Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Radioaktive Drahtgitter gegen den Herzinfarkt

Bisher hatte man im Forschungszentrum Karlsruhe die Methode der Aktivierung von Metallen nur bei der Korrosionsdiagnostik von Maschinenteilen eingesetzt. Heidelberger Ärzte fanden ein originelleres Anwendungsgebiet. Sie ließen im dortigen Zyklotron „Gefäßstützen“, sogenannte Stents, radioaktiv verändern. „Stents“ dienen dazu, verengte Herzkranzgefäße für den Blutstrom offen zu halten, nachdem die Arterie mit Hilfe eines Ballons wiedereröffnet wurde. Der Erfolg dieser Ballondilatation ist zwar durchschlagend, doch bisher leider häufig nicht von Dauer. Bei 30 bis 50 Prozent der Patienten verengt sich das Herzkranzgefäß meist innerhalb von drei bis sechs Monaten erneut, so daß der Eingriff wiederholt werden muß. Christoph Hehrlein in der Abteilung für Kardiologie der Ludolf-Krehl-Klinik hat einen Weg gefunden, um den Wiederverschluß der Blutgefäße zu verhindern.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen die bei weitem häufigste Todesursache in den westlichen Industrienationen dar. In Deutschland verstarben im Jahre 1993 etwa 20 000 Menschen an einem Herzinfarkt, bedingt durch einen akuten Verschluß einer Herzkranzarterie. Bei Patienten mit koronaren Durchblutungsstörungen werden zwar häufig die Beschwerden, zum Beispiel Brustschmerzen bei körperlicher Anstrengung, durch Medikamente gelindert, das Grundproblem, nämlich die Verengung eines oder mehrerer Herzkranzgefäße, aber nicht beseitigt. Als kausale Therapie kommen neben der koronaren Bypass-Operation zunehmend spezielle Kathetertechniken zum Einsatz, wie die „perkutane transluminale Koronarangioplastie“ (PTCA) oder Ballondilatation, mit deren Hilfe es möglich ist, verengte Herzkranzgefäße wieder zu eröffnen. Im Jahr 1993 wurden in Deutschland 69 804 Ballondilatationen durchgeführt. Die Zahl der Interventionen stieg in den vergangenen zwei Jahren weiter an. Zu den Vorteilen einer Dilatation gehört unter anderem, daß bei sehr hohem Primärerfolg, etwa 95 Prozent, für den Eingriff weder eine Vollnarkose noch eine Herz-Lungenmaschine oder eine Eröffnung des Brustkorbes erforderlich sind. Der Erfolg ist bisher aber oft nicht von Dauer, bei 30 bis 50 Prozent der Patienten verengt sich das Herzkranzgefäß meist innerhalb von drei bis sechs Monaten erneut, so daß der Eingriff wiederholt werden muß. Auch durch die Verwendung von alternativen Verfahren, zum Beispiel der „Atherektomie“, bei der arteriosklerotische Plaques ausgeschnitten und anschließend entfernt werden, oder bei der „Rotablation“, bei der arteriosklerotische Wandauflagerungen durch einen turbinengetriebenen und mit Diamanten besetzten Bohrkopf abgelöst werden, läßt sich die Zahl der Wiederverschlüsse nicht senken. Die Wiederverschlußrate ist auch von volkswirtschaftlicher Relevanz: Nimmt man die Gesamtkosten von zirka 6000 Mark für eine PTCA, so wären durch eine Halbierung der Wiederverschlußrate allein im Bereich des Krankenkassenhaushalts Einsparungen von zirka 100 Millionen Mark zu erzielen.

