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Wenn Pflanzen in Streß geraten

Sie sind permanent Wind und Wetter ausgesetzt, müssen auf salzigen oder schadstoffbelasteten Böden wachsen, Fraßfeinde und Krankheitserreger abwehren: Auch Pflanzen leiden unter Streß. Um den Widrigkeiten des alltäglichen Pflanzenlebens zu trotzen, hat die Natur in die kleinste Baueinheit der Pflanze, die Zelle, molekulare Anti-Streß-Programme eingebaut. Da gibt es Moleküle, die wie Drehtüren arbeiten und schädliche Stoffe elegant aus der Zelle hinaustransportieren. Ein anderes Beispiel sind Eiweiße, die giftige Substanzen wie die Scheren eines Krebses in die "Zange" nehmen und so daran hindern, Schaden anzurichten. Thomas Rausch vom Botanischen Institut schildert die spannenden pflanzlichen Strategien zur Streßbewältigung auf zellulärer Ebene und ihre überraschenden praktischen Anwendungsmöglichkeiten.

Pflanzen können nicht weglaufen. Nicht vor Hitze und Kälte, nicht vor Trockenheit und Überflutung und auch nicht vor Schädlingen wie Viren, Bakterien, Pilzen oder Insekten. Pflanzen bleibt nichts anderes, als sich vor Ort zu wehren. Dazu müssen sie besondere Strategien entwickeln. Ein wichtiger Teil ihres Schlüssels zum Erfolg liegt bereits in ihrer Entwicklung: Pflanzen sind unglaublich regenerationsfähig. Wird eine Pflanze beispielsweise verwundet, produziert sie schützendes Abschlußgewebe und bald brechen neue Triebe hervor. Nahezu alle Organe einer Pflanze können nach den in ihren Erbanlagen festgelegten Informationen in Form neuer, identischer Module gebildet werden. Auch die häufig sehr große Zahl der Samen mit ihren ausgeklügelten Formen, die eine Verbreitung in neue Lebensräume garantieren, trägt zur Überlebensfähigkeit der Pflanzen bei. Das einzelne Individuum aber ist seßhaft und muß alle Streßfaktoren an Ort und Stelle bewältigen. Jede Pflanze hat dazu bereits während ihrer Entwicklung eine Reihe "konstitutiver" Abwehrmechanismen ausgeprägt. Hinzu kommt ein vielfältiges Spektrum an "induzierbaren", das heißt, durch Streß auslösbaren Abwehrfaktoren.

Für den Menschen sind die Abwehrstrategien der Pflanze besonders wichtig, wenn es sich um Nutzpflanzen handelt. Die moderne Landwirtschaft setzt heute in der Regel Hochleistungssorten ein, die maximale Erträge liefern sollen. Im Verlauf der Züchtung neuer Hochleistungssorten gingen jedoch häufig "alte" Abwehrmechanismen verloren. Alte Landsorten zeigen beispielsweise oft eine breite Resistenz gegenüber verschiedenen Schädlingen, sind aber weniger ertragreich.

Aus dem Blickwinkel der modernen Biotechnologie betrachtet, sind Pflanzen solarenergiebetriebene Bioreaktoren. Das Produkt dieser "Bioreaktoren" kann ein natürlicher Speicherstoff sein, etwa das Öl des Raps-Samens, der Zucker der Zuckerrübe oder die Stärke verschiedener Getreidesorten. Durch die gentechnische Veränderung des pflanzlichen Erbguts können höhere Ausbeuten der natürlicherweise vorkommenden Speicherstoffe erzielt werden. Es können aber auch neuartige Produkte gebildet werden, etwa veränderte Fettsäuren oder Vorstufen für biologisch abbaubare Kunststoffe. Damit der "Bioreaktor Pflanze" erfolgreich arbeitet, müssen zwei Faktoren stimmen: optimale Leistungsfähigkeit bei geringstmöglicher Störanfälligkeit. Unsere Arbeitsgruppe im Botanischen Institut untersucht auf molekularer Ebene verschiedene zelluläre Mechanismen der Streßabwehr. Die hier ausgewählten Beispiele zeigen, wie aus ursprünglich reiner Grundlagenforschung interessante biotechnologische Anwendungen erwachsen können.

