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Sprachliche Diskriminierung

Diskriminierendes Handeln wird im Denken und Sprechen vorbereitet. Dabei sind auslaenderfeindliche Aeusserungen oft erst durch ein gemeinsames Vorwissen als solche zu erkennen. Diese impliziten Formen der Diskriminierung untersuchen Carl Friedrich Graumann,
zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und mehrere studentische Hilfskraefte am Psychologischen Institut im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 245 "Sprache und Situation", der von 1989 bis 1996 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit zirka 15 Millionen Mark gefoerdert wird.

Es gehoert leider schon laengst zu unserem Alltag, dass wir ueber die Medien, vor allem durch das Fernsehen und die Tageszeitungen, mit Gewalttaetigkeiten gegen Auslaender, gegen ethnische Minderheiten, manchmal auch gegen Behinderte konfrontiert werden. Doch sind diese Exzesse nur die besonders augenfaelligen Extremformen dessen, was wir allgemein in den Sozialwissenschaften als soziale Diskriminierung bezeichnen. Darunter verstehen wir eine rein kategoriale benachteiligende Behandlung von Menschen, meist verbunden mit einem negativen herabsetzenden Werturteil. Das heisst: Menschen werden nicht als Personen, nicht als Individuen, sondern nur als Mitglieder von Gruppen beziehungsweise als Angehoerige sozialer Kategorien, also pauschal als Auslaender, als Neger, alsJuden, aber auch als Frauen, Behinderte, Alte - oder im entsprechenden Diskriminierungsjargon als "Weiber", "Krueppel", "Gruftis" - etikettiert und behandelt. "Rein kategorial" heisst also, dass diese Menschen benachteiligt werden, weil sie unter Absehung von ihren individuellen Eigenschaften und Verdiensten einer dieser sozialen Kategorien zugeordnet und entsprechend behandelt werden. Die gesellschaftlich gravierenden Formen sozialer Diskriminierung sind die Verweigerung von Wohnungen, von gleichem Lohn, von Buergerrechten, allgemein die Verweigerung dessen, was man den Angehoerigen der eigenen Gruppe oder Kategorie als selbstverstaendliche Rechte zubilligt.

Es gibt nun in der Sozialpsychologie eine starke These, dergemaess Diskriminierung im Handeln durch eine entsprechende Diskriminierung im Denken und Reden vorbereitet, zumindest aber begleitet und gerechtfertigt wird. Entsprechend sind Sozialpsychologen an der Frage interessiert, wie eine mentale Diskriminierung aussieht, und sind Sprachpsychologen und Linguisten interessiert herauszufinden, wie sich soziale Diskriminierung im Sprachgebrauch manifestiert. Dieser Frage haben wir uns im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 245 "Sprache und Situation" in einem Teilprojekt zugewandt. Als aktuelle Zielgruppe moeglicher Diskriminierung haben wir Auslaender gewaehlt, die in die Bundesrepublik gekommen sind, um hier zu bleiben, in der Mehrzahl also sogenannte "Asylanten". Ein Corpus von 100 explizit diskriminierenden Aeusserungen Deutscher bildete das Material fuer den ersten Teil unserer Analyse.

Theoretisch zugrundegelegt haben wir ein Konzept sozialer Diskriminierung, dessen Elemente und Facetten sich aus den Antworten auf die Frage ergaben, was eigentlich diejenigen intendieren, die andere diskriminieren. Einige Beispiele aus dem genannten Corpus sollen die Facetten verdeutlichen: Erstens legen Diskriminierende Wert darauf, ueberhaupt einen Unterschied zu machen beziehungsweise eine Trennungslinie zu ziehen zwischen sich und den anderen, zwischen der Gruppe, der sie sich selbst zurechnen und der jeweiligen Fremdgruppe. Das ebenso simple wie selbstverstaendlich erscheinende Grundschema ist "Wir hier - die da"; eine prototypische Aeusserung: "Leute wie diese passen nicht in unser Strassenbild." Zweitens betonen Diskriminatoren eher das Trennende zwischen sich und den anderen. Sie ignorieren das Verbindende und Gemeinsame. Sogar verstaendlich deutsch Sprechende bekommen zu hoeren: "Die koennen ja nicht mal richtig Deutsch." Drittens beurteilen sie die anderen, zumindest im Vergleich mit sich selbst, als minder tuechtig, gut, anstaendig, also als minder wertvoll: "Gell..., bei Euch ist halt alles furchtbar primitiv." Viertens fixieren sie, sei es durch die Zuschreibung von Charaktereigenschaften oder durch die Zuordnung zu einem Typus, die jeweilige negativeCharakteristik als dauerhafte Disposition, also als Eigenschaft oder Faehigkeit: "Die sind ganz spontan, so offen und kindlich, wirklich. Aber eigentlich kann man mit ihnen nicht richtig diskutieren. Sie sind nicht faehig, systematisch zu reden und so zu denken wie wir", lautet der Kommentar einer sich nicht als auslaenderfeindlich einschaetzenden Deutschen.

