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Meinungen

Horst Krautkrämer, langjähriger Leiter der Wissenschaftsredaktion Hörfunk des SDR, meint, daß Deutschland als Wissenschaftsstandort besser ist als sein Ruf.

Wer die Meinung vertreten will, gar so wissenschaftsfeindlich, wie führende Forscher unser Land und seine Leute gerne hinstellen, sei das Klima hierzulande keineswegs, tut gut daran, sich zunächst mit ein paar Aussagen unverdächtiger Gewährsleute zu wappnen. Ein aparter Fund ist das folgende Zitat: "Medizintechniker und -forscher bemängelten fehlendes Innovationsinteresse der Industrie sowie aufwendige und zeitraubende Zulassungsverfahren der Behörden. All dies werde die führende Position der USA untergraben und verprelle den Forschernachwuchs. Einige Firmen seien bereits nach Europa ausgewandert."

Die Versuchung war groß, in diesem Zitat "USA" und "Europa" in ihrer Satzposition auszutauschen. Dann wäre es wohl hier durchgegangen als Auszug aus einem Bericht von einem beliebigen Kongreß hierzulande. Das Zitat stammt indes aus dem Bericht der ZEIT von der 161. Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science im Februar 1995. Hätte ich mir die Mühe gemacht, auf Kongressen und Kolloquien in Deutschland vergleichbare Zitate zu sammeln, könnten hier leicht ein paar Dutzend ausgebreitet werden. Denn es gehört offenbar für die Avantgarde der Naturwissenschaftler, vor allem wenn sie mit herausragendem Leistungsprofil und dementsprechend hohem Öffentlichkeitswert ausgestattet sind, zu den Ritualen der Imagepflege, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Deutschland als Forschungsstandort geringzuachten und schlechtzureden. Hinweise auf die geradezu paradiesischen Zustände in den USA oder gar Japan, wie die Empfehlung an den wissenschaftlichen Nachwuchs, dorthin auszuwandern, folgen solchen Suaden, wie das Amen dem Gebet. Und wer für einige Zeit oder auf Dauer ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten geht, versäumt selten, die Schuld für seine Emigration den schlimmen hiesigen Zuständen anzulasten. Der Verdacht liegt nahe, daß mancher sich zu einem Standortflüchtigen stilisiert. Es gilt hierzulande immer noch als unfein, sich zu materiellen Interessen zu bekennen. Schließlich ist auch so manche von Protestreden begleitete Konzernentscheidung zugunsten der Etablierung einer Forschungs- oder Produktionseinheit im Chemie-, Pharma- oder Biotech-Sektor im Ausland bei Lichte besehen eine notwendige Referenz an den globalen Markt. Industrieforschung muß heutzutage in den Ländern präsent sein, wo ihre Produkte auf dem Markt sein wollen.

Bei einigen im Chor der "Dissidenten aus Frustration" mag auch die Befindlichkeit so sein, wie sie im folgenden beschrieben ist: "Es ist in den letzten Jahren besonders in der Gentechnikdiskussion in der Bundesrepublik zu beobachten, daß Teilwissen und Teilinformationen über die amerikanische Regulierungspraxis und ihre historische Genese zur Legendenbildung geführt haben. Glaubt man beispielsweise den öffentlichen Statements führender deutscher Genforscher und der interessierten Industrieverbände, so bekommt man den Eindruck, daß die USA geradezu das ,SchlaraffenlandÈ der Gentechnik sein müssen. Die Regulierungssituation soll um so viel besser sein als in der Bundesrepublik, daß praktisch jeder intelligente junge Genforscher und jedes innovative Gentechnik-Unternehmen aufgrund der schwierigen Regulierungssituation hierzulande gezwungen sei, Europa und speziell Deutschland den Rücken zu kehren." So steht es in einem Gutachten des Fraunhofer- Instituts für Systemtechnik und Innovation, 1993 im Auftrag des Deutschen Bundestages erstellt - und seither in der Schublade verwahrt.

Jemand, der offenbar Gelegenheit hatte, das 500 Seiten starke Vertragswerk zu lesen, das einer Tochterfirma des deutschen Pharmaunternehmens Bayer seine Niederlassung in der Gemeinde Berkeley sichert, kommt zu dem Schluß: "Sowohl die Vorgehensweise als auch die gesammelten Erfahrungen stehen in krassem Gegensatz zur von Teilen der deutschen Industrie in der Diskussion um die Novellierung des Gentechnikgesetzes vertretenen Argumentation, daß strikte Auflagen zu einer Abwanderung der industriellen Produktion führen müssen. Vor dem Hintergrund des beschriebenen Falles stellt sich die Frage, ob in wichtigen Fällen eine solche Abwanderung nicht aus anderen Gründen, praktisch unabhängig von der Regulierungssituation, erwogen wird bzw. erfolgt."

Und zur Fallbeschreibung gehört unter anderem, daß das Unternehmen der Stadtadministration von Berkeley gegenüber Verpflichtungen eingegangen ist, die "von Aus- und Fortbildungsprogrammen bis hin zu Infrastrukturmaßnahmen wie dem Ausbau eines Radwegenetzes in der Gemeinde" reichen. Mit dieser Art Zusagen kaufte sich die Industrie auf 30 Jahre frei von großen Unsicherheitsfaktoren.

Kein Wissenschaftsjournalist brauchte eigene Meinung zu riskieren, wenn er das deutsche System mit Schmähkritik überziehen wollte - Insider des Wissenschaftsbetriebes liefern ihm beinahe täglich Zitierenswertes. Nur: Für sie ist es schwer genug, in den auf die Freizeitwelt fixierten öffentlichen Medien für ihre Themen Plätze zu finden. Und Versuche, gar eine Rolle als "Lobbyisten der Wissenschaft" spielen zu wollen, läßt sie aussehen wie Don Quichote, den Ritter von der traurigen Gestalt.

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