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Von Knochenkrankheiten und Knochenzellen

Mit der rechten Hand etwas aufbauen und es mit der linken zerstören? Das klingt absurd. Nicht für die Zellen im Knochen. Permanent bilden die einen Knochenmasse, und die anderen lösen sie wieder auf. Überwiegt der Abbau, tritt Knochenschwund ein, Osteoporose. Gerät hier der Dialog der Zellen durcheinander? Reinhard Ziegler und seine Mitarbeiter von der Abteilung Innere Medizin I, Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechsel, erforschen das Auf und Ab im Knochengebälk. Bei der Suche nach neuen Therapieansätzen für die Osteoporose haben sie auch die Spur der Vererbung aufgenommen.

Auch stabil erscheinende Organe wie das Knochengewebe weisen einen intensiven Stoffwechsel auf. Der Betrachter muß jedoch eventuell Monate bis Jahre beobachten, bis er relevante Veränderungen entdeckt. Knochenkrankheiten wie die Osteoporose, eine Volkskrankheit, an der fast zehn Prozent aller Menschen leiden - vor allem Frauen in der zweiten Lebenshälfte -, entwickeln sich langsam innerhalb von Jahren und Jahrzehnten. Die Behandlung erfordert ebenfalls Jahre.

Für den Aufbau und den Erhalt der Knochenmasse sind verschiedene Faktoren wichtig: die Zufuhr von genügend Kalzium, Phosphor, Eiweiß, Vitamin D und Fluor ebenso wie die Versorgung mit Sexualhormonen und körperliche Betätigung. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Knochenmasse ab, bei Männern nach dem 30. Lebensjahr jährlich um etwa ein halbes Prozent. Frauen erleben nach der Menopause, wenn dem Körper die Sexualhormone entzogen werden, einen raschen Knochenverlust, der in den ersten Jahren bis zu zehn Prozent jährlich betragen kann. Der dünn gewordene, osteoporotische Knochen bricht schon bei geringer Belastung.

Im menschlichen Organismus kann Osteoporose durch Östrogenmangel entstehen. Zuerst führt das Fehlen des Hormons zu einem gesteigerten Knochenabbau, zur Skelettresorption. Eine Therapie, die versucht, den Abbau aufzuhalten, kann an verschiedenen Stellen des Knochenstoffwechsels ansetzen. Das Dilemma des Endokrinologen ist es, für jeden Typ des Knochenschwunds das geeignete Medikament zu finden. Zum einen kann er Östrogen ersetzen - der Hormontherapie bei Frauen in den Wechseljahren kommt daher die Bedeutung des Knochenschutzes zu. Andere Medikamente, wie Calcitonine und Bisphosphate, hemmen die knochenabbauenden Zellen. Der Fachmann spricht von antiresorptiver, abbauhemmender Therapie. Eine interessante Variante der Osteoporosebehandlung sind Anabolika: Während sie im Sport eine unfaire Muskelmassenzunahme mit möglicherweise besseren Medaillenaussichten herbeiführen, ist ihr kontrollierter Einsatz bei der Osteoporose - wo sie ebenfalls über den aufbauenden Effekt auf die Muskulatur die Knochen stärken - therapeutisch nützlich. Zusätzlich wirken sie als abgeschwächtes Geschlechtshormon. Die nächsten Schritte in der Entstehung der Osteoporose betreffen den Kalziumhaushalt. Durch den verstärkten Knochenabbau steigt der Kalziumspiegel im Blut an, in der Folge wird zuviel Kalzium im Urin ausgeschieden. Auf ein Jahr hochgerechnet, verdoppelt sich dadurch der Knochenmassenverlust. Dieser Mechanismus kann interessanterweise durch harntreibende Mittel blockiert werden, die gleichzeitig Kalzium im Körper zurückhalten, wie Thiazide.

Wenn die Kalziumkonzentration im Blut ansteigt, fällt das Nebenschilddrüsenhormon Parathormon, PTH, ab. PTH wird in der Niere für die Bildung des Vitamin-D-Hormons Calcitriol benötigt. Es entsteht ein relativer Vitamin-D-Mangel, dem man therapeutisch mit PTH gegenzusteuern versucht. Zusätzlich muß dabei der Knochenabbau mit Antiresorptiva gebremst werden.
Direkt substitutiv greift eine Kalziumtherapie in das negative Gleichgewicht ein. Sie kann durch Vitamin D oder Calcitriol unterstützt werden, das die Kalziumaufnahme aus dem Darm ins Blut verbessert. Zur "Kalziumschiene" der Osteoporosetherapie gehört neben der Gabe von Kalzium oder Calcitriol auch die erwähnte Thiazid- Therapie.

Kommt der therapeutische Eingriff zu spät, hat sich die Knochenmasse bereits definitiv vermindert, hilft eine knochenaufbauende Therapie, zum Beispiel mit Fluoriden. Sie aktivieren die knochenaufbauenden Zellen, die Osteoblasten. Auch die Gabe von Anabolika kann im Spätstadium noch sinnvoll sein. Möglicherweise lassen sich auch die ermüdeten Zellen im Knochen durch eine PTH-Therapie neuerlich anregen, Knochenmasse aufzubauen.