Mit Hilfe eines facettentheoretischen Ansatzes - und der durch ihn moeglichen Methoden der multidimensionalen Skalierung - waren wir in der Lage, die sprachliche Realisation der wichtigsten der von uns angenommenen Funktionen sozialer Diskriminierung zu identifizieren: naemlich die soziale Trennung von den anderen, die Abwertung dieser anderen und die Fixierung dieser Abwertung in Form dauerhafter Eigenschaften und Typen. Damit war erst einmal empirisch gesichert, dass es eine mit rein sprachlichen Mitteln realisierte explizite Diskriminierung von anderen gibt.

Nicht gesagt ist damit, dass dies auch die uebliche oder gar haeufigste Form sprachlicher Diskriminierung ist. Es ist vielmehr sowohl alltaegliche Erfahrung wie sozialwissenschaftlicher Befund, dass explizit auslaenderfeindliche, rassistische, antisemitische und sexistische Aeusserungen in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden sind, wenn man von den bewusst als medienwirksame Provokationen herausgebruellten oder an die Waende geschmierten Parolen rechtsextremer Gruppen absieht. Im alltaeglichen Diskurs sind explizit fremdenfeindliche und rassistische Aeusserungen eher selten. Doch besagt die - fuer Europa wie die USA belegte - Abnahme offen fremdenfeindlicher und rassistischer Aeusserungen nicht, dass Auslaenderfeindlichkeit und Rassismus als solche abgenommen haetten. Lediglich ihre unverbluemte Aeusserung ist inzwischen gesellschaftlich unerwuenschter, als dies einmal, zum Beispiel in Deutschland vor 1945, der Fall war.

Auf Grund dieser Veraenderung haben wir in der letzten Zeit unser Forschungsinteresse auf die implizite Diskriminierung gerichtet, also auf solche Aeusserungen, die lediglich durch Hinweise auf ein gemeinsames Vorwissen oder auf die gemeinsam erlebte Situation, aber nicht an der "Sprachoberflaeche" als diskriminierend erkannt werden koennen. Das heisst aber: Wer eine unausdrueckliche Diskriminierung loswerden will, muss sich darauf verlassen koennen, dass die Zuhoerer und Zuhoererinnen ohnehin schon "wissen", was es beispielsweise mit Tuerken, Schwarzen, Zigeunern, Juden, Asylanten auf sich hat, die also bestimmte Vorurteile und Stereotypen "stillschweigend" mit dem Diskriminator teilen. Das aber bedeutet, dass die Abloesung der expliziten durch die implizite Diskriminierung nicht die Abnahme, sondern - im Gegenteil - die hinreichende Verbreitung sozialer, ethnischer und rassischer Vorurteile zur Voraussetzung hat.

Beispiele fuer implizite sprachliche Diskriminierung sind schwieriger zu vermitteln, weil sie auch die von Fall zu Fall unterschiedlichen Hinweise auf den Sprechern und Hoerern gemeinsamen Kontext beziehungsweise die ihnen gemeinsame Situation vermitteln muessen. So wird erst durch die Situation der Warteschlange an einer Supermarktkasse, an der eine offenkundig als Auslaenderin erkennbare Kundin Verstaendigungsschwierigkeiten mit der Kassiererin hat, der Ausruf einer anderen Kundin, "Manchmal vergesse ich, dass wir in Deutschland sind", in seinem diskriminatorischen Charakter erkennbar. Auf einem wohl sehr weit verbreiteten Vor"wissen" beruht dagegen die diskriminierende Aeusserung einer deutschen Hausfrau, die sich mit einer anderen ueber Haushaltshilfen unterhaelt: "Sie ist Tuerkin, aber ehrlich und sehr sauber", worin man im uebrigen eine Abwandlung des althergebrachten "arm, aber ehrlich" erkennen mag. Hier wie in der stolzen Behauptung einer deutschen Ruecksiedlerin aus Rumaenien, "Wir sind mit allen gut ausgekommen, selbst mit Juden", beschraenkt sich der rein sprachliche Hinweis auf die zugrundeliegende soziale Attituede und das vom Sprecher unterstellte Vorwissen auf die verwendeten Konjunktionen und anderen Partikel.

Gegenwaertig untersuchen wir in einer Medienanalyse, vor allem sogenannter serioeser Organe, wie der FAZ oder des Mannheimer Morgen, mit Hilfe welcher sprachlichen Hinweise erfolgreich auf welche in der Bundesrepublik verbreiteten Vorannahmen ueber Auslaender verwiesen werden kann, ohne dass sich also die betreffende Quelle einer eindeutig auslaenderfeindlichen Aeusserung bezichtigen liesse.

Autor:
Prof. Dr. Carl Friedrich Graumann
SFB 245, Psychologisches Institut, Hauptstr. 47-51, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 77 03

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