Für die Dilatation wird zunächst ein sehr dünner Führungsdraht durch die verengte Stelle in der Koronararterie geführt. Anschließend wird ein gefalteter Ballon in die Engstelle eingeführt und mit einem Druck bis zu 16 atm (das Achtfache des Drucks in einem Autoreifen) entfaltet. Es entstehen kleine Einrisse im arteriosklerotischen Plaque und in der nahegelegenen Gefäßwand, wodurch die Koronararterie gedehnt wird. Außerdem wird der Plaque in die Gefäßwand gedrückt. Beide Mechanismen tragen zur Beseitigung der Engstelle bei. Die Komplikationen der Ballondilatation sind neben dem seltenen akuten Gefäßverschluß im wesentlichen der chronische Wiederverschluß, das heißt die Restenose der Koronararterie. Bei einem Patientenkollektiv mit singulären Stenosen liegt die Restenoserate bei etwa 30 Prozent, nach der Wiedereröffnung eines chronisch verschlossenen Gefäßes verschließt sich dieses in etwa 50 Prozent der Fälle ein drittes Mal und die Behandlung eines stenosierten Venenbypasses durch die PTCA kann sogar bei 80 Prozent der Patienten zu einem Wiederverschluß führen. Langstreckig eingeengte und stark verkalkte Gefäße bergen ebenfalls ein erhöhtes Risiko einer Restenosierung. Es gibt einige Patienten, bei denen eine PTCA mehrmals wiederholt werden muß, ehe langfristig Beschwerdefreiheit besteht. Die entscheidenden pathophysiologischen Prozesse, die dem Wiederverschluß nach Ballondilatation zu Grunde liegen, sind akute und chronische Rückstellmechanismen der Gefäßüberdehnung (im Englischen „Recoil“) und die Intimahyperplasie. Eingriffe am Gefäßsystem, wie die Dehnung mit einem Ballon, führen langfristig zur Gefäßeinengung durch Umbauvorgänge in der äußersten Arterienschicht, der Adventitia. Einrisse in die innerste und mittlere Arterienschicht – in Intima und Media – durch einen Ballonkatheter setzen als Heilungsvorgang eine Proliferation von Zellen der Gefäßwand in Gang. Das Ausmaß des Gefäßwandschadens und multiple weitere Faktoren wie die lokale Anlagerung von Thrombozyten, der Blutfluß und die Expression von Wachstumsfaktoren beeinflußen die Entwicklung der Intimahyperplasie. Häufig ist die Zellproliferation überschießend, das heißt die ungebremsten Interaktionen zwischen Wachstumsstimulatoren und zellulären Bestandteilen von Blut und Gefäßwand bilden letztlich die Grundlage für die erneute Einengung des Gefäßes.

Um Koronarstenosen zu beseitigen und das Rezidivrisiko zu senken, werden immer häufiger Gefäßstützen, sogenannte „Stents“ implantiert. Der Radiologe Charles Dotter ist der eigentliche Begründer der Stent-Implantation. Dotter stellte bereits in seiner 1964 veröffentlichten Arbeit „Transluminal treatment of arteriosclerotic obstruction“ das Konzept vor, verengte Gefäße durch das Einbringen von Röhren zu dehnen, um den Blutfluß zu verbessern. Mitte der 80er Jahre gelang es Julio Palmaz, eine röhrenförmige Gefäßstütze aus dünnem Metall zu entwickeln, welche mittels Ballonkatheter an die Gefäßwand gedrückt und dadurch anmodelliert werden kann. Ein Stent besteht aus einem speziell gefalteten und tubulär angeordneten Draht, der sich ausdehnt und dennoch einer Kompression von außen mechanischen Widerstand entgegensetzt. Der Ballon dehnt das Gitter auf, der Innendurchmesser des Stents wird um ein Vielfaches vergrößert. Der Einbau des rigiden, wenig komprimierbaren Stents bewirkt, daß der Gefäßdurchmesser auf einem festgelegten Niveau verbleibt und die erneute Gefäßeinengung durch Rückstellkräfte verhindert wird. Neueste multizentrische Studien zeigen, daß die Langzeitergebnisse bei Patienten mit symptomatischen Koronarstenosen nach Implantation eines Stents besser sind als nach Dilatation alleine. Durch Verwendung von Stents konnte die Wiederverschlußrate nach PTCA im Mittel von 40 Prozent auf 30 Prozent gesenkt werden.

Obwohl die Restenoserate nach Stent-Implantation verglichen mit der PTCA geringer ist, bleibt sie auch bei der Stent-Implantation das vorrangige Problem. Die wesentlichen pathophysiologischen Vorgänge sind dabei die Proliferation von glatten Muskelzellen und die Intimahyperplasie. Es lag daher nahe, Stents zu entwickeln, die die Zellwucherung vor Ort verhindern, die eine lokale antiproliferative Wirkung ausüben. Seit langem ist bekannt, daß die Strahlentherapie das Wachstum von Tumoren hemmt. Überschießende Narbenbildungen nach Operationen, sogenannte Keloide, lassen sich durch eine niedrigdosierte Bestrahlung behandeln. Radioaktive Substanzen werden heutzutage in der Medizin in vielen therapeutischen Bereichen verwendet.

