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Rauchen – ein verkannter Risikofaktor für chronisches Nierenversagen

Im Rehabilitationszentrum für chronisch Nierenkranke der Universität Heidelberg, unter der Leitung von Eberhard Ritz, wurde eine weitere schädliche Folge des Rauchens entdeckt. Stephan R. Orth erforschte die Auswirkung von Zigarettenrauchen auf den Verlauf einer bereits bestehenden Nierenerkrankung.

Wenn die Niere durch eine primäre krankmachende Schädigung entzündlicher oder nichtentzündlicher Art lädiert ist, zum Beispiel durch eine immunologisch ausgelöste Entzündung, eine Glomerulonephritis, oder durch eine druckbedingte mechanische Schädigung, einen vesikoureteralen Reflux, kommt es oft zu einem selbsttätig fortschreitenden Untergang funktionstüchtigen Nierengewebes und zum Nierenversagen (Niereninsuffizienz). Dieser Vorgang wird als Progression bezeichnet und ist dadurch zu erklären, daß die Niere den Betriebsdruck im Filterapparat erhöht, um durch "Mehrarbeit" den Ausfall an funktionstüchtigem Nierengewebe zu kompensieren. Der Druck steigt speziell in den filtrierenden Nierenkörperchen, den Glomerula, an, was langfristig Vernarbung (Glomerulosklerose) und Gewebsuntergang zur Folge hat.

Eines der Ziele der modernen Nephrologie besteht darin, die Faktoren zu identifizieren, die diesen fortschreitenden Funktionsverlust der Niere beeinflussen. Ein wichtiger Faktor ist die Erhöhung des Blutdrucks, die arterielle Hypertonie, bei Nierenkrankheiten. Es ist heute einwandfrei gesichert, daß blutdrucksenkende Mittel, sogenannte Antihypertensiva, den Nierenfunktionsverlust verzögern. Dies gilt speziell für Medikamente, die ein Hormonsystem blockieren, das Renin-Angiotensin-System, das für die Blutdrucksteigerung in erster Linie verantwortlich ist.

Behandlungsmethoden zu entwickeln, die den Verlauf von Nierenkrankheiten günstig beeinflussen, hat große gesundheitspolitische Bedeutung: In Deutschland müssen zur Zeit 44 000 Patienten dialysiert werden, von denen jährlich nur 2 000 ein Transplantat erhalten können. Bei 80 000 Mark (direkten) Behandlungskosten pro Jahr fallen hier Kosten in Höhe von etwa 3,5 Milliarden Mark an – ganz zu schweigen von der verminderten Lebensqualität und dem menschlichen Leiden, die sich auch hinter diesen Zahlen verbergen.

Wir möchten im folgenden über einige neue Arbeiten berichten, die schlüssig beweisen, daß das Zigarettenrauchen ebenfalls zu den Faktoren zu zählen ist, die das Fortschreiten einer Niereninsuffizienz begünstigen. Welche Argumente gibt es für die These, daß Zigarettenrauchen für die Niere schädlich ist?

Bei Patienten mit Bluthochdruck ohne erkennbare organische Ursache, sogenannter essentieller Hypertonie, scheiden Raucher häufig im Urin Serum-Eiweißkörper, wie Albumin, aus – ein Hinweis auf gestörte Filtereigenschaften der Niere. Wir untersuchten 631 hypertensive und normotensive Personen. Das Zigarettenrauchen war der Faktor, der statistisch am stärksten mit der Erhöhung der Albuminausscheidung im Urin in Zusammenhang stand. Dies ist zwischenzeitlich auch durch andere Untersuchergruppen bestätigt worden und legt nahe, daß selbst bei Menschen ohne primäre Erkrankung der Niere das Rauchen von Zigaretten die Niere schädigt. Allerdings tritt bei Patienten mit essentieller Hypertonie selten ein völliger Ausfall der Nierenfunktion auf. Die ist jedoch bei Patienten, bei denen eine Nierenerkrankung vorliegt, häufig. Hier muß wegen des Ausfalls der Nierenfunktion die Dialyse eingesetzt werden. Es stellt sich somit die Frage: Ist bei Rauchern, die eine Nierenerkrankung haben, das Risiko erhöht, daß die Nierenkrankheit zum Endstadium fortschreitet und eine Dialysebehandlung notwendig wird?

Wenn eine Zuckerkrankheit besteht, reagiert die Niere offensichtlich besonders empfindlich auf den nierenschädigenden Einfluß des Zigarettenrauchens. Dies wurde von dänischen Autoren Ende der 70er Jahre bei sogenanntem juvenilen Diabetes (Typ 1 Diabetes) festgestellt, ohne daß diese Beobachtung zunächst größere Aufmerksamkeit erregt hätte. Mittlerweile konnte ein gleichermaßen ungünstiger Einfluß auch für den sehr viel häufigeren Altersdiabetes (Typ 2 Diabetes) gezeigt werden. Michael Keller aus unserer Arbeitsgruppe in der Medizinischen Klinik der Universität Heidelberg fand in Zusammenarbeit mit Dr. Kristian Bergis, Diabetesklinik Bad Mergentheim, heraus, daß bei Altersdiabetikern, deren Erkrankung neu diagnostiziert worden war, die Wahrscheinlichkeit einer gesteigerten Urin-Albuminausscheidung, also einer diabetischen Nierenschädigung, bei Rauchern extrem gesteigert war. Andere Untersucher zeigten, daß bei Rauchern die Urineiweißausscheidung im Verlauf der Zuckerkrankheit rascher ansteigt, der Übergang ins Stadium eingeschränkter Nierenfunktion rascher erfolgt, und auch das Stadium des völligen Funktionsverlusts schneller eintritt, so daß die Patienten bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Dialyse bekommen müssen. Diese Befunde sind deshalb besonders wichtig, weil die Zuckerkrankheit in Deutschland gegenwärtig die häufigste Ursache des Auftretens einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz ist – in unserer Sektion Nephrologie sind über 60 Prozent aller dialysepflichtig gewordenen Patienten Diabetiker. Umgekehrt konnte gezeigt werden, daß das Fortschreiten der diabetischen Nierenerkrankung eindeutig verzögert wurde, wenn das Zigarettenrauchen aufgegeben wurde.

Bei Diabetikern reagiert die Niere in vielerlei Hinsicht anders als bei Nicht-Diabetikern. Uns stellte sich daher die Frage, ob die Befunde bei Diabetes mellitus auch auf nicht-diabetische Nierenkrankheiten übertragen werden können. Zur Klärung dieser Frage führten wir eine Untersuchung an deutschen, italienischen und österreichischen Nierenzentren durch. Verglichen wurden Patienten mit einer entzündlichen, sogenannten IgA-Glomerulonephritis und einer nicht-entzündlichen Nierenerkrankung (erbliche Zystennieren). Mit dem statistischen Ansatz sogenannter korrespondierender Paare wurden Patienten mit stabiler Nierenfunktion und Patienten, die dialysepflichtig geworden waren, verglichen. Es zeigte sich hierbei, daß das Risiko eines Patienten mit entzündlicher oder nichtentzündlicher Nierenerkrankung, dialysepflichtig zu werden, bei Rauchern deutlich gesteigert war. Das Risiko stieg parallel zur konsumierten Zigarettenmenge.

Es stellt sich die Frage, weshalb Rauchen sich so ungünstig auf die Nierenfunktion auswirkt. Wir überprüften das Verhalten von Blutdruck, Herzfrequenz, mehreren kreislaufwirksamen Hormonsystemen sowie der Nierendurchblutung während des Scheinrauchens und Rauchens. Rauchen führt zu einem erheblichen Blutdruckanstieg, begleitet von einem eindrücklichen Abfall der Filterleistung der Niere, der glomulären Filtrationsrate. Parallel dazu stieg die Konzentration blutdrucksteigernder Hormone (Katecholamine). Da erhöhter Blutdruck der wichtigste Risikofaktor für das Fortschreiten einer Nierenerkrankung ist, liegt es nahe anzunehmen, daß der Blutdruckanstieg auch bei dem nierenschädigenden Einfluß des Rauchens eine Rolle spielt. Dies schließt keineswegs aus, daß langfristig auch andere Schädigungsmöglichkeiten eine Rolle spielen, wie Schädigung der Gefäßwände, Veränderung der Blutgerinnung und Plättchenfunktion, Beeinflussung von Gewebshormonen wie Prostaglandinen und Thromboxan.

Welche Schlußfolgerungen sind aus diesen Daten für die Patientenführung zu ziehen? Neben allen bereits bekannten gesundheitsschädlichen Wirkungen des Rauchens spielt die neuerkannte nierenschädigende Wirkung des Zigarettenrauchens eine zwar zahlenmäßig beschränkte, jedoch bedeutsame Rolle, da sie zum Nierenversagen mit hohen Folgekosten und massiver Einschränkung der Lebensqualität führt. Die nierenschädigende Wirkung des Rauchens ist dem oben Gesagten zufolge ein Problem, das in erster Linie für Menschen relevant ist, die bereits an einer Nierenerkrankung leiden. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die Unterbrechung des Zigarettenrauchens bei diesen Menschen die Nierenprognose verbessern würde. Erste Beobachtungen von Dr. Sawicki in Düsseldorf sind in dieser Hinsicht sehr ermutigend: Bei diabetischen Patienten, bei denen andere nierenschädigende Faktoren, wie Blutdruckerhöhung, sorgfältig behandelt worden waren, führte die Unterbrechung des Zigarettenrauchens dazu, daß der Nierenfunktionsverlust verlangsamt wurde.

Autoren:
Dr. med. Stephan R. Orth, Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Ritz,
Medizinische Universitätsklinik, Sektion Nephrologie,
Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 56 52 86

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