Siegel der Universität Heidelberg
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Im Inneren des Zellkerns

Die Lichtmikroskopie schuf die Basis fuer die Erforschung der kleinsten Einheiten des Lebens. Heute gewaehrt die Kombination raffinierter Faerbemethoden mit superaufloesender Mikroskopie und 3D-Computer-Rekonstruktionen einen direkten Blick auf die raeumliche Gestalt der Chromosomen im Zellkern, selbst einzelne Genorte werden sichtbar. Wieder einmal muessen Naturwissenschaftler ihre Vorstellungen revidieren: Chromosomen fuellen nicht wie Kabelgewirr den Zellkern. Und sie veraendern ihre Gestalt, nicht ihr Volumen, wenn sie aktiv sind. Im Institut fuer Angewandte Physik arbeiten Christoph Cremer und sein Team an der Weiterentwicklung der Darstellungsmethoden, mit denen die medizinische Forschung grundlegende neue Erkenntnisse beispielsweise ueber die Tumorentstehung gewinnen koennte.

Vor rund dreihundert Jahren erfand der Englaender Robert Hooke das zusammengesetzte Lichtmikroskop, mit dem er Feinheiten erkennen konnte, die dem blossen Auge bis dahin verborgen geblieben waren: merkwuerdige Unterteilungen in Pflanzen, die er "cellulae", Zellen, nannte. Was sie bedeuteten, konnte damals allerdings niemand sagen. Genauere Untersuchungen waren wegen der ueberaus schlechten Bildqualitaet der fruehen Mikroskope nicht moeglich. Mikroskopieren aehnelte dem "Lesen im Kaffeesatz", und es fehlte nicht viel, und die Franzoesische Akademie der Wissenschaften, die angesehenste wissenschaftliche Autoritaet der damaligen Zeit, haette die Mikroskopie als unwissenschaftlich verdammt, "da jeder damit sehen koenne, was er wolle". Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren die Instrumente nicht sehr viel besser, so dass Goethe mit seinem Urteil, dass Mikroskope nur verwirren, beinah recht hatte. Noch zu seinen Lebzeiten trat jedoch eine gewaltige Aenderung ein. Lichtmikroskope mit erheblich besserer Bildqualitaet ermoeglichten eine fundamentale Entdeckung, ohne die die heutige Biologie und Medizin nicht vorstellbar sind: die Erkenntnis, dass alle lebenden Organismen, Pflanzen, Tiere und Menschen, aus winzigen lebenden Untereinheiten zusammengesetzt sind, eben aus Zellen. Zunaechst schienen die wenige tausendstel Millimeter kleinen Zellen recht einfache Gebilde zu sein, aber der Eindruck erwies sich als grundfalsch. So entdeckte man Mitte des letzten Jahrhunderts, dass die meisten Zellen einen Kern besitzen, der sich vom Rest, dem Zytoplasma, deutlich unterscheidet. Er fehlte nur bei sich teilenden Zellen, bei denen stattdessen fadenfoermige Strukturen von etwa einem bis mehreren Mikrometern Laenge sichtbar wurden, die Chromosomen. Sie mussten irgendwie auch im Zellkern enthalten sein, selbst wenn man sie dort nicht sehen konnte. Heute wissen wir, dass die Chromosomen fast die gesamte Information enthalten, die fuer das Leben der Zellen und fuer den Aufbau der aus ihnen gebildeten Lebewesen wichtig ist. Die genetische Information ist in menschlichen Zellen beispielsweise auf 46 einzelne Chromosomen aufgeteilt. In jedem von ihnen ist die Information in einem riesigen DNA-Molekuel gespeichert, das ausgestreckt mehrere Zentimeter lang sein wuerde. Die gesamte Erbmasse einer Zelle entspraeche rund zwei Metern.

