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"Hafties" auf der Zelloberfläche

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) beginnen meist schon im dritten Lebensjahrzehnt und bestehen oftmals lebenslänglich. Ihre medikamentöse Therapie ist unbefriedigend und mit hohen Rückfallraten verbunden. Auch wenn die Ursache der beiden CED-Hauptformen, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, noch unbekannt ist, weiß man, daß bei beiden Erkrankungen in den entzündeten Darmabschnitten ein dichtes Infiltrat von Entzündungszellen und aktivierten Immunzellen besteht. Das Zellinfiltrat ist nur zu einem geringen Teil durch Zellvermehrung innerhalb der Darmwand entstanden - die meisten Zellen kommen aus der Blutbahn. Zirkulierende Zellen benutzen sogenannte Adhäsionsmoleküle, um sich an die Gefäßinnenwand, das Endothel, anzuheften und in das Darmgewebe einzuwandern. Zelladhäsionsmoleküle sitzen einerseits auf den zirkulierenden Zellen selbst, andererseits sind sie als Rezeptoren oder Liganden auf ortsständigen Endothelzellen zu finden. Bis zu sechs Millionen eines einzelnen Adhäsionsmolekültyps können auf einer einzigen Zelle sitzen. Ihr Auftreten auf der Zelloberfläche wird unter anderem durch ortsständige Aktivators toffe wie Interleukine und Interferon reguliert. Die Anheftung zirkulierender Zellen an die Innenwand von Darmgefäßen verläuft in mehreren Schritten: zuerst drängen sich zirkulierende Zellen von der Mitte des Blutstroms in den gefäßwandnahen Randbereich (margination). Dann verlangsamen sie ihre Strömung sgeschwindigkeit (rolling). Einem ersten lockeren Kontakt mit dem Gefäßendothel (tethering) folgt die feste Anbindung (adhesion). Schließlich quetscht sich die vormals zirkulierende Zelle zwischen den Endothelzellen in das darunterliegende Gewebe (transen dothelial migration). Hier kann sie, im Falle von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, an der Entzündungsreaktion und der Antigen-Zerstörung in der Darmwand mitarbeiten. Wir haben mehrere Zelladhäsionsmoleküle an operativ entfernten chronisch entzündeten Darmgeweben mit immunhistologischen Methoden untersucht. Vor allem interessierten uns Areale, die noch nicht entzündlich verändert waren. Hieran läßt sich die Bedeutung v on Zelladhäsionsmolekülen für die Entstehung des entzündlichen Zellinfiltrats besonders gut analysieren. Wir fanden eine vermehrte Dichte von platelet endothelial cell adhesion molecule-1, PECAM-1, und lymphocyte function associated antigen-1, LFA-1, währ end der endotheliale Rezeptor für LFA-1, intercellular adhesion molecule-1, ICAM-1, im Vergleich zu gesundem Kontrollgewebe vermindert vorkam. Letzteres ist möglicherweise auf die unterdrückende Wirkung von Nebennierenhormonen, Glukokortikoiden, zurückzuführen, die die Mehrzahl der Patienten vor und während der Operation erhielt. Das gesteigerte Vorkommen von PECAM-1 und LFA-1 zeigt, daß diese Adhäsionsmoleküle bereits an den frühen Veränderungen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen beteiligt sind - vor der eigentlichen Entzündung. Es ist denkbar, daß durch die Blockade von PE CAM-1 und LFA-1 mit monoklonalen Antikörpern die Adhäsion und Infiltration zirkulierender Entzündungszellen erschwert oder verhindert werden kann. Das gelang bereits in tierexperimentellen Untersuchungen bei anderen Erkrankungen und führte zum Beispiel zu r Verminderung der Abstoßungsreaktion von transplantierten Organen. Bevor das Verfahren für einen breiteren CED-Patientenkreis angewandt werden kann, sind noch zahlreiche Voruntersuchungen notwendig, in denen unter anderem die Art und Dauer der Verabreich ung sowie Dosis und Verträglichkeit der Antikörper geklärt werden müssen. Mutig in die Zukunft geblickt, könnte die Blockade von Zelladhäsionsmolekülen in der Rezidivprophylaxe, vielleicht sogar in Kombination mit chirurgischen Verfahren, Anwendung finden.

Dr. Guido Schürmann
Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg

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