Betrachtet man eine Pflanzenzelle unter dem Mikroskop, fallen bereits auf den ersten Blick zwei Eigentümlichkeiten auf, die sie von den meisten tierischen Zellen unterscheiden: eine mechanisch feste Zellwand und ein großer, von einer Membran (Tonoplast) umschlossener Binnenraum (Zellsaftraum oder Vakuole). Beide Bereiche, der Zellwandraum und die Vakuole, liegen zwar außerhalb des "lebenden" Plasmas, sie sind jedoch von zentraler Bedeutung für das Funktionieren der einzelnen Zelle und für die Stoff-Flüsse in der Pflanze.

Zelluläre Speicher- und Entgiftungszentralen

Von den kohlenhydratproduzierenden Blättern zu den Orten des Nährstoffverbrauchs – zum Beispiel der Wurzel oder Blüte – fließen ständig Salz- und Nährstoffströme. Hierbei kooperieren zwei Typen von "Pipelines": Eine Pipeline ist zuständig für den Transport organischer Nährstoffe, das ist das sogenannte Phloem. In einer weiteren Pipeline werden Ionen und Wasser befördert, das ist das sogenannte Xylem. In der Praxis teilen sich beide Systeme bestimmte Aufgaben, so daß die Unterscheidung manchmal etwas schwierig wird. Entscheidend ist aber, daß trotz aller eingebauter Regulationsvorgänge für die Stoff-Flüsse in der gesamten Pflanze die Zellen eigene Speicherräume benötigen, um sich gegen etwaige Fluktuationen im Nährstoffangebot abzupuffern. Hier liegt eine wichtige Aufgabe der Vakuolen. In ihnen werden Nährstoffe, beispielsweise Zucker und Aminosäuren, gespeichert. Aber auch toxische Verbindungen werden in den Vakuolen abgelagert. Das können pflanzeneigene Abwehrstoffe gegen Fraßfeinde sein, etwa Alkaloide oder Senfölglucoside. Es können aber auch bestimmte Ionen (Natrium-Ionen, Schwermetall-Ionen) sein, die die Stoffwechselvorgänge im Zytosol beeinträchtigen.

Die Vielfalt der zellulären Aufgaben der pflanzlichen Vakuole macht unmittelbar deutlich: Streßbezogene Funktionen, zum Beispiel die Anreicherung (Akkumulation) von Natrium-Ionen bei hoher Salzbelastung des Bodens, können nicht von anderen wichtigen Funktionen wie der Nährstoffspeicherung oder der Akkumulation von Kalium- und Kalzium-Ionen, die für das Wachstum der Pflanze wichtig sind, getrennt werden. Die Vakuole der einzelnen Zelle muß beiden Anforderungen gerecht werden.

Für die Arbeitsleistung der Vakuole sind zwei Eiweiße (Proteine), die in den Tonoplasten eingebettet sind, von zentraler Bedeutung. Sie heißen "V-(vakuolär)ATPase" und "V-PPase". Beide Enzyme – sie werden auch Protonenpumpen genannt – katalysieren den gerichteten Transport von Protonen (H3O+-Teilchen) aus dem Zytosol in den vakuolären Binnenraum. Da zum Ladungsausgleich zusammen mit den positiv geladenenProtonen auch negativ geladene Ionen (Anionen), zum Beispiel Chlorid (Cl-), transportiert werden, kommt es zu einer meßbaren Ansäuerung des Zellsaftraums. Das Resultat der Arbeit beider Pumpen ist eine Ansäuerung der Vakuole (etwa pH 5) im Vergleich zum Zytosol (etwa pH 7.2). Dieser pH-Gradient entspricht einem bestimmten Energiegehalt, der für sekundär aktive Transportprozesse genutzt werden kann. V-ATPase und V-PPase arbeiten also Tag und Nacht als zelluläre Generatoren. Sie sorgen dafür, daß an der Membran der Vakuole nie "das Licht ausgeht".

Der aktive Transport der H3O+-Teilchen benötigt Energie: Im Fall der V-ATPase wird sie durch Spaltung von ATP (Adenosintriphosphat), im Fall der V-PPase durch Spaltung von Pyrophosphat (PP) geliefert. Die molekulare Struktur beider Protonen-"Pumpen" ist mittlerweile gut verstanden. Während die V-PPase nur aus einer Sorte von Polypeptiden (den Bausteinen von Eiweißen) aufgebaut ist, blieb die Aufklärung der sehr komplexen Struktur der V-ATPase (mehr als zehn verschiedene Untereinheiten) jahrelang eine Herausforderung. Da die genetisch einfacher zu untersuchende Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae zur Ansäuerung der Vakuole eine prinzipiell gleichartige ATPase nutzt, konnte für diesen Organismus durch die Analyse von Mutanten (genetisch veränderten Hefen) die Struktur der V-ATPase in den letzten Jahren aufgeklärt werden.