Wie lassen sich 46 DNA-"Kabel" mit einer Gesamtlaenge von zwei Metern in einem Raum wie dem Zellkern unterbringen, der einen rund zweihunderttausendmal kleineren Durchmesser hat? Da es bis vor kurzem nicht moeglich war, die DNA-Faeden eines einzelnen Chromosoms im Zellkern mit Hilfe chemischer Farbstoffe im Mikroskop sichtbar zu machen, bluehte rund ein Jahrhundert lang die Spekulation. Grundsaetzlich hielten Biologen zwei Erklaerungen fuer moeglich: Die eine ging davon aus, die langen DNA-Faeden durchzoegen einen Grossteil des Zellkerns, aehnlich dem Kabelgewirr in einer alten Telefonzentrale. Die andere nahm an, der DNA-Faden jedes einzelnen Chromosoms sei im Zellkern zu einer Art Knaeuel aufgewickelt; die einzelnen Chromosomen naehmen entsprechend jeweils nur ein kleines Teilvolumen des Zellkerns ein. Erst vor wenigen Jahren ist es gelungen, einzelne Chromosomen im Zellkern direkt lichtmikroskopisch sichtbar zu machen und damit die rund hundert Jahre alte Streitfrage der Zellbiologie zugunsten der zweiten Moeglichkeit zu entscheiden. Und zwar wiederum mit Hilfe eines neuen Verfahrens, der "chromosomalen Suppressionshybridisierung", bei der Chromosomen mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert werden - anschaulich auch "chromosome painting" genannt (siehe den Beitrag von Thomas Cremer und Mitarbeitern in Ruperto Carola 1/93).

Chromosomen sind nur im Zellkern genetisch aktiv, also ausserhalb der Teilungsphase; aber auch hier werden je nach Zelltyp nur bestimmte Gene abgelesen, nur so kann ein hochkomplexer Organismus wie der menschliche Koerper gebildet und erhalten werden. Sogar ganze Chromosomen koennen genetisch "abgeschaltet" werden, zum Beispiel bei Frauen eines der beiden weiblichen Geschlechtschromosomen, der X-Chromosomen. In den Kernen einer bestimmten Zelle ist nur eines der beiden X- Chromosomen aktiv. Eine allgemein akzeptierte Annahme geht davon aus, das genetisch inaktive Chromosom sei um ein Vielfaches staerker kondensiert als das genetisch aktive. Beide Chromosomen muessten also ein unterschiedliches Volumen im Zellkern einnehmen. Die Entwicklung der "chromosome painting"-Methode erlaubte es nun erstmals, diese bereits mehrere Jahrzehnte alte Vorstellung experimentell zu pruefen. Dazu war es notwendig, die Volumina des aktiven und des inaktiven X-Chromosoms nach der Faerbung mit Hilfe von Verfahren der dreidimensionalen Mikroskopie zu bestimmen.

Wie sie funktioniert, verdeutlicht ein Beispiel aus der Fotographie: Wenn man die Bluete eines Kirschbaumzweigs mit einer Nahfeldlinse aufnehmen will, muss man sie in einen bestimmten Abstandsbereich - zum Beispiel zwischen zehn und zwoelf Zentimetern - bringen, sonst wird das Bild unscharf. Die geringe Schaerfentiefe laesst sich aber auch dazu verwenden, ein dreidimensionales Bild des gesamten Zweiges zu erhalten, indem man die hintereinanderliegenden Teile des Gegenstands nacheinander in den Schaerfenbereich des Objektivs bringt und jeweils ein Bild aufnimmt. Jedesmal ist nur ein Teil der Blueten scharf abgebildet. Dieses Verfahren wird als "optisches Schneiden" bezeichnet. Zusammengesetzt ergeben alle Fotos, alle optischen Schnitte, ein dreidimensionales Bild des Zweigs. Je geringer die Schaerfentiefe, desto genauer wird das Bild. Optische Schnitte bilden auch die Grundlage der dreidimensionalen Mikroskopie. Die verschiedenen Ebenen des Objekts, in unserem Fall eines Zellkerns mit spezifisch angefaerbten Chromosomen, werden nacheinander in den Schaerfenbereich des Mikroskopobjektivs gebracht und "fotographiert". Bei herkoemmlichen Mikroskopen, die im wesentlichen noch wie das von Robert Hooke entwickelte aufgebaut sind, betraegt die optimale Schaerfentiefe etwa einen Mikrometer, das heisst die raeumliche Entfernungsaufloesung ist ebenfalls etwa ein Mikrometer. Die Chromosomenterritorien im Zellkern, die wir untersuchen wollen, haben aber nur etwa den dreifachen Durchmesser dieser Groesse, eine brauchbare Volumenbestimmung ist daher kaum moeglich.

