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Wie funktionieren Hepatitis-B-Viren?

Weltweit sind mehr als 300 Millionen Menschen chronisch mit Hepatitis-B-Viren infiziert, einem entfernten Verwandten des Aids-Virus. Die Infektion hat selten akute Folgen, doch chronische Virusträger haben ein vielfach erhöhtes Risiko, an Leberzirrhose und Leberkrebs zu erkranken. Die gegenwärtigen Therapiemöglichkeiten sind leider noch sehr begrenzt. Am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg untersuchen Michael Nassal und Heinz Schaller grundlegende Mechanismen im Vermehrungszyklus des ungewöhnlichen Virus – nicht zuletzt im Hinblick auf neue Therapiekonzepte.

Leben Viren? Außerhalb einer Zelle zeigen sie keine Anzeichen von Leben und sind lediglich komplexe chemische Molekülverbände – ein Stück sicher verpackter Erbinformation. Nach dem Eintritt in eine geeignete Wirtszelle aber wird die im Viruspartikel gespeicherte Information aktiviert, um die Zellmaschinerien für Wachstum und Vermehrung zur Produktion von Virus-Nachkommen umzudirigieren. Durch die Vervielfältigung erfüllen Viren das fundamentalste aller Lebenskriterien. Viren nutzen praktisch alle selbstständigen Lebensformen vom einfachen Bakterium bis zum menschlichen Organismus als Wirt. Einige erzeugen in kürzester Zeit möglichst viele Nachkommen, oft unter kompletter Zerstörung der Wirtszelle. Besonders dramatisch wird uns das durch die erschreckenden Folgen plötzlich auftretender Virus-Epidemien vor Augen geführt, zum Beispiel Ebola- oder Dengue-Fieber. Epidemiologisch bedeutender sind aber einige chronische Virusinfektionen. Hier nisten sich die zunächst scheinbar harmlosen Erreger auf Dauer in ihrem Wirt ein. Ihr Wirken im Stillen kann aber langfristig zu gravierenden Schäden führen. Eines dieser Viren ist das Hepatitis-B-Virus (HBV), mit dem etwa fünf Prozent der Erdbevölkerung chronisch infiziert sind, geographisch konzentriert in Südostasien, im südlichen Afrika und in Südamerika.

Leberzirrhose und Krebs durch HBV-Infektion

HBV gehört zu einer Reihe leberspezifischer Viren, die unterschiedlich schwere Entzündungen des zentralen Stoffwechselorgans hervorrufen. Andere, molekularbiologisch wenig mit HBV verwandte Hepatitisviren sind die A-, D- und E-Viren sowie das vor wenigen Jahren als Haupterreger der sogenannten Non-A-Non-B-Hepatitis identifizierte Hepatitis-C-Virus.

HBV wird durch sexuellen Kontakt sowie durch Blut und Blutprodukte übertragen. In Deutschland werden pro Jahr einige tausend Fälle registriert, die Dunkelziffer ist jedoch hoch; unter anderem sind besonders Drogenabhängige gefährdet. Neben der akuten, meist selbstausheilenden Hepatitis, führt die Infektion in fünf bis zehn Prozent der Fälle zu einem chronischen Verlauf; infiziert sich ein Kind während der Geburt bei seiner Mutter, steigt die Wahrscheinlichkeit dafür auf 90 Prozent. Als Folge kann es zu schwersten Leberschäden kommen, wahrscheinlich durch die andauernden, aber erfolglosen Versuche des Immunsystems, mit dem Erreger durch Abtöten der infizierten Leberzellen fertigzuwerden. Neben der Zirrhose, bei der funktionsfähige Leberzellen zunehmend durch Bindegewebe ersetzt werden, kann die chronische Hepatitis B auch zu Leberkrebs führen, der in einigen Regionen der Erde die häufigste Krebsform überhaupt darstellt.

Impfung erfolgreich, Behandlung schwierig

Seit einigen Jahren steht ein gentechnisch in Hefezellen produzierter Hepatitis-B-Impfstoff zur Verfügung, zu dessen Entwicklung frühe Arbeiten aus Heinz Schallers Labor an der Universität Heidelberg maßgeblich beigetragen haben. Der Impfstoff ist nicht nur effektiv, sondern auch sicher, da er anders als viele herkömmliche Impfstoffe als aktives Agens nicht komplette Viruspartikel, sondern nur ein HBV-Hüllprotein enthält. Einige Länder haben mit der Impfung aller Neugeborenen begonnen, um die Infektionskette zu unterbrechen; erste Erfolge zeichnen sich ab. Für viele der am meisten betroffenen Länder sind die Kosten aber unerschwinglich hoch, und die prophylaktische Impfung bietet keine Hilfe für die Millionen schon chronisch infizierter Virusträger.