In der pflanzlichen Zelle ist die Transportleistung beider Protonenpumpen an die zellulären Konzentrationen von ATP und Pyrophosphat gekoppelt. Damit ist gewährleistet, daß Transport- und Stoffwechselleistungen der Zelle stets eng miteinander verknüpft bleiben. Wenn die Leistung der Protonenpumpen dem Bedarf der Zelle in verschiedenen Entwicklungsstadien oder Streßsituationen angepaßt werden soll, kann dies auf verschiedenen Wegen erfolgen. Entweder wird die Aktivität der bereits existierenden Protonenpumpen dem Bedarf entsprechend reguliert, oder die Anzahl der Pumpen wird erhöht. Die Mechanismen dieser Regulation sind von großem Interesse, um die zentralen Funktionen der Protonenpumpen für alle Transportvorgänge zu verstehen.

Molekulare Drehtüren

Um aufzuklären, wie beide Protonenpumpen reguliert werden, benutzten wir die Zuckerrübe (Beta vulgaris). Sie ist aufgrund ihrer Salztoleranz und wegen ihrer außergewöhnlichen Anreicherung des Zuckers Saccharose in der Speicherwurzel ein interessantes Forschungsobjekt. Im Tonoplasten von Zellen der Zuckerrübe wurde ein Protein nachgewiesen, das in der Lage ist, Protonen gegen Natrium-Ionen auszutauschen. Das Protein bildet gleichsam eine molekulare Drehtür: Für jedes Natrium-Ion (Na+), das zur Entgiftung des Zytosols in die Vakuole transportiert wird, verläßt ein Proton (H+) die Vakuole. Man nennt dieses Protein "Na+/H+- Antiporter". Zum anderen existiert im Tonoplasten der zuckerspeichernden Zellen der Rübe ein "Saccharose/H+-Antiporter", der für die Anreicherung der Saccharose in der Vakuole verantwortlich ist. In beiden Fällen ist offenkundig, daß bei voller Arbeitsleistung dieser Antiporter der Protonengradient langsam abgebaut würde. Da aber der Transport einer Reihe anderer wichtiger Ionen an denselben pH-Gradienten gekoppelt ist – zum Beispiel die Speicherung des Kalzium-Ions, das für die zelluläre Signalvermittlung außerordentlich wichtig ist – muß die Zelle eine erhöhte Protonenpump-leistung erbringen, um den pH-Wert im Innern der Vakuole aufrechtzuerhalten. Dies könnte durch mehr Protonenpumpen (V-ATPase und/oder V-PPase), aber auch durch die Aktivierung vorhandener Pumpen erreicht werden.

Bereits zu Beginn der 90er Jahre machten Paul Hasegawa (Purdue University, West Lafayette) und seine Mitarbeiter eine interessante Beobachtung: In Tabakzellen stieg bei hoher Belastung mit Salz (NaCl) die Expression – das heißt die Menge der Boten-RNA (mRNA) für das Gen einer Untereinheit der V-ATPase – deutlich an. Diesen Befund konnten wir für die Zuckerrübe bestätigen. Die Gene für die verschiedenen Untereinheiten der V-ATPase werden, wie alle anderen zellulären Gene, von bestimmten Schaltern reguliert. Diese Schalter werden Promotoren genannt. Bei den Promotoren handelt es sich um Genbereiche, an die regulierende Proteine, sogenannte trans-Faktoren, binden. Die trans-Faktoren beeinflussen die Intensität, mit der das Gen abgelesen wird.

Um zu verstehen, wie diese "Aktivitätsschalter" funktionieren, haben wir die Promotorregionen aus den jeweiligen Genen "herausgeschnitten" und vervielfältigt (kloniert). Für die Bestimmung ihrer Aktivitäten haben wir hinter die Promotoren ein sogenanntes Reportergen eingefügt. Dieses Reportergen enthält die Information für ein Enzym, das einen Farbstoff bilden kann. Immer, wenn der Promotor aktiv ist, wird dieses Enzym gebildet. Dessen Aktivität kann als Maß für die Promotoraktivität genutzt werden.