Um die Schaerfentiefe weiter zu vermindern und damit die Entfernungsaufloesung und Volumenbestimmung verbessern zu koennen, mussten grundsaetzlich neue Wege der hochaufloesenden Lichtmikroskopie gefunden werden. Aufgrund experimenteller Erfahrungen, die Thomas Cremer und ich bei dem Bau und der biologischen Anwendung von Lasermikrobestrahlungsapparaturen gewonnen hatten, schlugen wir im Jahr 1978 folgendes Verfahren vor: Der Zellkern wird Punkt fuer Punkt von einem stark fokussierten Laserstrahl abgetastet und angeregt, Fluoreszenzlicht auszusenden. Ein ausserordentlich empfindlicher Lichtmesser registriert punktweise das Fluoreszenzlicht und setzt daraus das Bild zusammen, aehnlich wie ein Fernsehbild. Der entscheidende "Trick" liegt darin, dass sich vor dem Lichtmesser ein kleines Loch befindet, eine Blende. Der Durchmesser der Blende ist so gewaehlt, dass sie weitgehend nur Licht von dem jeweils beleuchteten Objektpunkt durchlaesst. Dadurch sollte es moeglich werden, die raeumliche Ausdehnung von kleinen biologischen Objekten genauer zu bestimmen. Arbeitsgruppen am Europaeischen Labor fuer Molekularbiologie in Heidelberg, EMBL, und an der Universitaet Amsterdam haben einige Jahre spaeter ein aehnliches Verfahren realisiert, das sie "konfokale Laserscanningfluoreszenzmikroskopie" nannten. Die mit einem solchen Mikroskop erzielten optischen Schnitte sind ungefaehr doppelt so "scharf", das heisst, die raeumliche Entfernungsaufloesung betraegt nunmehr nur etwa einen halben Mikrometer und damit nur noch etwa ein Sechstel des Durchmessers eines Chromosomenterritoriums. In enger Zusammenarbeit mit den Pionieren der neuen hochaufloesenden Mikroskopie am EMBL haben Mitarbeiter der Arbeitsgruppe von Thomas Cremer am Institut fuer Humangenetik und Anthropologie und meiner eigenen Gruppe die konfokale Fluoreszenzmikroskopie dazu verwendet, Volumen und Gestalt des aktiven und des inaktiven X-Chromosoms in weiblichen menschlichen Zellen quantitativ zu bestimmen. Als erstes registrierten wir von jedem Zellkern optische Schnitte und vermassen sie anschliessend mit Hilfe dreidimensionaler Computerverfahren. Unsere Ueberraschung war gross, als wir sahen, dass das aktive und das inaktive X-Chromosom - entgegen der allgemein verbreiteten Lehrmeinung - ein fast gleiches Volumen hatten. Verschiedene Experimente und Computerauswertungsverfahren bestaetigten immer wieder dieses merkwuerdige Ergebnis. Das bedeutete, der Kondensationsgrad, die Dichte, der Chromosomen war nicht der entscheidende Faktor fuer ihre genetische Aktivitaet.

Welche Groesse war dann entscheidend? Auf der Grundlage anderer experimenteller Beobachtungen und theoretischer Ueberlegungen haben Thomas Cremer, Peter Lichter, Deutsches Krebsforschungszentrum, und der Verfasser vor kurzem ein neues Modell fuer die Struktur von Chromosomen im Zellkern entwickelt. Unserem Modell zufolge befinden sich die genetisch aktiven Gene an der Oberflaeche der Chromosomenterritorien. Inaktive Gene koennen ins Innere des Chromosoms verlegt werden. Die Oberflaechen der Chromosomen stossen sich aufgrund ihrer elektrisch negativen Ladung gegenseitig ab. Als Folge davon entsteht zwischen ihnen ein schmaler Zwischenraum, in dem sich die teilweise sehr grossen Molekuele bewegen koennen, die wichtig fuer das Ablesen der Gene sind, fuer ihre Regulation und Reparatur sowie fuer die Vermehrung der chromosomalen DNA. Durch das Einstroemen vieler solcher Molekuele (oder auch von Viren) kann der zunaechst schmale Zwischenraum unter Umstaenden betraechtlich erweitert werden.

