Heidelberg und vier am DESY in Hamburg beteiligt, darunter zehn Diplomanden und acht Doktoranden; unter Leitung von Franz Eisele am Physikalischen Institut und von Karlheinz Meier am Institut fuer Hochenergiephysik. Das Bundesforschungsministerium foerdert ihre Arbeiten von 1994 bis 1996 mit insgesamt 2 753 400 Mark.

Seit Mitte 1992 steht den Hochenergiephysikern mit dem Elektron-Proton-Speicherring HERA am Deutschen Elektronensynchrotron, DESY, in Hamburg ein neues einzigartiges Instrument der Grundlagenforschung zur Verfuegung, mit dem sie Fragen nach den allerkleinsten Bausteinen der Materie und deren Wechselwirkungen untersuchen koennen. Bei HERA kollidieren Elektronen mit einer Energie von 30 Milliarden Elektronenvolt mit Protonen von einer Energie von 820 Milliarden Elektronenvolt, die in einem Speicherring mit einem Durchmesser von etwa zwei Kilometern umlaufen. HERA laesst sich am besten charakterisieren als das mit Abstand leistungsfaehigste Mikroskop der Welt. Mit den staerksten Elektronenmikroskopen laesst sich die Lage von Atomen in Molekuelen und Kristallen noch gut abbilden. Um Strukturen innerhalb des Atoms und der Atomkerne zu untersuchen, sind Streuexperimente notwendig, bei denen viele Streuungen von Projektilteilchen am Untersuchungsobjekt einzeln registriert werden. Die Aufloesung, das heisst die Laenge der kleinsten Struktur, die noch einzeln erkennbar ist, haengt dabei linear von der Energie der Projektile ab; je hoeher die Energie, desto besser die Aufloesung. Diese experimentelle Methode wurde zum ersten Mal 1907 von Ernest Rutherford angewandt, der Heliumkerne mit Energien von einigen Millionen Elektronenvolt an duennen Folien streute und ihre Ablenkung mass. Er machte dabei die epochale Entdeckung, dass die Atome fast leer sind und ihre Masse fast vollstaendig in einem sehr kleinen kompakten Atomkern konzentriert ist. Rutherford bekam seine Projektile noch von der Natur, aus radioaktiven Kernzerfaellen. Um die Kernstruktur und die Struktur der Kernbausteine Neutron und Proton zu untersuchen, was in der Folgezeit geschah, waren Projektile aus Teilchenbeschleunigern notwendig, mit Energien, die bis in die 60er Jahre auf mehrere Milliarden Elektronenvolt gesteigert wurden.

Am Stanford Linear Accellerator Center, das den Elektronenbeschleuniger mit der hoechsten Energie besass, folgte dann 1969 die naechste grosse Entdeckung: Wenn das Proton mit einer Aufloesung betrachtet wird, die besser ist als etwa ein Zehntel seines Radius (0,6* 10-16m), dann erscheint es "koernig"; die Streuung erfolgt nicht am Proton als Ganzem, sondern an "punktfoermigen" Bestandteilen, den sogenannten Quarks. Punktfoermig heisst dabei nichts anderes, als dass bei der im Experiment verfuegbaren Aufloesung keine Effekte messbar sind, die auf eine Ausdehnung der Quarks zurueckgehen. Bis heute fuehrten und fuehren Physiker aus aller Welt seither viele Streuexperimente mit "punktfoermigen" Projektilen - Elektronen, Myonen und Neutrinos - durch, in denen die Verteilung der Quarks im Proton und deren Bindung durch Gluonen sehr genau untersucht wurden. Die Aufloesung dieser Experimente ist aber begrenzt auf etwa 10-17 Meter, das heisst ein Hundertstel des Protonradius, und durch Energieerhoehung nicht mehr wirtschaftlich zu steigern.

HERA beschreitet hier einen neuen Weg. Sowohl Projektil, Elektron, als auch Objekt, Proton, sind bewegt und fliegen praktisch mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu. Dadurch laesst sich die Aufloesung um mehr als einen Faktor zehn steigern, das heisst, wir koennen die innere Struktur des Protons und des Elektrons mit einer Aufloesung von mehr als einem Tausendstel des Protonradius untersuchen.

Damit ist eine fundamentale Frage bei HERA schon vorgegeben: Erscheinen Quarks und Elektronen auch bei diesen Distanzen noch punktfoermig oder gelingt es, eine Substruktur nachzuweisen? Eine solche Entdeckung waere von fundamentaler Bedeutung. Wir koennen auch die Quarkstruktur des Protons in bisher nicht zugaenglichen kinematischen Bereichen untersuchen, vor allem solchen, bei denen sehr hohe Quarkdichten auftreten. Natuerlich gibt es noch viele andere interessante Fragestellungen, auf die hier nicht eingegangen werden soll.