Um das Konstrukt aus V-ATPase-Promotor und Reportergen in der Zelle zu testen, wird es zunächst auf winzige Wolframpartikel aufgebracht. Die derart beladenen Wolframpartikel werden dann mit einer sogenannten Gen-(DNS)-Kanone in die Pflanzenzellen geschossen. In der Zelle binden die dort vorhandenen regulierenden Proteine an den Promotor. Nach einer bestimmten Zeit kann die Enzymaktivität des Reportergens über die Bildung des Farbstoffs gemessen werden. Auf diesem Weg ist es uns kürzlich gelungen, Promotorbereiche für drei verschiedene V-ATPase-Gene zu identifizieren, die für die Antwort dieser Gene auf hohe Salzbelastung verantwortlich sind. Zur Zeit werden diejenigen Bereiche näher eingegrenzt, die die "Salzantwort" in eine erhöhte Promotoraktivität übersetzen. Ziel ist hier, die Proteine näher zu charakterisieren, die an diese Bereiche binden. Die Aufklärung der strukturellen und regulativen Eigenschaften dieser Proteine wird uns helfen, die Antwort der V-ATPase-Gene auf Salzbelastung besser zu verstehen. In analoger Weise soll aufgedeckt werden, wie die Genexpression (die Realisierung der genetischen Information) beider Pumpen in der Phase aktiver Saccharoseanreicherung über den Saccharose/H+-Antiporter reguliert wird.

Auch Schwermetallionen, zum Beispiel Kadmium-Ionen, können in der Vakuole pflanzlicher Zellen entgiftet werden. Zunächst allerdings muß das in den Zellsaft eingedrungene Kadmium-Ion durch "Komplexierung" unschädlich gemacht werden. Hierzu werden sogenannte Phytochelatine gebildet: Sie halten die Kadmium-Ionen gleichsam wie Krebsscheren fest und gelangen dann mit ihnen gemeinsam mit Hilfe bestimmter Transportproteine unter Energieverbrauch in die Vakuole. Phytochelatine sind untypische Proteine (Polypeptide): Sie werden nicht gemäß einer bestimmten Gensequenz gebildet, sondern entstehen durch die enzymatische Verknüpfung des Tripeptids Glutathion (GSH). GSH besteht aus den Aminosäuren Glutaminsäure, Cystein und Glycin. Die SH-Gruppe (Thiolgruppe) des Cysteinrestes im GSH-Molekül liegt im Zellsaft in der Regel reduziert vor. Bei Belastung mit sogenanntem "reaktiven" Sauerstoff kann es jedoch zur Oxidation von zwei GSH-Molekülen zu GSSG kommen. GSH ist deshalb nicht nur für die Bildung von Phytochelatinen wichtig. Es trägt auch maßgeblich zum reduzierenden Milieu des Zytosols bei. Wenn aus GSH Phytochelatine hergestellt werden, geschieht dies durch eine sogenannte Transpeptidase-Reaktion, bei der immer ein Glycin-Rest abgespalten wird. Das fertige Phytochelatin hat daher die allgemeine Struktur (Gamma-Glutamyl-Cystein)nGlycin. In den gebildeten Phytochelatin-Kadmium-Komplexen ist das Kadmium-Ion von vier SH-Gruppen umgeben.

Unser Forschungsobjekt zur Aufklärung der zentralen Rolle von Glutathion für die Bildung von Phytochelatinen ist der Sarepta-Senf (Brassica juncea). Die Arbeitsgruppe von Ilya Raskin (Rutgers University, New Brunswick) hat bereits gezeigt, welche Anwendung diese Pflanze finden könnte: Sie könnte zur sogenannten Phytosanierung von schwermetallbelasteten Böden eingesetzt werden. Bei dieser sanften Strategie der Schwermetallentfernung nimmt die Pflanze die Kadmium-Ionen über die Wurzel auf. Von dort gelangt ein erheblicher Anteil in den Sproß, der abgeerntet und schadstoffarm verbrannt werden kann. Die Pflanze wird also als solarenergiegetriebener Schwermetallionen-Akkumulator genutzt. Erfreulicherweise werden in jüngster Zeit neue Ansätze zur Phytosanierung auch in Europa mit EG-Forschungsmitteln gefördert.