Da in verschiedenen Koerpergeweben verschiedene Gene aktiv sind, muessten die Chromosomen je nach Zelltyp und Entwicklungsstand des Organismus eine unterschiedliche raeumliche Struktur haben. Chromosomen mit vielen aktiven Genen muessten eine groessere Oberflaeche besitzen als solche mit wenigen aktiven Genen. Wir haben dies experimentell mit Hilfe der Computerrekonstruktion getestet und herausgefunden, dass das aktive X-Chromosom eine wesentlich groessere Oberflaeche aufweist als sein inaktives Gegenstueck. Da sie sich hinsichtlich des Volumens nicht unterscheiden, ist das natuerlich nur moeglich, wenn sich die Form aendert. Tatsaechlich ist das aktive X-Chromosom laenglicher und flacher als das mehr kugelige inaktive. Die uebrigen 44 Chromosomen, die in jeder Zelle paarweise vorkommen, haben eine sehr aehnliche genetische Aktivitaet und sollten daher unserem Modell zufolge auch eine aehnlich grosse Oberflaeche besitzen. Um dies zu pruefen, haben wir zusaetzlich zu den beiden X-Chromosomen auch die beiden Chromosomen Nr. 7 fluoreszenzmarkiert. Optische Schnitte und dreidimensionale Computerrekonstruktion bestaetigten unsere Annahme. Um die dreidimensionale Architektur genauer zu untersuchen, wollten wir die Lage bestimmter Gene in einem Chromosom ermitteln. Das ist nicht nur von fundamentaler wissenschaftlicher Bedeutung fuer die Biologie der Zelle im allgemeinen, sondern auch fuer die medizinische Grundlagenforschung. Beispielsweise ergibt sich aus unseren Ueberlegungen eine unmittelbare Konsequenz fuer die Lage von "Krebsgenen", sogenannten Onkogenen, die - vor allem wenn sie in vielen Kopien vorliegen - zur ungehinderten Teilung einer Zelle fuehren koennen. Nur in Zellen, in denen Onkogene an der Oberflaeche des Chromosoms liegen, sollte boesartiges Wachstum auftreten. Wie die raeumliche Anordnung aktiver Gene tatsaechlich aussieht und wie sie zustande kommt, ist bisher allerdings vollstaendig unbekannt. Die Behauptung, aktive Gene laegen an der Chromosomenoberflaeche, ueberpruefen wir zur Zeit experimentell anhand des "c-myc-Onkogens", das bei vielen boesartigen Krebserkrankungen eine zentrale Bedeutung hat. Die Auswertung unserer 3D-Rekonstruktionen ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch eines ist bereits klar: Es wird sehr schwierig sein, eindeutig zu entscheiden, welche Gene direkt an der Oberflaeche liegen und welche im Inneren verborgen sind. Das raeumliche Aufloesungsvermoegen der gegenwaertigen konfokalen Mikroskope ist noch immer zu begrenzt. Die bisher beschriebenen Verfahren koennen nur Punkte unterscheiden, die in Richtung der Mikroskopachse nicht mehr als einen halben Mikrometer und in horizontaler Richtung etwa 0,2 Mikrometer voneinander entfernt sind. Das reicht aus, um erste Aussagen ueber das Volumen und die Gestalt eines Territoriums zu gewinnen, praezise Erkundungen der Feinstruktur sind jedoch sehr muehsam. Daher waere es ausserordentlich wuenschenswert, die dreidimensionale Aufloesung weiter zu verbessern.

