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Auswirkungen der Bonner Steuerreformplaene

Welche oekonomischen Folgen die Bonner Reformplaene fuer das Portemonnaie der Bundesbuerger haben werden, untersucht Manfred Rose in seinem Forschungsvorhaben "Simulationsrechnung zu Steuerreformen auf der Basis eines empirischen allgemeinen Gleichgewichtsmodells fuer die Bundesrepublik Deutschland". An dem von der DFG fuer zwei Jahre gefoerderten Projekt am Alfred- Weber-Institut fuer Sozial- und Staatswissenschaften sind ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und mehrere studentische Hilfskraefte beteiligt.

Um Aenderungen des bestehenden deutschen Steuersystems beziehungsweise des Uebergangs zu einem neuen Steuersystem zu beurteilen, wurde am Lehrstuhl fuer Finanzwissenschaft der Universitaet Heidelberg unter der Leitung von Manfred Rose ein empirisches Modell des allgemeinen Gleichgewichts fuer die Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Im Rahmen von Simulationsrechnungen ist es mit diesem Instrument moeglich, die Auswirkungen von Steuerreformen auf den Haushalts-, den Unternehmens- und den Staatssektor einer Volkswirtschaft zu ermitteln. Neben dem rein oekonomischen Effizienzaspekt ist man hiermit in der Lage, auch Verteilungsfragen zu untersuchen. Als eine moegliche Anwendung sollen im folgenden die Ergebnisse der Studie praesentiert werden, die zeigen, wie die Abgabenplaene der Bonner Parteien den Wohlstand der Buerger verringern.

Der Unterschied ist klein, doch er kann Wahlen entscheiden. Bundesfinanzminister Theo Waigel bittet ab 1995 fast alle Buerger mit einem 7,5prozentigen Solidaritaetszuschlag zur Kasse; SPD-Oppositionsfuehrer Rudolf Scharping wollte nur den Besserverdienenden mit einer zehnprozentigen Ergaenzungsabgabe ans Portemonnaie. Welche Buerger die Plaene wie treffen, darueber haben die Parteien in den vergangenen Monaten erbittert gestritten - freilich meist nur mit passend geschnittenen Fallbeispielen. Eine volkswirtschaftliche Gesamtanalyse der Plaene, die saemtliche Neben- und Folgewirkungen der geplanten Abgaben einbezieht, fehlte bislang. Fuer die Wirtschaftswoche haben deshalb Manfred Rose und sein Mitarbeiter Holger Richter durchgespielt, wie sich die Bonner Steuerplaene zwischen 1995 und 2004 auf den Wohlstand der Buerger auswirken werden. Als Vergleich diente eine Alternative, die etwa vom Sachverstaendigenrat oder dem Muenchner Oekonomen Hans-Werner Sinn seit langem empfohlen wird: die Anhebung der Mehrwertsteuer.

Das entwickelte Totalmodell einer offenen deutschen Volkswirtschaft erfasst nicht nur die kurzfristigen monetaeren Folgen der Steuerplaene. Es beruecksichtigt auch die vorab schwer durchschaubaren aber wichtigen Reaktionen der Akteure, die Wechselwirkungen ihres Handelns. Nach den Regeln von Angebot und Nachfrage laesst sich die Wirkung der Steuern auf zahlreichen Maerkten systematisch durchexerzieren. Beispiel Sparen: Hoehere Einkommensteuern treffen die Kapitalbildung gleich doppelt, weil Ruecklagen nur aus versteuertem Einkommen gebildet werden koennen und der Fiskus beim Zinsertrag dann noch mal zulangt. Die Folge wird in herkoemmlichen Analysen ausser acht gelassen: Der Spareifer laesst nach, wenn die Kapitalrendite nach Steuern faellt. Sinkende Investitionen und vermindertes Wachstum aber fuehren auch zu einem langfristig niedrigeren Lebensstandard.

Die Methode vermeidet zudem einen weiteren Denkfehler einfacher Zahllastrechnungen. Welche Belastungen der Fiskus den Buergern wirklich auferlegt, laesst sich an den eingetriebenen Steuergroschen nur zum Teil ablesen. Unberuecksichtigt bleibt gemeinhin die Wohlstandseinbusse, die etwa ein Besserverdiener hinnehmen muss, weil nach der Steuererhoehung weitere Ueberstunden keinen Sinn mehr machen. Deshalb wird im Rahmen des Modells der gesamte Nutzenverlust berechnet und nicht nur die Ueberweisung ans Finanzamt.

Die Resultate der Simulation lassen aufhorchen. So verschont Scharpings Ergaenzungsabgabe die unteren Einkommensgruppen nicht nur, sie stellt sie dank gesamtwirtschaftlicher Anpassungsprozesse sogar leicht besser, bezogen auf das heutige Wohlstandsniveau um bis zu einem halben Prozent. Dafuer faellt der Belastungssprung fuer die sogenannten Besserverdiener um so dramatischer aus: Wer mehr als 54 000 Mark netto verdient, muss mit einer Wohlstandseinbusse von zwei Prozent rechnen. Beim Solidaritaetszuschlag der Koalition dagegen verteilt sich die Last erheblich gleichmaessiger. Zaehlt man die Wohlstandseinbussen der Parteiplaene fuer alle Buerger einfach zusammen, dann nehmen sich die Vorhaben kaum etwas. So oder so, knapp 1,4 Prozent ihres Wohlstands werden die privaten Haushalte nach den Rechnungen demnaechst jaehrlich opfern muessen - Tendenz: steigend.

Kurzfristig deutlich teurer wuerde es zwar auch bei der von Oekonomen favorisierten Mehrwertsteuer, doch im Zeitablauf wendet sich dann das Blatt. Weil die Sparer geschont werden, waechst die Wirtschaft in dieser Variante am kraeftigsten, ist der jaehrliche Wohlstandsverlust gegen Ende des Simulationszeitraums bereits deutlich geringer als bei den Bonner Szenarien. Von daher erscheint die Mehrwertsteuer als die beste Alternative.

Dabei ist die Besteuerung des Konsums nicht nur wachstumsvertraeglicher. Die ermittelte Verteilung ihrer Last widerlegt auch den weitverbreiteten Glaubenssatz, die Mehrwertsteuer sei unsozial. Sicher: Weil Reiche im Schnitt mehr sparen, nur einen kleineren Teil ihres Einkommens konsumieren, trifft sie eine Verbrauchsabgabe zunaechst weniger einschneidend als die Einkommensschwa-chen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch wer spart, muss zahlen - nur eben spaeter, wenn er es wieder ausgibt. Zudem profitieren Niedrigverdiener ueberproportional von ermaessigten Steuersaetzen, etwa fuer Nahrungsmittel. Ein zunaechst ueberraschendes Simulationsergebnis wird so erklaerbar: Selbst bei der Mehrwertsteuer tragen Spitzenverdiener Wohlfahrtseinbussen, die prozentual mehr als dreimal so hoch sind wie die der Einkommensschwachen.

Autor:
Prof. Dr. Manfred Rose
Alfred-Weber-Institut fuer Sozial- und Staatswissenschaften, Grabengasse 14, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 29 53

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