Wir wollen verstehen, wie die Glutathionsynthese in verschiedenen Streßsituationen reguliert wird. Dabei steht die Kadmium-induzierte Bildung der Phytochelatine im Vordergrund. Wie wir zeigen konnten, geht die erhöhte Bildungsrate von GSH unter Kadmium-Belastung mit der koordinierten Erhöhung der Aktivität einer ganzen Genbatterie einher: Da die GSH-Biosynthese auf die Aminosäure Cystein als Baustein angewiesen ist, führt eine Belastung der Zellen mit Kadmium-Ionen zu einer synchronen Aktivierung von Genen der Cystein- und der GSH-Biosynthese.

In pflanzlichen Zellen scheint die Biosynthese von GSH an verschiedenen Orten abzulaufen. Während man bisher annahm, daß nur das Zytosol und die Chloroplasten in den Blättern hinsichtlich der GSH-Synthese autark sind, fanden wir jetzt Hinweise darauf, daß die Biosynthese von GSH auch in weiteren Organellen der Zelle, den Mitochondrien und Peroxisomen, stattfinden kann. In der Arbeitsgruppe von Christine Foyer (Rothamsted Experimental Station, Harpenden) wurden kürzlich in genetisch veränderten Pappeln die GSH-Biosynthese-Gene des Bakteriums Escherichia coli (E.coli) zur Ausprägung gebracht, allerdings bisher nur im Zytosol beziehungsweise in den Chloroplasten. In den Pappeln wurde eine bis zu vierfach erhöhte Menge an GSH gefunden. Ausgehend von unseren eigenen Befunden wird auch zu klären sein, welche Auswirkung eine erhöhte Synthese von GSH in Mitochondrien und/oder Peroxisomen hat. Die entscheidende Frage, ob die Streßtoleranz der Pflanze über eine erhöhte GSH-Bildungsrate verbessert werden kann, ist zur Zeit noch nicht ab-schließend zu beantworten.

Neben der wichtigen Funktion der Vakuole für verschiedene zelluläre Mechanismen zur Streßabwehr spielt auch der Zellwandraum eine Schlüsselrolle, insbesondere bei der Abwehr von Krankheitserregern (Pathogenen). Die pflanzliche Zellwand zeigt aufgrund von Ladungen die Eigenschaften eines Ionenaustauschers: Giftige Ionen können zu einem gewissen Teil hier unschädlich gemacht werden. Durch den enzymatischen Abbau von Zellwandbestandteilen können außerdem kleine Oligosaccharide – wichtige Signale bei der Pathogenabwehr – entstehen. Diese sogenannten Elicitoren werden von bestimmten Proteinen (Rezeptoren) gebunden, die das Signal dann in die Zelle weiterleiten. Die Folge kann beispielsweise sein, das Abwehrproteine gebildet werden, zum Beispiel Chitinasen, die einem Pathogen (Pilz, Insekt) Schaden zufügen.

Als ein weiteres, besonders wichtiges Signalmolekül wurde in jüngster Zeit Glukose identifiziert. Die Aufnahme von Glukose aus dem Zellwandraum führt dazu, daß die Genexpression nachhaltig umprogrammiert wird: Gene für die Photosynthese werden abgeschaltet, Gene für die Pathogenabwehr aktiviert. Bemerkenswert ist, daß die aufgenommene Glukose dazu nicht verstoffwechselt werden muß: Das Molekül selbst wirkt als Signal.

Diese wichtige Erkenntnis hat dazu geführt, daß ein schon lange bekanntes Enzym, die Invertase, zu neuem Ruhm gelangte. Die Invertase spaltet den Zweifachzucker Saccharose in die Einfachzucker Glukose und Fruktose. Innerhalb weniger Jahre eröffnete sich als Folge der Forschungsarbeiten einer internationalen "Invertase-Gemeinschaft" der Blick auf ein hochkomplexes Szenario: Eine ganze Reihe von ähnlichen Invertase-Proteinen – sogenannte Isoformen – werden in unterschiedlichen Entwicklungsphasen einer Zelle beziehungsweise von unterschiedlichen Zelltypen gebildet. Es gibt Isoformen, die in der Vakuole arbeiten, wieder andere sind im Zellwandraum lokalisiert.

Kürzlich wurden auch die ersten Vertreter einer dritten Invertasegruppe entdeckt und kloniert, die aus-schließlich im Zytoplasma gebildet werden. Obgleich diese "zytosolischen" Invertasen die gleiche Reaktion katalysieren wie ihre "Verwandten" in der Vakuole und im Zellwandraum, haben sie überraschenderweise eine ganz andere Proteinstruktur.