Mit sogenannten Fernfeld-Mikroskopen liesse sich das erreichen. Damit koennte man relativ "dicke" Objekte, wie Zellkerne mit ihren rund zehn Mikrometern Durchmesser, mit stark erhoehter raeumlicher Aufloesung untersuchen, ohne sie wie bisher in hauchduenne Scheiben schneiden zu muessen, und mit der "Multifluoreszenz-Hybridisierung" waere es moeglich, gleichzeitig viele Genorte spezifisch mit verschiedenen Farben zu markieren. Eine solche Forderung ist leicht aufgestellt; in jedem Lehrbuch der Physik kann man aber nachlesen, dass wegen der Wellennatur des Lichtes eine hoehere Aufloesung als etwa 0,2 Mikrometer mit Fernfeld-Mikroskopen grundsaetzlich nicht zu erreichen ist. Das stimmt auch fuer Mikroskoptypen, wie sie Ernst Abbe kannte, der vor rund hundert Jahren in Jena grundlegende Ueberlegungen zum Aufloesungsvermoegen von Mikroskopen aufgestellt hat. Doch Ernst Abbe kannte weder Laserlicht noch Hologramme. Wenn man Laserlicht von allen Seiten auf geeignete Hologramme auftreffen laesst, sollte es grundsaetzlich moeglich sein, Licht sehr viel staerker zu fokussieren als mit herkoemmlichen Linsensystemen.

Thomas Cremer und ich haben in den siebziger Jahren einen Vorschlag veroeffentlicht, wie man diese theoretische Moeglichkeit fuer den Bau eines konfokalen Laserscanningmikroskops mit erhoehter Aufloesung ausnutzen koennte. Wir stellten uns vor, Laserlicht von allen Seiten auf ein Hologramm fallen zu lassen, und damit in einem Punkt eine sehr viel schaerfere Buendelung des Lichtes zu erreichen als mit einem normalen Mikroskopobjektiv. Das von dem Objektpunkt im Fokus ausgehende Fluoreszenzlicht wuerde dann in aehnlicher Weise wie bei einem herkoemmlichen konfokalen Mikroskop registriert. Um ein dreidimensionales Bild des Objekts zu erhalten, sollte dieses punktweise durch den Fokus des "4pi-Hologramms" geschoben werden.

Bislang ist ein solches "4pi-holographisches Mikroskop" noch nicht verwirklicht worden. Dafuer ist man dem Ziel einer verbesserten Aufloesung auf andere Weise naeher gekommen. Im Rahmen seiner Dissertation am Institut fuer Angewandte Physik bei Siegfried Hunklinger ueberlegte sich Stefan Hell, dass ein "4pi-Mikroskop" realisiert werden koennte, indem man Laserlicht gleichzeitig durch zwei einander gegenueberstehende Mikroskopobjektive auf einen gemeinsamen Fokus buendelt. Das von dem dort befindlichen Objektpunkt ausgehende Licht wird konfokal mit einem Lichtdetektor registriert. Ein dreidimensionales Bild entsteht, wenn das Objekt punktweise durch den Laser-Fokus bewegt wird. Stefan Hell berechnete, dass auf diese Weise die Aufloesung in Richtung der optischen Achse, das heisst der Mittellinie durch die beiden Objektive, 0,1 Mikrometer und weniger betragen koennte, statt bestenfalls 0,5 Mikrometer wie bisher. Im Anschluss an seine Doktorarbeit konnte er seine Idee in ersten Experimenten in der Arbeitsgruppe von Ernst Stelzer am EMBL in Heidelberg testen. Mit ersten Prototypen des neuen Mikroskops erreichte er experimentelle Aufloesungen in Richtung der optischen Achse von 0,075 Mikrometern. Weitere theoretische Ueberlegungen, die er nun an der Universitaet Turku in Finnland anstellt, zeigen, dass ein noch um den Faktor zwei kleinerer Wert moeglich sein sollte. Bei den von ihm konzipierten superaufloesenden Lichtmikroskopen wird die hohe Aufloesung entweder in Richtung der optischen Achse erreicht oder senkrecht dazu. Eine erhoehte Aufloesung in alle drei Raumrichtungen gleichzeitig ist jedoch von groesster Bedeutung, um die raeumliche Lage von Genorten zueinander mit genuegender Genauigkeit zu bestimmen. Eine Moeglichkeit, dies mit den bisher vorgestellten lichtmikroskopischen Verfahren zu erreichen, besteht darin, das Objekt in passender Weise zu drehen und die unter den verschiedenen Beobachtungswinkeln aufgenommenen Bilder anschliessend zu einem Stereobild mit erhoehter raeumlicher Aufloesung zu kombinieren. Aehnlich verbessern wir im taeglichen Leben das "Aufloesungsvermoegen" unseres Auges um ein Vielfaches, indem wir einen Gegenstand drehen oder um ihn herumgehen, ihn also unter verschiedenen Beobachtungswinkeln registrieren.