In einer Kooperation mit dem Forschungszentrum Karlsruhe wurden herkömmliche Stents im Zyklotron radioaktiv verändert. Die Aktivierung von Metallen war in Karlsruhe bisher nur bei der Korrosionsdiagnostik von Maschinenteilen eingesetzt worden. Die Umwandlung von herkömmlichen Stents in radioaktive Stents beinhaltet den Beschuß mit einer geringen Anzahl an Protonen, die in das Metall eindringen und Metallpartikel in Radionuklide transformieren. Bei diesem Protonenbeschuß entstehen mehrere Radionuklide (Co-55, -56, -57 sowie Mn-52 und Fe-55), die hauptsächlich Beta-Strahlung, weiche Röntgenstrahlung sowie einen sehr geringen Teil an harter Gamma-Strahlung produzieren. Ziel der ersten Pilotversuche war es, Stents mit einer so niedrigen Aktivität herzustellen, daß sie eine kurzfristige manuelle Handhabung erlauben und ausgedehnte Strahlenschutzmaßnahmen überflüssig machen. Intensive Strahlenschutzmaßnahmen würden den Gebrauch solcher Stents zum Beispiel in einem Herzkatheterlabor erheblich erschweren und verteuern. Nach den ersten Dosismessungen zeigte sich, daß mehr als 99 Prozent der emittierten Strahlung dieser radioaktiven Stents in einer Distanz von einem Zentimeter im Gewebe absorbiert wird, das heißt, hauptsächlich eine lokale Wirkung von ihnen ausgeht. Die höchsten Strahlendosen wurden in unmittelbarer Nähe um den Stent gemessen, und mit jedem Millimeter Entfernung fiel die Strahlendosis drastisch ab. In der ersten Serie von Versuchen wurden Stents verwendet, die Radionuklide mit kurzer und auch relativ langer Halbwertszeit (HWZ) enthielten (Fe-55, HWZ 2,7 Jahre). In einer zweiten Serie von Experimenten untersuchten wir radioaktive Stents, deren Aktivität nach drei Monaten drastisch abgefallen und nach fünf Monaten vollständig abgeklungen war. Derartige Stents wurden durch die Verwendung von P-32 (HWZ 14,3 Tage) hergestellt. Stents mit einer Aktivität im Bereich der gesetzlich festgelegten „Freigrenze für radioaktive Stoffe“ wurden sodann im Tierversuch getestet.

Die radioaktiven Stents wurden in die Beckenarterien von Kaninchen implantiert und die Tiere für eine, vier, zwölf und 52 Wochen beobachtet. Danach wurden die Arterien eingehend histologisch untersucht. Die Wucherung der glatten Muskelzellen in der Gefäßwand war praktisch vollständig gehemmt worden, ebenso die Intimahyperplasie, während die beiden Prozesse bei den herkömmlichen Stents ungehemmt abliefen. Auch ein Jahr nach der Implantation war die Intimahyperplasie in der Beckenarterie des Kaninchens noch deutlich reduziert. Das Ausmaß der Reduktion war dosisabhängig. Stents, die innerhalb der ersten 10 Tage eine integrierte Strahlendosis von 20 Gray in einem Millimeter Abstand vom Stent produzierten – 70 Prozent der Gesamtdosis über den Zeitraum eines Jahres –, bewirkten eine mehr als 80prozentige Reduktion der Intimahyperplasie im Vergleich zu den Kontrollstents, solche, die innerhalb der ersten 10 Tage eine Gesamt-Strahlendosis von 10 Gray produzierten, eine etwa 40prozentige. In dem Beobachtungszeitraum von bis zu einem Jahr nach der Implantation von radioaktiven Stents im Kaninchen waren keine systemischen Nebenwirkungen der Behandlung erkennbar. Auch Stents mit einer Radioaktivität von kurzer Halbwertszeit verhinderten die Intimahyperplasie in der Kaninchenarterie, dieser Effekt ließ sich allerdings nur durch die Verwendung etwas höherer Strahlendosen erzielen. Die elektronenmikroskopische Untersuchung zeigte, daß die Gefäßzellen in der Nachbarschaft von radioaktiven Stents ultrastrukturell keine Schäden aufweisen. Das „Einwachsen“ eines solchen Stents in die Gefäßwand findet wie beim herkömmlichen Stent statt, allerdings zeitlich etwas verzögert. Ein wesentlicher Parameter für den uneingeschränkten Heilungsprozeß ist die Auskleidung der Stents mit Endothel, das heißt, die Neubildung einer Endothelzellschicht. Die zeitliche Verzögerung der Endothelialisierung verglichen mit den herkömmlichen Stents betrug je nach Radioaktivität in unseren Studien ein bis drei Wochen. Bei den geringen Strahlendosen, die diese Stents produzieren, sind bösartige Entartungen nicht zu erwarten. Mehr als 500 000 Patienten mit Tumorleiden haben in den letzten 30 Jahren eine Bestrahlung des Brustkorbs erhalten und keine einzige maligne Entartung der Koronararterien entstand. Erste klinische Studien mit niederenergetischen radioaktiven Stents werden in Kürze begonnen.

Autoren:
Dr. Christoph Hehrlein, Prof. Dr. Wolfgang Kübler, Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik, Abteilung Innere Medizin III, Kardiologie, Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 88 71

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang