Siegel der Universität Heidelberg
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Überraschende Collage von Stakkato-Bildern

Wo im Internet findet man die Forschung der Universität Heidelberg? Das "World Wide Web" wird als Rechercheinstrument und Informationsquelle immer wichtiger, wenn man erfahren will, was an einer Hochschule geschieht. Wie aber präsentieren sich die verschiedenen Fachbereiche im Netz? Wer stellt welche Information hinein? Sind die Web-Seiten mehr als eine elektronische Imagebroschüre? Wie seriös und aktuell sind die Inhalte? Michael Schwarz hat sich auf eine Reise durchs Netz begeben.

www.uni-heidelberg.de: Wer diese Buchstaben in die Internet-Adreßzeile seines Rechners hämmert, dem öffnen sich 28 000 Seiten aus der Universität Heidelberg – Klinikum und private homepages der Studenten nicht gerechnet. Tendenz: drastisch steigend. Was man heute feststellt, ist morgen schon überholt – ein Problem auch für die Redaktion der Ruperto Carola. Wir wollen trotzdem versuchen, die kreative Baustelle zu beschreiben. Da man nicht durch Surfen allein die richtigen Stellen finden würde, fragten wir – offiziell und mit konventioneller Post – alle Institute, Zentralen Einrichtungen und Kliniken der Universität Heidelberg: "Wie sieht Ihr Forschungsangebot im world wide web derzeit aus?" Verbunden war das mit der Bitte, uns die inhaltlich und graphisch attraktivsten web-Seiten zu melden. Die Reaktion sprengte alle Erwartungen. Manchmal gab es aber auch erboste Kommentare. Gute Forschung müsse nicht graphisch attraktiv sein, hieß es. Wir entschuldigen und bedanken uns: Wir wollen nur Appetit auf mehr wecken. Surfen Sie selbst, es lohnt sich!