Noch sind nicht alle natürlichen Funktionen der verschiedenen Invertase-Isoformen verstanden. Wir konnten jedoch zeigen, daß bestimmte Isoformen nach mechanischer Verwundung und Pathogenbefall gebildet werden. Wegen der Signalwirkung der bei der Saccharose-Hydrolyse gebildeten Glukose ist dies vielleicht nicht weiter verwunderlich. Es könnte sich um einen Mechanismus handeln, der das Signal verstärkt und die Proteinsynthese-Kapazität der Zelle auf die Bildung von Abwehrproteinen umstellt. Gleichzeitig sind die Produkte der Invertase-Reaktion, Glukose und Fruktose, Substrate für Energiegewinnung und Atmung während der Wundreaktion. Während unserer Untersuchungen zur Regulation der Invertasen im Zellwandraum und in der Vakuole stießen wir kürzlich auf eine "alte" neue Proteingruppe, die sogenannten Invertase-Hemmer (Inhibitoren). Über ihre Existenz wurde bereits in den 60er Jahren berichtet. Über 30 Jahre ruhten diese frühen Erkenntnisse. Durch den Einsatz molekularbiologischer Methoden gelang es uns kürzlich, erste pflanzliche Invertase-Inhibitoren näher zu charakterisieren. Es handelt sich um eine der Struktur nach "neue" Proteinfamilie: Unsere Datenbanksuche ergab keine bereits bekannten ähnlichen Sequenzen. Nach der heterologen Expression des ersten pflanzlichen Invertase-Inhibitors im Bakterium Escherichia coli konnte gezeigt werden, daß das aus den Bakterien isolierte, gentechnisch hergestellte Inhibitorprotein tatsächlich gezielt pflanzliche Invertasen hemmt.

Ein Schalter für den Schalter?

Gemeinsam mit Uwe Sonnewald (IPK, Gatersleben) wurden genetisch veränderte, transgene, Tabakpflanzen mit erhöhter (sogenannte sense-Transformanten) oder verminderter (sogenannte antisense-Transformanten) Bildung des Invertase-Inhibitors gewonnen. Hinsichtlich ihres Wachstums zeigten sich die gentechnisch veränderten Tabakpflanzen unberührt. Interessant war allerdings folgender Befund: Der Prozeß der Samenbildung war besonders in den sense-Transformanten stark betroffen. Vermutlich hatte die starke Bildung des hemmenden Proteins eine Zellwand-Invertase ausgeschaltet, die für den Nährstofftransport von der Mutterpflanze zum Samen wichtig ist. Hierbei erfüllen die nach der Spaltung von Saccharose gebildeten Einfachzucker Glukose und Fruktose vermutlich nicht nur die Rolle von Nährstoffen; sie wirken wahrscheinlich auch als Signale, die die Entwicklung des Samens steuern. Damit stellt sich die Frage: Ist diese Zellwand-Invertase ein Schalter für die Entwicklung des Samens? Und wenn ja, ist der Inhibitor dann ein Schalter für den Schalter?

Kürzlich versetzte uns ein weiterer Befund in Aufregung: Kältegelagerte Knollen von Kartoffelpflanzen, die mit dem Gen eines "nahen Verwandten" des oben genannten Hemmstoffes genetisch verändert (transformiert) wurden, zeigten im Vergleich zu genetisch unveränderten Pflanzen (dem sogenannten Wildtyp) eine stark erniedrigte Bildung von Glukose und Fruktose. Da die Lagerung von Kartoffeln bei niedrigen Temperaturen zu einer Anreicherung von Zuckern führt, spricht man bei diesem Vorgang von Versüßung oder "cold sweetening". Dies beeinträchtigt nicht nur den Geschmack; die Bildung der Hexosen Glukose und Fruktose führt zu einer weiteren unangenehmen Begleiterscheinung: Durch deren Reaktion mit Aminsäuren im Verlauf des Fritierens entstehen schwarzbraune Reaktionsprodukte. Damit schränkt das "cold sweetening" die Nutzbarkeit kältegelagerter Kartoffeln für die Herstellung von Pommes Frites ein. Eine mögliche biotechnologische Anwendung dieses Invertase-Inhibitors liegt damit auf der Hand.

Autor:
Prof. Dr. Thomas Rausch, Botanisches Institut, Im Neuenheimer Feld 360, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 54 66 21

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