Die kausale Therapie einer bestehenden Infektion ist äußerst schwierig: Durch die enge Verquickung zwischen Virus und Wirt liegt ähnlich wie bei der Krebsbehandlung ein Problem darin, spezifisch das Virus und virusinfizierte Zellen zu treffen ohne den Wirtsorganismus zu schädigen. Zudem entfalten Viren oft eine hohe Variabilität in der Sequenz ihres Erbguts, so daß therapieresistente Varianten entstehen können. Ein gewisser Erfolg bei der Behandlung der chronischen Hepatitis B läßt sich durch Interferon-a erreichen. Dieser körpereigene Botenstoff des Immunsystems ist inzwischen durch gentechnologische Verfahren in ausreichender Menge verfügbar. Allerdings ist ungeklärt, warum die Behandlung in nur etwa 30 Prozent der Fälle zum Erfolg führt.

Anders als echte Organismen vermehren Viren sich nicht durch Wachsen und Teilen. Ihre Moleküle enthalten daher nicht nur die Programme zur Vermehrung des viralen Erbguts und der anderen Komponenten des Viruspartikels, sondern auch die Information, sich durch Zusammenbau (Assembly) der Einzelkomponenten spontan, oder unter Zuhilfenahme zellulärer Hilfsfaktoren, zu neuen Viruspartikeln zusammenzulagern. Die Charakterisierung dieser Moleküle und ihrer Wechselwirkungen hat uns auch im Verständnis der Biologie von HBV ein erhebliches Stück weitergebracht. Auf Grund der äußerst geringen Zahl der in seinem Erbgut kodierten Genprodukte bietet HBV ein überschaubares Modellsystem zum Studium grundlegender biologischer Prozesse. Zudem bildet die so gewonnene Information eine notwendige Grundlage für die Entwicklung neuer Therapeutika.

Die Erbinformation geschickt genutzt

Die auffälligsten Eigenschaften des HBV-Genoms (s. Glossar) sind seine extrem geringe Größe und seine ungewöhnliche Form. Mit zirka 3000 Nukleotiden ist es etwa hundertmal kleiner als die größten bekannten Virusgenome und etwa eine Million mal kleiner als das Erbgut des Menschen. Zum Ausgleich hat das Virus eine Reihe ausgefeilter Mechanismen zur äußerst effizienten Nutzung seiner Erbinformation entwickelt. So entstehen aus den nur vier Genen sieben Proteinprodukte, die zudem unterschiedliche Strukturen annehmen können. In Virionen, der infektiösen extrazellulären Form des Virus, liegt das Genom nur zum Teil in der bekannten Form der DNA-Doppelhelix vor: Nur einer der beiden Stränge ist vollständig vorhanden und zudem durch eine chemische Bindung mit dem viralen „P-Protein“ verknüpft, das essentiell für die Vermehrung des Virusgenoms ist.

Im Serum von Hepatitis-B-Patienten sind Virionen nachweisbar sowie die in großem Überschuß gebildeten leeren Virushüllen, deren serologischer Nachweis – als „HBs-Antigen“ – ein wichtiger diagnostischer Marker ist. Für das Immunsystem ähneln sie Virionen; darauf beruht auch die Verwendung des gentechnisch produzierten HBs-Ag als Impfstoff. Das Virusgenom ist, zusammen mit dem P-Protein, in einer stabilen Schale aus Kapsidprotein verpackt. Dieses „Nukleokapsid“ steckt seinerseits in einer äußeren Hülle, die aus Membranen der Wirtszelle mit eingelagerten viralen Hüllproteinen besteht.