Den größten Aha-Effekt löste ein Geisteswissenschaftler aus: Dieter Hagedorn, Professor für Papyrologie. Wir hatten erwartet, zuerst aus dem Neuenheimer Feld oder vom Philosophenweg elektronische Post zu bekommen – aus dem IWR, dem Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen, oder aus der Physik. Aber der Briefträger war kaum zurück, da kam, nur ein paar Meter weit her, aus der Grabengasse drei nicht nur die schnellste, sondern auch inhaltlich überraschendste Meldung: Das Institut für Papyrologie stelle im www papyrologische Arbeitsmittel zur Verfügung, einmal das "Heidelberger Gesamtverzeichnis der griechischen Papyrusurkunden Ägyptens" (www.rzuser.uni-heidelberg.de/~gv0/gvz.html), zum anderen "Griechische Papyri der Heidelberger Papyrussammlung" als digitalisierte Abbildungen (www.rzuser.uni-heidelberg.de/~gv0/Papyri/P.Heid._Uebersicht.html). Dazu mailte uns der Papyrologe eine kurze Beschreibung seiner Datenbank von mehr als 35 000 Datensätzen und den trotzigen Kommentar: "Auf graphische Attraktivität legen wir keinen Wert, sondern nur auf den Nutzen für die Forschung." Wir meinen, Understatement ist hier überhaupt nicht angebracht. Wunderschöne Papyri erscheinen auf dem Bildschirm, ausgefranst und zerfressen, nachdenklich stimmende Botschaften aus einer vergessenen Welt, selbst für Laien ein Gewinn, so zum Beispiel ...Papyri/vbp_II/001/VBP_II_1_(150).html. 15 000 gezählte "offizielle" www-Seiten der Universität Heidelberg notiert Michael Hebgen vom Uni-Rechenzentrum (URZ) als Untergrenze. Hinzu kommen die zentrale Forschungsdatenbank auf dem Server der Verwaltung und Archive, zum Beispiel der preprint-Server der Physik, von dem man Texte auf den Bildschirm holen kann, bevor sie gedruckt in einer Zeitschrift erscheinen. Studentische Seiten sind in der Zahl 15 000 ebenfalls nicht enthalten, und gerade hier tut sich eine besondere Vielfalt auf, wie ein Blick auf die Studentenzeitung "ruprecht" belegt. Wieviele Seiten allein Forschung zum Inhalt haben, kann Hebgen verständlicherweise nicht sagen. Sehr viele Forschungsinformationen bieten nach seiner Beobachtung die Theoretische Physik, die Hochenergiephysik und das IWR an. Verbunden sind – nebenbei bemerkt – die Einrichtungen der Universität durch ein 70 Kilometer langes Hochgeschwindigkeitsnetz, an dem etwa 10 000 Rechner hängen, und der Netzausbau der einzelnen Gebäude ist noch unterschiedlich weit vorangeschritten. Mit der Außenwelt kommuniziert das Glasfasernetz 155 Megabit pro Sekunde schnell. Das entspricht, bildlich gesprochen, drei Bibeln mit je fünf Millionen Zeichen. Wie kommt ein Nutzer an die gewaltige Menge von Informationen heran, vor allem, wenn er nach Forschung sucht? Er klickt auf der homepage der Universität (www.uni-heidelberg.de) die Zeile "Wissenschaft: Forschungsprojekte..." an und hat an einer der ersten Stellen die zentrale Forschungsdatenbank der Universitäts-Verwaltung vor sich – neben Dozentenbibliographie, Drittmitteln, EU-Forschungsförderung und der Ruperto Carola selbst, die seit der Umstrukturierung 1993 mit Volltexten und englischen wie deutschen abstracts auf dem Netz ist. Er findet weiterhin die Graduiertenkollegs, "Informed" – das sind Informationen zur Forschungsförderung im Bereich der Medizin – , "Infor" für die Nicht-Medizin, die Stabsstelle Klinische Forschung, Messebeteiligungen, Sonderforschungsbereiche, Stellenangebote für Wissenschaftler und anderes mehr. Nach dem Klick tun sich auf der Startseite der Forschungsdatenbank eine Reihe von Optionen auf. Man kann den Zugang über die Fakultäten wählen, über Institute, Projekte, Stichworte oder über das Personal. Weiß der Nutzer nicht genau, nach was er sucht, bietet sich der Zugang über die Fakultäten an. Will er aber konkret wissen, an was Bernhard Dobberstein vom Zentrum für Molekulare Biologie forscht, tippt er den Namen in die Tastatur und findet unter anderem die "Signalsequenzerkennung bei der Translokation von Protein durch die Membran des endoplasmatischen Retikulums".
Die Faculties, Centers and Infirmaries sind noch in Englisch beschrieben, aber danach versandet der angekündigte link schnell im Deutschen – ein Manko, das der Deutsche Akademische Austauschdienst vor dem Hintergrund der politischen Diskussion über die abnehmende Attraktivität deutscher Universitäten immer lauter kritisiert.
Die Forschungsdatenbank läuft unter dem relationalen Datenbanksystem Oracle und steht seit einiger Zeit auf dem web zur Verfügung, wobei die web-Seiten dynamisch aus der Datenbank erzeugt werden und so immer dem neuesten Stand entsprechen. Mehrere tausend Nutzer pro Tag sehen sich hier nach Informationen um. Die Statistik gibt Auskunft, wie häufig nachgefragt wurde. Spitzenreiter im Februar und März war das Akademische Auslandsamt mit 41 000 Zugriffen – ein Zeichen dafür, wie attraktiv die Universität Heidelberg für Ausländer ist -, gefolgt von der Forschungsdatenbank mit 30 000.

