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Impfstoffe gegen die Zeckenbiß-Borreliose

Zecken sind nicht nur lästige, sondern auch gefährliche Blutsauger. Denn sie können ihre warmblütigen Wirte, auch Menschen, mit Krankheitserregern infizieren, die sie während ihrer Blutmahlzeit in die Stichwunde absondern. Der Mensch hat vor allem zwei solcher „Gastgeschenke“ zu fürchten: die mit Viren übertragene Frühsommer-Meningo-Enzephalitis oder kurz „FSME“ und die „Lyme-Borreliose“ oder kurz Borreliose, die durch Bakterien, sogenannte Borrelien, genauer durch „Borrelia burgdorferi“, ausgelöst wird. Michael Kramer am Institut für Immunologie ist an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Zecken-Borreliose wesentlich beteiligt.

Gegen die FSME gibt es seit vielen Jahren einen Impfstoff, der vor der ernsten, mitunter tödlichen Hirnhautentzündung schützt. Doch gegen die sehr viel häufigere Lyme-Borreliose helfen bislang nur Vorsicht und notfalls, wenn man infiziert wurde, Antibiotika, die allerdings in den Spätstadien der Erkrankung nicht immer anschlagen, denn Borrelien verhalten sich recht tückisch. Das liegt zunächst daran, daß sich die Keime im menschlichen Organismus nur langsam vermehren, und das menschliche Immunsystem gegen die Infektion nur „gelassen“ reagiert. Diese Trägheit der Immunabwehr können die Borrelien ausnützen, um sich im Körper zu verteilen und verschiedene Organe zu befallen. Betroffen wird dabei in erster Linie das Nervengewebe, der Herzmuskel und die Gelenke, an denen sich chronische Entzündungen manifestieren können.

Die Borreliose verläuft in Stadien. Das erste Stadium ist eine Entzündung der Haut an der Stelle des Zeckenstiches, die sich in charakteristischer Weise als sogenannte „Wanderröte“ darstellt. Die Wanderröte ist ein Warnsignal, das unverzüglich den Gang zum Arzt veranlassen sollte. Dieses charakteristische Symptom tritt jedoch nicht immer auf, und die Erkrankung kann ohne dieses Symptom direkt in das nächste Stadium übergehen, bei dem es unter unspezifischen Allgemeinsymptomen, wie Fieber, Gelenk- oder Kopfschmerzen, zu einer Verteilung der Erreger im Körper kommt. Wird die Krankheit nicht behandelt, kann sich eine chronische Lyme-Borreliose entwickeln. Diese äußert sich in vielerlei Beschwerden von seiten der betroffenen Organe: etwa in schubweise wiederkehrenden Entzündungen verschiedener Gelenke (Arthritis), Störungen der Herzfunktion (Herzrhythmusstörungen), in Nervenschmerzen oder Lähmungen (Neuritis), oder in Symptomen von seiten des Zentralnervensystems (Meningo-Polyneuritis).

Als eigenständige Krankheit wurde die Borreliose erstmals Mitte der 70er Jahre erkannt, sie trat damals gehäuft in dem dem Städtchen „Old Lyme“ in dem US-Bundesstaat Connecticut auf, nachdem sie auch benannt wurde. Schon bald wurde aber deutlich, daß die Lyme-Borreliose fast überall in den nördlichen gemäßigten Breiten auftritt, so auch in Deutschland: Hier ist schätzungsweise jede zehnte, in manchen Flußtälern sogar jede dritte Zecke mit Borrelien beladen, und manche Autoren schätzen, daß mehrere 10 000 Deutsche an einer Borreliose laborieren.

Die Lyme-Borreliose forderte die Grundlagenforschung heraus: War es vielleicht möglich – ähnlich wie bei der durch Viren übertragenen FSME – einen Impfstoff zu entwickeln, der geimpfte Personen schützt, bevor sie erkranken? Dies würde die antibiotische Therapie, die ja erst greift, wenn der Patient bereits erkrankt ist, ergänzen oder bestenfalls sogar ersetzen.