Der Infektionszyklus aller Viren ist durch eine Folge spezifischer Teilschritte gekennzeichnet, während derer Virus- und Wirtsmoleküle miteinander wechselwirken. HBV ist bei der Auswahl seiner Wirtszelle äußerst wählerisch; es nimmt nur Leberzellen von Menschen und Schimpansen. Für Untersuchungen im Labor müssen zudem „primäre“, das heißt aus dem lebenden Organismus in Kultur genommene, Zellen benutzt werden. Mit Hilfe molekularbiologischer Tricks lassen sich aber auch mit leichter handhabbaren Zellinien neue Erkenntnisse gewinnen, allerdings vorwiegend über die späte Phase des Vermehrungszyklus. Hinsichtlich der frühen Schritte steht fest, daß das Virus die Leberzelle mittels seines großen Hüllproteins erkennt, das an einen leberspezifischen Rezeptor bindet. Für HBV ist dieses wichtige Wirtszellmolekül noch nicht bekannt. Kürzlich gelang aber die Identifizierung eines Rezeptormoleküls für das verwandte Enten-Hepatitis-B-Virus (DHBV, „duck hepatitis B virus“), das als wichtiges Modellsystem dient. Die dem Eintritt in die Zelle folgenden Schritte dienen dazu, das Virusgenom dem zellulären Apparat zur Replikation und Expression der viralen Genprodukte zugänglich zu machen. Dazu wird die Virusnukleinsäure aus dem Kapsid freigesetzt, in den Zellkern transportiert und in ein komplett doppelsträngiges zirkuläres DNA-Molekül (cccDNA) umgewandelt. Von dieser Vorlage produziert ein eigentlich für die Synthese zellulärer Boten-RNA zuständiges Wirtsenzym viruseigene mRNAs, die ins Zytoplasma transportiert und dort an Ribosomen in Virusproteine übersetzt werden. Damit entstehen die Bausteine für die Verpackung neuer Virusgenome – wie aber werden diese vermehrt?

Ähnlich wie Retroviren, zum Beispiel HIV, benutzt HBV hierzu den ungewöhnlichen Weg der reversen Transkription (s. Glossar). Im Normalfall dient die DNA als Vorlage für RNA-Kopien; hier aber wird der Prozeß umgekehrt: Aus einer der viralen RNAs wird wieder DNA. Dazu bedarf es einer spezialisierten „reversen Transkriptase“, die bei HBV P-Protein genannt wird. Als Vorlage für die DNA-Kopie fungiert diejenige Virus-mRNA, die zuvor für die Translation des Kapsidproteins und des P-Proteins benutzt wurde. Zusammen mit ihren beiden Genprodukten bildet das sogenannte RNA-Prägenom zunächst ein neues Viruskapsid; in seinem Inneren findet die reverse Transkription statt. Schließlich gelangen die Kapside durch Wechselwirkung mit den viralen Hüllproteinen in ein inneres Zellkompartiment, von wo aus sie als umhüllte Virionen aus der Zelle geschleust werden. Die Schritte vom Zusammenbau des Nukleokapsids über die reverse Transkription bis zur Sekretion der kompletten Virionen gehören zu unseren Forschungsschwerpunkten.

Geniale Logistik für Verpackung und Vermehrung

Virale Kapside schützen das Virusgenom vor Schädigungen außerhalb der Zelle, und sie sind am Transport des Virusgenoms an die verschiedenen Kompartimente innerhalb der Wirtszelle beteiligt. Das HBV-Kapsidprotein läßt sich mit Hilfe der Gentechnologie aus Bakterien in größeren, für biochemische Analysen ausreichenden Mengen gewinnen. Durch gezielte Veränderungen der Abfolge der Aminosäuren konnten wir zeigen, daß die ersten drei Viertel der Sequenz ausreichen, um die Proteinschale des Kapsids zu bilden. Die restliche Sequenz ist stark positiv geladen und kann daher an die negativ geladene Virus-Nukleinsäure binden. Mit Kollegen vom Europäischen Laboratorium für Molekuarbiologie haben wir HBV-Kapside mittels elektronenmikroskopischer Techniken näher untersucht. Der Aufbau der Proteinschale, der aus HBV-infizierter Humanleber und der in Bakterien erzeugten Kapside, ist praktisch identisch. Beide bilden aus je 240 Kopien des Kapsidproteins Partikel, die ähnlich einem Fußball aus Fünf- und Sechsecken aufgebaut sind. Mit den bisher angewandten Methoden sind allerdings nur die Umrisse der Kapsidbausteine zu erkennen. Wir arbeiten deshalb daran, auch die Lage einzelner Atome innerhalb der Protein-Sequenz sichtbar zu machen. Im Innern unterscheiden sich aber die aus Leberzellen isolierten Kapside von den bakteriell produzierten durch eine deutlich höhere Elektronendichte, die auf das verpackte Virusgenom zurückzuführen ist.