Über die ständige Aktualisierung der einzelnen Einträge hinaus, befindet sich die Forschungsdatenbank in einem grundsätzlicheren Umbruch: Der Weg zu einer umfassenden Informationsdatenbank ist beschritten. Auch Daten über Personal, Räume, Inventar, Kooperationen, Bibliotheken oder Lagepläne können abgerufen werden. Insgesamt enthält die Forschungsdatenbank zur Zeit 150 Institutsbeschreibungen und rund 1500 Projekte. Forscher der Universität Heidelberg können, geschützt durch ihr password, ihre Daten selbst pflegen und ergänzen. Natürlich sind auch hier viele Wünsche offen, ist das Optimum lange noch nicht erreicht. Ein Schritt nach vorne wäre es, wenn anderswo in der Universität erhobene Daten automatisch abgeglichen würden. Manchmal stehen Projekte zwar auf den web-Seiten der Institute, aber nicht in der zentralen Datenbank. Schwerer noch wiegt das Inselleben einzelner Datenpools innerhalb der Verwaltung. Scheidet zum Beispiel ein Wissenschaftler aus der Universität aus, erfährt das zuerst die Personalabteilung und aktualisiert, schon allein wegen der Gehaltszahlungen, schnell ihre Daten. Ändert sich durch Heirat ein Name, muß auch die Telefon-Datenbank umgehend ein update erhalten. In beiden Fällen findet ein automatischer Abgleich mit der Forschungsdatenbank zur Zeit noch nicht statt. Und wenn die Pressestelle das Personalverzeichnis redigiert, erhebt sie die Datenänderung zum vierten Mal.

Auf einem anderen Gebiet geht es 1998 einen Schritt voran. Für das laufende Jahr ist geplant, die Forschungsdatenbanken der baden-württembergischen Universitäten landesweit zusammenzufassen. Dazu werden die Universitäten wöchentlich einen Zentralserver beliefern, der via Internet zugänglich ist. Die Initiatoren betrachten diesen Info-Pool als Angebot an Wirtschaft, Wissenschaft und interessierte Öffentlichkeit, die Forschung in Baden-Württemberg an zentraler Stelle einsehen zu können.
Zurück zur Gesamtheit aller web-Seiten der Universität Heidelberg, auch außerhalb der zentralen Forschungsdatenbank. Beim Surfen sticht ins Auge, daß die meisten Forschungsseiten textbezogen aufgebaut sind und auf Bildelemente, wie wir sie sonst aus dem Netz kennen, verzichten. Weite Bereiche der Naturwissenschaften beschreiben ihre Arbeit präzise und ohne Ablenkung, so zum Beispiel Gert Fricker aus der Pharmazeutischen Technologie (...institute/fak17/phazt/), bei dem man über den Stand der Forschung zum drug targeting oder zur Verbesserung der Wirkstoffresorption nachlesen kann. Exemplarisch sei hier eine Antwort von Andreas Mielke aus der Theoretischen Physik auf die Frage der Ruperto Carola-Redaktion zitiert: "Vielleicht gestatten Sie mir eine grundsätzliche Bemerkung: Man findet häufig Seiten, die mit vielen Bildern schön gestaltet sind, aber sehr lange Ladezeiten haben und ohne die hübschen Bildchen unleserlich werden. Wir legen bei der Gestaltung ausschließlich Wert auf eine sachgerechte Information... Dieses Konzept entstand bei der Organisation eines internationalen Workshops vor einem Jahr. Da die Teilnehmer auch aus Ländern mit schlechter Leitungskapazität kamen, haben wir schnell gelernt, die Seiten so zu gestalten, daß sie schnell zu laden sind und die wesentlichen Informationen enthalten."

Was Andreas Mielke hier beschreibt, wurde im vergangenen Jahr "auf oberster Ebene" für die gesamte Universität festgelegt. Unter Vorsitz des damaligen Prorektors für Forschung, Jörg Hüfner, formulierte eine "Arbeitsgruppe Homepage" Kommunikationsstrategie, Richtlinien und Vorschläge, Kompetenzzuweisungen und vieles mehr für die Selbstdarstellung der Universität Heidelberg auf dem Netz. Unter breiter Beteiligung zahlreicher Einrichtungen arbeitete die Gruppe ein Konzept aus, das zum Beispiel auch die Grenze von der zentralen zur dezentralen Verantwortlichkeit festlegte und Vorgaben für das Corporate design bis hin zur Institutsebene machte. Jan Neuffer, Graphiker der Ruperto Carola, entwarf nach den Vorgaben der Arbeitsgruppe die Homepage der Universität neu. Hier wurde klar darauf geachtet, daß keine "Flaschenhälse" entstehen, also solche zentralen Seiten, bei denen Bilder den Zugang blockieren – speziell vor dem Hintergrund starker Nutzung aus Übersee. Hier im Telegrammstil einige Rückmeldungen auf unsere Anfrage: "Unserem Institut ist ein Projekt angeschlossen, das von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften betrieben und finanziert wird: die Epigraphische Datenbank, in der langfristig alle lateinischen Inschriften des römischen Reichs auf Computer erfaßt werden sollen." (Christian Witschel, Seminar für Alte Geschichte, über www.uni-heidelberg.de/institute/ sonst/adw/edh) – "Daß unsere site graphisch besonders attraktiv wirken könnte, wagen wir nicht zu hoffen. Hoffentlich tut sie es inhaltlich umso mehr!" (Guido Woldering über das Projekt "Prefaces in Japanese Literature 1848-1890", www.uni-heidelberg.de/institute/fak8/ jap/hw3/prjk.htm).