In den USA wie in Europa rückten vor allem Immunologen den Borrelien auf den Pelz oder richtiger auf die Eiweiß-Hülle: Das Ziel war, einen Impfstoff zu entwickeln, der dem Abwehrsystem gegen diese „immunologischen Leisetreter“ auf die Sprünge helfen und ihre dauerhafte Einnistung im Organismus unterbinden sollte. In den transatlantischen Wettbewerb um die Entwicklung eines solchen Impfstoffs trat auch ein Forschungsverbund aus Laboratorien an der Universität Heidelberg sowie am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie ein. Beteiligt sind neben unserer Arbeitsgruppe am Institut für Immunologie der Universität Heidelberg, die Gruppe von Markus Simon am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie, die mittlerweile an unser Institut gewechselt ist, sowie die Gruppe von Reinhard Wallich am Deutschen Krebsforschungszentrum. Dieser Forschungsverbund hat ein entscheidendes „Etappenziel“ erreicht: Ein von uns entwickelter Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose hat sich in allen klinischen Tests, einer „Generalprobe“ an rund 11 000 Personen, in den USA bewährt. Er steht dort vor der Zulassung durch die nationale Gesundheitsbehörde.

Dieser Erfolg kommt zunächst allerdings nur der nordamerikanischen Bevölkerung zugute. Das liegt daran, daß die Borreliose-Erreger diesseits des Atlantiks nicht so einheitlich auftreten wie ihre amerikanischen Verwandten. In Europa hat man es mit mindestens drei Sorten von Borrelien zu tun, die sich auch hinsichtlich der Zielstruktur des Impfstoff voneinander unterscheiden – auf diese Varianten muß der Impfstoff in Europa noch zusätzlich eingestellt werden.

Forschungsverbund in USA erfolgreich

Wirksamer Inhaltsstoff der Vakzine ist ein Eiweißmolekül, das auf der Oberfläche der Borrelien sitzt, und das mit dem Kürzel „OspA“ bezeichnet wird. Dieses Molekül hatten wir Ende der 80er Jahre als Grundstoff für eine mögliche Vakzine aufgespürt. Wir hatten OspA damals in Tierversuchen erprobt und gefunden, daß das Protein sowohl immunogen als auch protektiv wirkt. „Immunogen“ heißt: OspA wird, wenn man es Tieren injiziert, vom Immunsystem als körperfremde Struktur, als „Antigen“, erkannt und löst eine Immunreaktion aus – es werden Antikörper gebildet, also spezifisch auf die Struktur von OspA zugeschnittene Abwehrmoleküle. Und „protektiv“ bedeutet, daß diese Antikörper auch tatsächlich Schutz bieten, wenn bakterienbeladene Zecken Blut saugen. Sogenannte immundefiziente Mäuse, die normalerweise einer Borrelieninfektion wehrlos preisgegeben sind, kann man durch die vorherige Gabe solcher Antikörper vor einer folgenden Infektion oder einer Erkrankung bewahren.

Inzwischen ist der Weg vom Tierversuch zur Anwendung am Menschen geschafft, hat sich OspA als Impfstoff bewährt und damit die Erwartung unseres Forschungsverbunds erfüllt. Ein großer englischer Pharma-Konzern hat die Lizenz auf die patentierte Vakzine erworben und die Forschungsarbeiten in den vergangenen Jahren finanziell unterstützt. Ausschlaggebend für unseren Erfolg war vor allem die enge Kooperation zwischen den drei Forschergruppen. Diese Zusammenarbeit hat uns nicht nur stark, sie hat uns auch schnell gemacht. So sind wir in der Minimalzeit von zehn Jahren, die man für die Entwicklung eines Impfstoffes veranschlagen muß, über die Ziellinie gegangen und haben dabei noch mehrere Gruppen in den USA ausgestochen, die auf das selbe Ziel hingearbeitet haben.

Trotz dieses Erfolgs ist das Thema Borreliose noch lange nicht erledigt. Zunächst geht es jetzt darum, die amerikanische Vakzine für Europa nachzurüsten. Der amerikanische Impfstoff enthält nur eine bestimmte Variante des OspA-Proteins als wirksames Antigen, entsprechend der Tatsache, daß in Nordamerika nur Borrelien eines Typs vorkommen, die sich in diesem Oberflächenmerkmal weithin gleichen.

In Europa hingegegen treten mindestens drei verschiedene Borrelien-Stämme auf, deren OspA-Strukturen so stark voneinander abweichen, daß man einen „trivalenten“ Impfstoff benötigt, eine Vakzine, die alle drei wesentlichen OspA-Varianten als immunogene Wirkstoffe enthält. Auch die Versuche, bei der die europäische Situation im Tierversuch nachgestellt wurde, und bei der eine weitere Arbeitsgruppe eingeschaltet wurde, die von Lise Gern am Zoologischen Institut der Universität Neuchâtel, Schweiz, sind erfolgreich verlaufen. Nach den erfolgreichen Tierversuchen stehen erste klinische Prüfungen am Menschen in Europa bevor und in den nächsten zwei bis drei Jahren hoffen wir, in Europa soweit wie in den USA zu sein.