Wie kommt die richtige Virus-RNA in das Kapsid? Und wie wird die reverse Transkriptase mitverpackt, ohne die aus der RNA kein DNA-Genom entstehen kann? Da die viralen RNAs nur einen winzigen Bruchteil der RNA-Moleküle der Zelle ausmachen, muß es einen ganz spezifischen Erkennungsmechanismus für die richtige Virus-RNA geben. Im Labor gelingt es, mit Hilfe der sogenannten Transfektion „nackte“ Virusgenome in kultivierbare Zellinien einzubringen und so ohne Infektion durch komplette Viruspartikel Nachkommenviren zu erzeugen. Mit gezielt veränderten Virusgenomen ließ sich das für die Verpackung notwendige Signal auf eine Region nahe dem sogenannten 5´-Ende des RNA-Prägenoms eingrenzen. Das Verpackungssignal „e“ besteht aus einer komplex gefalteten RNA-Struktur, deren doppelsträngiger Bereich durch eine seitlich herausstehende „Blase“ unterbrochen ist, ähnlich einem Eisenbahnsignal. Diese Struktur, mit darin eingebetteten speziellen Nukleotidsequenzen, macht das Prägenom von zellulären RNAs unterscheidbar. Das P-Protein erkennt das Signal. Kurzgefaßt ergibt sich damit folgender Ablauf: Zunächst werden vom RNA-Prägenom Kapsid- und P-Protein translatiert, das Enzym bindet an das Verpackungssignal, und an den Komplex lagern sich Kapsidprotein-Untereinheiten an, bis ein geschlossenes Nukleokapsid entstanden ist. Auf diese genial einfache Weise ist die gleichzeitige Verpackung des Virusgenoms und des für seine reverse Transkription erforderlichen Enzyms gewährleistet.

Das Kopieren von Nukleinsäuren erfolgt immer gerichtet: Der neue Strang wird vom sogenannten 5´-Ende her durch Anheften der Einzelbausteine ans andere, das 3´-Ende, verlängert; das Ablesen der komplementären Vorlage beginnt an deren 3´-Ende. Für die reverse Transkription des RNA-Prägenoms muß also auch das HBV-P-Protein dorthin gelangen. Da es aber an das 5´-seitige Verpackungssignal gebunden ist, sitzt es am falschen Ende. Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, daß HBV einen raffinierten Mechanismus benutzt, um diesen Konflikt zu lösen: Das Verpackungssignal enthält selbst die Stelle, an der mit dem Abkopieren begonnen wird. Dabei nutzt das Enzym die „Blase“ innerhalb der e-Struktur als Vorlage für ein kurzes komplementäres DNA-Stück (“Primer“), das kovalent an P-Protein gebunden an eine spezifische Stelle am anderen Ende der RNA springt. Von dort aus wird der Primer zu einer vollständigen DNA-Kopie verlängert. Das Spiel wiederholt sich in ähnlicher Form noch einmal zur Synthese des zweiten DNA-Strangs.

Ließe sich dieser bemerkenswerte Prozeß im Reagenzglas nachvollziehen, könnten Substanzen, die möglicherweise die Vervielfältigung hemmen, potentielle Replikations-Inhibitoren, direkt getestet werden. Trotz vieler Versuche ist das mit dem HBV-P-Protein aber noch nicht gelungen – wahrscheinlich, weil spezielle zelluläre Faktoren daran beteiligt sind. Darauf deuten jedenfalls neueste Daten mit dem verwandten DHBV-P-Protein hin, das sich in aktiver Form isolieren läßt, wenn auch nur in äußerst geringen Mengen. Seine Aktivität bedarf unter anderem des Hitzeschockproteins Hsp90, das zu einer Familie von Proteinen gehört, die vermehrt in hitzegestreßten Zellen auftreten. Dort, aber auch in der normalen Zelle, verhindern diese Faltungshelfer (“Chaperone“), daß noch unfertig gefaltete Proteine miteinander zu struktur- und funktionslosen Aggregaten verklumpen. Wie im Fall des P-Proteins können sie aber auch speziellere regulatorische Aufgaben wahrnehmen.

Wo kann eine antivirale Therapie ansetzen?

Mit dem Modellsystem konnten wir inzwischen zeigen, daß die Bindung des e-Signals an das P-Protein die RNA-Struktur dramatisch verändert. Zum anderen haben wir künstliche RNA-Sequenzen isoliert, die zwar an P-Protein binden, sich aber nicht in DNA umkopieren lassen; solche Moleküle könnten als Inhibitoren der Virusvermehrung dienen.