Jahrelange Forschung war nötig, um diese Möglichkeiten der Osteoporosebehandlung konsequent auszuloten. Doch trotz langjähriger Studien fehlen noch heute vor allem vergleichende Untersuchungen verschiedener Behandlungsschemata. Zur Erforschung von Knochenkrankheiten stützen sich die Ärzte einerseits auf die Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten. Für die Grundlagenforschung sind andererseits Osteoporose-Modelle im Tierversuch sowie an Knochenzellen im Reagenzglas unabdingbar. Vor allem neue Medikamente müssen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und ihre Risiken zuerst am Tier erprobt werden. Endokrinologen können im Experiment die verschiedenen Arten der Osteoporose, die beim Menschen auftreten, imitieren: Osteoporose durch Sexualhormonmangel, durch Kalziummangel oder durch Medikamente, die den Knochenstoffwechsel ungünstig beeinflussen, wie Cortison. Auch die Dosierung der dem Knochenschwund entgegenwirkenden Medikamente sowie der beste Zeitabstand der Medikation können an Osteoporosemodellen im Tierversuch sehr viel systematischer erprobt werden als es beim Menschen möglich wäre. Für die Therapieforschung notwendige Knochenproben lassen sich ebenfalls beim Versuchstier leichter gewinnen.

Die medizinische Forschung bemüht sich jedoch, Tierversuche auf ein Minimum zu beschränken und möglichst viele Informationen aus Zellkulturen im Reagenzglas zu gewinnen. Knochenzellen können in sehr komplizierten Verfahren in Kultur gezüchtet werden. Es sind anspruchsvolle Gäste, die ein fein abgestimmtes Milieu aus Nährstoffen, Hormonen und sogenannten Wachstumsfaktoren benötigen. Mit Hilfe von Wachstumsfaktoren übermitteln Zellen Nachrichten an ihre Nachbarn. Teilweise wirken die Signale auch auf die aussendende Zelle zurück. Diese Kommunikation ermöglicht es einem Zellverband, geordnete Aufgaben, wie die Reparatur von Defekten, zu übernehmen. In der Ludolf-Krehl-Klinik in Heidelberg untersucht Johannes Pfeilschifter aus meiner Arbeitsgruppe, wie sich knochenaufbauende Zellen in der Kultur verhalten, wenn der transformierende Wachstumsfaktor Beta (TGFß) zugegeben wurde. Mikroskopaufnahmen zeigen, daß Knochenzellen ohne Wachstumsfaktoren einen eher kompakten, inaktiv aussehenden Zellhaufen bilden, während sie sich angetrieben von TGFß ausbreiten und aktiv sind.

Mit umfangreichen Experimenten versucht unser Team, die Gesetzmäßigkeit der normalen Zellfunktion zu analysieren. Beim Knochen ist besonders interessant, daß die knochenaufbauenden Zellen, die Osteoblasten, und die Knochenmasse abbauenden Zellen, die Osteoklasten, eine Arbeitsgemeinschaft bilden. Sie sind aneinander gekoppelt, ein "Coupling"-System. Bei der Osteoporose scheint es nun so zu sein, daß die Informationen von den Osteoklasten zu den Osteoblasten nicht mehr die gleiche Stärke haben. Der Anbau von Knochenbälkchen bleibt hinter dem Abbau zurück, die Knochenmasse vermindert sich. Besonders bedeutsam ist der Verlust durch Cortison- Präparate, den Christian Kasperk direkt an Knochenzellen untersucht. Interessant ist weiterhin, daß eine abbauende Zelle chemische Botschaften freisetzt mit Informationen über die Aufgaben des Knochengewebes, das sie auflöst. Die Signale tragen dann zur Neubildung des Knochens an dieser Stelle bei. Auch hier ist ein Ermüdungseffekt bei Patienten mit Osteoporose denkbar. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Frau in der zweiten Lebenshälfte an Osteoporose erkranken wird, ist größer, wenn ihre Mutter ebenfalls an Knochenschwund gelitten hat. Diesen Zusammenhang untersuchen Christa Scheidt-Nave und Gudrun Leidig-Bruckner intensiv in einer Bevölkerungsstudie in Eppelheim. "Marker" des Knochenstoffwechsels mißt dabei Markus Seibel, die Knochendichte Christian Wüster. In jüngster Zeit sind zu der erblichen Komponente der Osteoporose in Australien neue Hinweise gewonnen worden. Die Rezeptoren für das Vitamin-D-Hormon Calcitriol scheinen bei Osteoporose-Patientinnen möglicherweise weniger gut auf das Vitamin anzusprechen. Rezeptoren sind sozusagen die Schlüssellöcher einer Zelle, durch die ein Hormon seine Wirkung entfalten kann. Es ist eine neue stimulierende Frage auch für unsere Forschungsarbeit, ob die in Australien unter möglicherweise anderen genetischen Bedingungen gewonnenen Befunde auch für unsere Breiten gelten. Neuerlich sind wir als Wissenschaftler gefordert, bei unseren Patienten die entsprechenden Rezeptoren zu erforschen, um neue Wege der Therapie auszuloten.

Autor:
Prof. Dr. Reinhard Ziegler
Ludolf-Krehl-Klinik, Abteilung Innere Medizin I, Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 86 01

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