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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Vom 31. August bis zum 3. September 1998 fand im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg ein internationales Symposion statt, das dem Technikbegriff der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger gewidmet war.

Anlaß zum Gedenken boten der Geburtstag Friedrich Georg Jüngers, der am 1. September 1998 hundert Jahre alt geworden wäre, und der Tod Ernst Jüngers, des wohl bedeutendsten in Heidelberg geborenen Autors, der im Februar 1998 in seinem 103. Lebensjahr verstorben ist. Für den thematischen Rahmen des Symposions war indes entscheidend, daß Ernst und Friedrich Georg Jünger die Entwicklung des modernen technischen Zeitalters in ihren literarischen, publizistischen und autobiographischen Schriften scharfsinnig kommentiert und diskutiert haben. So war es das Ziel der dreitägigen Veranstaltung, an der Jüngerforscher aus sechs Ländern teilnahmen, die in mancher Hinsicht kontroversen, aber auch antagonistisch aufeinander bezogenen Technikvorstellungen der geistigen Zwillingsbrüder im Kontext der Zeit zu begreifen. Erst vor dem Hintergrund der technikkritischen Entwürfe von Ludwig Klages, Oswald Spengler, Ernst Niekisch, Martin Heidegger oder Günther Anders – so zeigte sich im Verlauf der Tagung – gewinnen die Jüngerschen Aussagen zur Technik ihr spezifisches Profil. Sie erweisen sich als wichtige Orientierungspunkte auf dem Weg in eine vom technischen Fortschritt bestimmte Zukunft, deren Risiken und Chancen auch durch die sogenannte "Technikfolgenabschätzung" kaum auszuloten sind.

Die Frage nach dem Stellenwert der Technik in der modernen Lebenswelt hat Ernst und Friedrich Georg Jünger seit ihrer Jugend beschäftigt. Von ihrem Vater, der bei Victor Meyer Chemie studiert hatte, waren sie im Geist der modernen Naturwissenschaften erzogen worden. So wurden auch sie noch vom "rationalen Geist der Heidelberger Universität" (Zwei Mal Halley) gestreift. Daß Gedanken "durch Kombination und Zerfall von Eiweißmolekülen produziert" werden sollten, genügte ihnen aber nicht. Deren sinnlich geistige Erfahrung war ihnen wichtiger. Dominieren zunächst Ernst Jüngers zivilisationskritische, ja bürgerfeindliche Visionen der zwanziger Jahre, die in der Gestalt des Arbeiters ihre schärfste Ausprägung fanden, so gewinnen später Friedrich Georgs pessimistische Ansichten zur "Perfektion der Technik" ein immer stärkeres Gewicht. Auch Ernst Jünger adaptierte sie, wenn er in seinem Pariser Tagebuch (13.08.42) skeptisch zu fragen begann, ob man die Freiheit an die Technik verliere, ob gar eine "neue Form von Sklaverei" sich anbahne, die "mit Komfort" und "mit dem Besitz von Macht" verbunden sei. Obgleich Ernst Jünger ehemals selbst vom "süßen Opium der Geschwindigkeit" fasziniert war (Sizilischer Brief an den Mann im Mond) und im Arbeiter (1932) die "widerspruchlose Verschmelzung des Menschen mit den Werkzeugen, die ihm zur Verfügung stehen", proklamiert hatte (53. Kapitel), lernte er einsehen, daß auch "am Technischen viel Illusion" sei (Gläserne Bienen). Und die Bürokratisierung der Wissenschaften, als eine Folge der technischen Rationalisierung im Verwaltungsbereich, kommentierte er mit den lapidaren Worten: "Den Professoren wird das Apportieren beigebracht" (Heliopolis). Die "Antiquiertheit des Menschen" steht – wie Günther Anders – auch den Brüdern Jünger vor Augen. "Wir halten mit unserer Entwicklung nicht mehr Schritt", notiert Ernst Jünger in Zwei Mal Halley; und noch in seinem letzten Werk, Siebzig verweht V, sieht er die "Drohung apokalytischer Katastrophen" mit dem "Fortschritt, der in den Naturwissenschaften und der Technik jede Utopie übertrifft", einhergehen. Somit verdüstert sich das Bild der Technik in den Werken Ernst Jüngers, wie in denen seines Bruders, zusehends. Beide zeugen von einem titanischen Zeitalter, dessen humane Substanzen sie jedoch in der Poesie glauben bewahren zu können.

Die hier nur knapp skizzierten Fragen sind im Verlauf des Symposions behandelt und erörtert worden. Nach einem Grußwort des Rektors, Magnifizenz Siebke, der den Wunsch äußerte, die Jüngerforschung in Heidelberg heimisch werden zu lassen, sprach Professor Hans Georg Gadamer über seine persönlichen Begegnungen mit Ernst und Friedrich Georg Jünger und über die Leseerfahrungen seiner Generation mit den Jüngerschen Werken. In vier Sektionen wurden weiterhin Schreckensvisionen und technikkritische Entwürfe der Jahrhundertwende, das Menschenbild der Brüder Jünger im Zeichen der Technik, die Gestalt des Arbeiters in ihren verschiedenen Spiegelungen und die Kritik des technischen Titanismus erörtert. Beschlossen wurde die Tagung mit Ausblicken auf die Rolle der Sprache sowie die Naturerfahrung und deren poetischer Gestaltung in den Werken der Brüder Jünger. Hervorzuheben bleibt, daß das Symposion nicht möglich gewesen wäre ohne die großzügige Förderung durch die DFG, das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg, die Stiftung Universität Heidelberg, die BASF Ludwigshafen und die Firma Rheinmetall AG Düsseldorf.

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