Der Impfstoff wirkt vor dem Biß, im Darm der Zecke

Die nächsten Schritte in Richtung Therapie und Diagnostik: Mit dem Impfstoff wurde ein ganz wesentlicher Fortschritt erzielt. War es bisher nur möglich Lyme-Borreliose-Patienten mit Antibiotika zu behandeln, nachdem sie erkrankt waren, so ist es jetzt möglich, Patienten zu fast 100 Prozent vor einer Erkrankung zu schützen. Die Vakzine gegen OspA wirkt jedoch nur vorbeugend, nur beim akuten Zeckenbiß und hier bereits in der Zecke: Die Zecke schluckt mit den ersten Blutstropfen auch Antikörper gegen OspA, die dann den Großteil der Erreger bereits im Zeckendarm ausschalten, so daß es gar nicht erst zu einer Übertragung der Borrelien auf den Menschen kommt. Gegen Keime, die das OspA bereits „abgeworfen“ hat, und die sich dauerhaft im Menschenorganismus eingenistet haben, ist eine aktive oder passive Impfung mit OspA oder OspA-spezifischen Antikörpern vergebens.

Am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie in der Arbeitsgruppe von Markus Simon wird gegenwärtig geprüft, ob bei einer bereits bestehenden Infektion das Immunsystem durch Impfung so aktiviert werden kann, daß es auch eine bestehende Infektion bekämpfen kann, indem es die bereits im Körper vorliegenden Krankheitserreger abtötet. Ein wesentliches Trumpf-As bei diesen Arbeiten sind Verfahren zur sogenannten „DNA-Immunisierung“, die in der Arbeitsgruppe von Reinhard Wallich untersucht werden, der inzwischen vom deutschen Krebsforschungszentrum an das Institut für Immunologie der Universität Heidelberg gewechselt hat. Bei diesem Verfahren wird nicht mit Proteinstrukturen selbst, sondern mit der Erbinformation, der DNA für diese Proteinstrukturen, geimpft. Im Tiermodell wurde gezeigt, daß die DNA-Immuniserung auch bei der Lyme-Borreliose der klassischen Immunisierung mit Proteinen in vielerlei Hinsicht überlegen ist.

Weiterer, mehr anwendungsorientierter Entwicklungsbedarf besteht hinsichtlich der Verbesserung der verfügbaren Diagnoseverfahren. Auch diesbezüglich waren die bisher durchgeführten Arbeiten des Heidelberg-Freiburger Forscherverbundes sehr hilfreich. Quasi als Abfallprodukt der bisherigen grundlagenorientierten Forschungsarbeiten über die Antigenstruktur des Borreliose-Erregers liegt eine ganze Reihe von Erregerantigenen in molekular charakterisierter Form vor. Gegenwärtig wird im Rahmen eines „BioRegio“-geförderten Kooperationsprojekts mit einem Industriepartner die Möglichkeit geprüft, die gentechnisch hergestellten Proteine für die Weiterentwicklung routinetauglicher diagnostischer Testverfahren heranzuziehen.

Verbesserung der Diagnose angestrebt

Wie bereits oben erwähnt, verhält sich „Borrelia Burgdorferi“ bei der Infektion des Menschen recht tückisch. Der Krankheitserreger kann das Muster seiner Oberflächenmoleküle verändern, sich „maskieren“, und mit Zellen und löslichen Faktoren des Wirtsorganismus interagieren. Das dient ihm dazu, seine Infektionskraft („Infektiosität“) zu steigern, um überhaupt erst eine Infektion etablieren zu können. Gegenwärtig werden in meiner Arbeitsgruppe am Institut für Immunologie Untersuchungen zum besseren Verständnis dieser Erreger-Wirtsinteraktionen durchgeführt. Das ist zwar gegenwärtig noch pure Grundlagenforschung, aber ein Verständnis der Vorgänge kann Ansätze für antimikrobielle Therapieverfahren liefern, die über die klassische Antibiotikatherapie und die Impfung hinausgehen. Ansätze, die nicht nur bei der Zecken-Borreliose zum Tragen kommen könnten.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Michael Kramer
Institut für Immunologie, Im Neuenheimer Feld 305, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 40 15

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