Dieses Prinzip versuchen wir in der "axialtomographischen Mikroskopie" zu verwirklichen. Noch gilt es, viele Detailprobleme zu ueberwinden; gegenwaertig werden die zu untersuchenden Zellkerne in einer duennen Quarzkapillare von einem Fuenftel Millimeter Durchmesser plaziert. Die Kapillare samt Inhalt kann unter einem Hochleistungsmikroskopobjektiv unter beliebigen Winkeln gedreht und dabei jeweils eine Ebene des Gegenstands mit der hoechstmoeglichen Aufloesung abgebildet werden. Quantitative Messungen zeigen, dass bereits mit dem jetzt realisierten Aufbau raeumliche Distanzmessungen mit hoeherer Genauigkeit durchgefuehrt werden koennen wie bei der herkoemmlichen konfokalen Fluoreszenzmikroskopie.

In einem bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragten Vorhaben des Instituts fuer Angewandte Physik planen wir, den axialtomographischen Drehmechanismus mit einem "Wellenfeldmikroskop" zu verbinden, dessen optischer Aufbau dem eines "4pi-Mikroskops" sehr aehnlich ist. Langfristig hoffen wir, durch die Kombination der Axialtomographie mit der "4pi- Mikroskopie" und anderen Moeglichkeiten superaufloesender Mikroskopie ein raeumliches Aufloesungsvermoegen im Bereich von etwa 0,04 Mikrometern zu erreichen, was einem Zehntel der Wellenlaenge des eingestrahlten Laserlichts entspricht. Ein "Suchvolumen" des Laserfokus von 0,04 Mikrometern in alle Raumrichtungen wuerde es in Verbindung mit geeigneten Hybridisierungsverfahren ermoeglichen, meh- rere hundertmal mehr Information ueber die Struktur eines Chromosomenterritoriums zu erhalten als bisher. Selbst die raeumliche Lage von Teilen einzelner Gene koennte erforscht werden. Von einer genauen Kenntnis der Architektur im Zellkern erwarten wir grundlegende neue Einsichten zum Aufbau der Chromosomen und ihrer Evolution, zu den Grundlagen der Genaktivitaet sowie zu der Entwicklung des ganzen Organismus. Die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Chromosomenarchitektur und bestimmten Krankheiten, vor allem der Entstehung von boesartigen Tumoren, koennte fuer die kuenftige medizinische Forschung weitreichende Bedeutung haben.

Zu den im Text beschriebenen Ergebnissen haben zahlreiche Diplomanden, Doktoranden und Wissenschaftler beigetragen. Insbesondere sind zu nennen: Axel Bischoff, Joachim Bradl, Dr. Michael Hausmann, Steffen Lindek, Bernd Rinke, Khan Saracoglu, Eva Weiland (Institut fuer Angewandte Physik); Roland Eils, Dr. Norbert Quien (Interdiszipli- naeres Zentrum fuer Wissenschaftliches Rechnen und Graduierten- kolleg "Modellierung und Wissenschaftliches Rechnen in Mathematik und Naturwissenschaften"); Stefan Dietzel, Christine Mefferts, Dr. Evelin Schroeck (Institut fuer Humangenetik, Gruppe Prof. Thomas Cremer); Dr. Stefan Hell (Europaeisches Laboratorium fuer Molekular- biologie (EMBL)/Institut fuer Angewandte Physik, und Department fuer Medizinische Physik, Universitaet Turku); Dr. Peter Lichter (Deutsches Krebsforschungszentrum); sowie Prof. Michel Robert- Nicoud und seine Gruppe (Universitaet Grenoble).

Autor:
Prof. Dr. Dr. Christoph Cremer
Institut fuer Angewandte Physik, Albert-Ueberle-Str. 3-5, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 93 93

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