"Mein Virtual Office for History, Theory, and Ethics in Medicine hatte mittlerweile mehr als 20 000 Besucher – rund 100 am Tag. Es ist, soweit ich sehe, das weltweit größte Internet-Informationsmedium zum Themenbereich Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin" (Axel W. Bauer über www.uni-heidelberg.de/institute/ fak5/igm/g47/Bauer.htm) – "Am Hygiene-Institut bietet das Labor 'Computerunterstützte Ausbildung in der Medizin', www.hyg.uni-heidelberg.de/, unter anderem eine online-abfragbare Datenbank über medizinische Lernprogramme" (Martin Haag, Hygiene-Institut). "Ich möchte Sie auf unsere www-Seiten zur Teleradiologie hinweisen, die im deutschsprachigen Raum sehr beachtet werden: www.rzuser.uni-heidelberg.de/~n17/ana-rad.html. Auf einem anderen Server, webrum.uni- mannheim.de/_uni/hothorn/, haben wir unsere Entwicklung einer radiologischen Bilddatenbank abgelegt – beispielhaft und zum Abholen der Software für Interessierte" (Michael Walz, Klinische Radiologie Mannheim). "Hier finden sich Seiten, die inhaltlich einzelne Aspekte der psychologischen Forschung unseres Instituts beleuchten, zum Beispiel www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/allg/mitarb/jf/kpl_txt/kpl_ over.htm mit einem Überblick über computersimulierte Szenarien aus Untersuchungen zum 'komplexen Problemlösen'." (Bärbel Maier-Schicht, Joachim Funke, Psychologisches Institut).

"Interessant ist vielleicht folgende Seite mit einem Movie: www.nbio.uni-heidelberg.de/Groups/WWW_Gerdes/ Video.html" (Alan Summerfield, Neurobiologie, über das Video "Real time images of living cells"). "Manche Arbeitsgruppen unseres Instituts beschränken ihr www-Angebot noch auf die wichtigsten basics. Andere sind schon viel weiter, zum Beispiel die 'Eisgruppe', www.uphys.uni-heidelberg.de/glacis/e_homepage.html, oder die 'Atmosphärengruppe', uphys.uni-heidelberg.de/urmel/atmos. html. Unter 'aktuelle Veröffentlichungen' besteht die Möglichkeit, pre- und reprints der aktuellsten Publikationen downzuloaden sowie komplette Doktorarbeiten als postscript files zu laden" (Frank Erle, Institut für Umweltphysik). "Die interessantesten web-Seiten der Geographie: Virtuelles Heidelberg, ein digitales Geländemodell mit Gebäuden der Altstadt und des Neuenheimer Feldes: www. geog.uni-heidelberg.de/vrml/; Videos von virtuellen Durchflügen durch das digitale 3D-Geländemodell von Heidelberg: www.geog.uni-heidelberg.de/geog/mpeg/ (Alexander Zipf, Geographie).

There is no singularly real world of thought; each mind evolves its own internal universe (Marvin Minsky). Eine Reise durchs Netz: überraschende Collage von Stakkato-Bildern.
Ich bin, wie ich surfe.

Autor: Dr. Michael Schwarz, Mitarbeit: Dr. Volker Thewalt

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