Wie werden die bei HERA gestreuten Elektronen und Quarks nachgewiesen? Schliesslich gibt erst die Messung vieler Streuereignisse und deren Analyse Aufschluss ueber die Struktur des Objekts. Dazu haben die Physiker der H1-Kollaboration einen riesigen Detektor mit den Ausmassen eines Zweifamilienhauses um eine Wechselwirkungszone herum aufgebaut, der moeglichst alle bei einer Streuung erzeugten Teilchen messen und identifizieren soll. Er besteht aus vielen verschiedenen Komponenten, in denen die entstehenden Teilchen in einer Vielzahl unabhaengiger elektronischer Auslesekanaele registriert werden. So enthalten zum Beispiel das "Kalorimeter" 45 000 und das "Spurkammersystem" 12 000 Auslesekanaele. Im Detektor werden etwa 100 000 Mal pro Sekunde Ereignisse registriert, von denen die meisten nicht aus Elektron-Proton-Streuungen stammen. Eine sehr schwierige Aufgabe besteht also darin, die vielen Ereignisse in Bruchteilen einer Millisekunde zu bewerten, den Loewenanteil schnell zu verwerfen und die wenigen interessanten Streuereignisse - etwa fuenf pro Sekunde - effektiv auszuwaehlen und zu speichern.

Das Experimentierprogramm wird noch viele Jahre erfordern, bevor das physikalische Potential von HERA ausgeschoepft ist. Von den bisherigen Ergebnissen seien hier nur zwei vorgestellt, zunaechst die Quarkverteilungen im Proton. Sie wurden systematisch untersucht, dabei lieferte HERA zum ersten Mal Information ueber die sehr "weichen" Quarks und Gluonen, die "Partonen", welche nur winzige Bruchteile der Protonenergie tragen. Zur grossen Ueberraschung der Hochenergiephysiker steigt die Zahl der weichen Partonen sehr stark an, was sehr interessante experimentelle und theoretische Konsequenzen hat und zu einem grossen Aufschwung der theoretischen Arbeiten in diesem fuer das Verstaendnis der starken Wechselwirkung wichtigen Arbeitsgebiet fuehrte. Hier ist erst ein Anfang gemacht.

HERA erlaubt auch einen Blick auf die innere Struktur des Photons. Dieses anscheinend so gut bekannte Teilchen steckt voller Wunder. Unter den Messbedingungen bei HERA zeigt das Photon kurzzeitig ebenfalls eine innere Struktur aus Quarks und Gluonen, die wir systematisch untersuchen. Bisher fanden sich noch keine Hinweise auf neue Unterstrukturen von Quarks oder Elektronen. Die Sensitivitaet des Experiments kann aber im Laufe der Zeit noch erheblich gesteigert werden, sodass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Welche Rolle spielen nun die Heidelberger Arbeitsgruppen bei diesem Forschungsprojekt? Die erste Aktivitaet betrifft die Entwicklung und den Bau von Detektorkomponenten. Ein Grossdetektor ist nie wirklich fertig. So wird am Physikalischen Institut zur Zeit ein Driftkammersystem gebaut, um Elektronen, die unter kleinen Winkeln - bis etwa 30 Grad - gestreut werden, effektiv nachzuweisen. Das Institut fuer Hochenergiephysik beteiligt sich am Bau eines neuen Kalorimeters, das hinter dieser Spurkammer die Energie der Elektronen sehr praezise messen soll. Beide Gruppen beteiligen sich auch intensiv an der Analyse der mit dem H1-Detektor registrierten Daten, sie waren an den oben zitierten Ergebnissen massgeblich beteiligt. Schliesslich tragen sie auch Mitverantwortung fuer den Betrieb und die Wartung des H1-Detektors sowie die Datennahme. Hierzu sind zeitweise Aufenthalte in Hamburg notwendig.

Wichtige technische Voraussetzungen fuer eine erfolgreiche Arbeit in Kollaboration und im Wettbewerb mit vielen Gruppen aus dem In- und Ausland sind sehr gute Werkstaetten und Entwicklungsabteilungen fuer Mechanik und Elektronik, effektive EDV-Anlagen und breitbandige Netzverbindungen. Dies ist in Heidelberg zur Zeit gewaehrleistet, doch sind kontinuierliche Weiterentwicklungen und die Einarbeitung in neue Fertigungsverfahren und Techniken unbedingt erforderlich.

Autor:
Prof. Dr. Franz Eisele
Physikalisches Institut, Philosophenweg 12, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 92 15

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