Zum Verlassen der Wirtszelle müssen die DNA-haltigen Kapside mindestens eine zelluläre Membran – entweder die äußere Plasmamembran oder die Membran eines inneren Kompartiments – ohne Schädigung durchqueren. Höhere Zellen benutzen für den Stoffaustausch mit der Umgebung sogenannte Transportvesikel, die durch Abschnüren (“Knospung“) von kleinen Membranregionen entstehen; somit können Frachtmoleküle in eine geschlossene Hülle verpackt und zwischen den Kompartimenten und der Plasmamembran hin- und hergeschickt werden. Durch Membranverschmelzung wird der Vesikelinhalt ins Innere des Bestimmungskompartiments oder in den Extrazellulär-Raum freigesetzt, die Zielmembran bleibt dabei unversehrt. Dem selben Prinzip folgen umhüllte Viren, nur besteht hier die Fracht nicht aus einem für die Zelle nützlichen Stoff, sondern dem Viruskapsid.

Wie zelluläre sekretorische Proteine beginnen die Hüllproteine der Hepatitis-B-Viren ihre Reise aus der Zelle im endoplasmatischen Retikulum. Anders als die meisten Zellproteine schnüren sie sich aber auf ihrer Wanderung, bevor sie die nächste Station, den Golgi-Apparat, erreichen, als geschlossene Hüllen in das Innere des Kompartiments ab, von wo sie sich mit Hilfe der größeren zellulären Transportvesikel nach außen, das heißt im Falle der Leber ins Blut, bringen lassen. Ohne Kapsid entstehen so die leeren Virushüllen, mit Kapsid komplette Virionen. Während viele Viren für die Interaktion zwischen Kapsid und Hüllprotein spezielle Adaptorproteine entwickelt haben, operiert HBV auch hier mit größtmöglicher genetischer Ökonomie: die „PräS-Region“ des großen Hüllproteins ist nicht nur für die Bindung des zellulären Rezeptors zuständig, sondern auch für die Umhüllung des Kapsids. Daraus ergibt sich ein fundamentales topologisches Problem, denn beide Interaktionen finden auf unterschiedlichen Seiten der Membran statt. Tatsächlich kann die PräS-Region beide Orientierungen einnehmen. So findet sich in der fertigen Virushülle etwa die Hälfte auf der Innen-, die Hälfte auf der Außenseite. Bei praktisch allen zellulären Membranproteinen ist dagegen die Topologie eindeutig festgelegt – aus gutem Grund, denn eine Verwechslung zwischen innen und außen könnte fatale Konsequenzen für die Zelle haben. Wahrscheinlich nutzt HBV zur Realisierung der dualen PräS-Topologie das zelluläre Hitzeschockprotein Hsc70 (ebenfalls ein Chaperon): Dieses in Viruspartikel mitverpackte Protein bindet an die zunächst zytoplasmatisch orientierte PräS-Region und könnte die spätere Translokation auf die andere Membranseite vermitteln.

So spannend die Aufklärung der Molekularbiologie der Hepatitis-B-Viren ist, welcher Gewinn ergibt sich aus der Grundlagenforschung in therapeutischer Hinsicht? Wie oben skizziert, gewährleistet nur das komplexe Zusammenspiel der Virusbausteine untereinander und mit zellulären Faktoren die Entstehung neuer infektiöser Virionen. Jede dieser Interaktionen ist damit prinzipiell auch ein Angriffspunkt für eine spezifische therapeutische Intervention. Die Akteure auf Virusseite sind definiert, und die wichtige Rolle einiger der zellulären Partner ist erkannt; weitere werden mit Sicherheit folgen. Noch können nur einige der Schritte im Reagenzglas biochemisch analysiert werden, und das vorwiegend im DHBV-Modellsystem; für HBV fehlen zudem handhabbare experimentelle Infektionssysteme, zum Beispiel infizierbare Zellinien und ein Kleintiermodell. Dennoch kann anhand der jetzt vorliegenden Erkenntnisse die Eignung einzelner Teilschritte als Ziel antiviraler Therapiekonzepte überprüft werden. Mit zunehmender Erweiterung unseres Grundlagenwissens sollte es sogar möglich sein, aus dem pathogenen Hepatitis-B-Virus ein nutzbringendes Werkzeug für die gentherapeutische Behandlung von schweren Lebererkrankungen zu machen.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Michael Nassal
Zentrum für Molekulare Biologie der Universtät Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 282, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 68 15

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