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Meinungen

Tierschutz ins Grundgesetz?

Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung "Tierschutz" in das Grundgesetz wird gegenwärtig von verschiedenen Parteien befürwortet. Aus guten Gründen wurde dasselbe Ziel im Jahr 1994 nicht erreicht. Alle diese Gründe sind auch heute noch gültig.

Für ein Staatsziel Tierschutz gibt es meines Erachtens keine echten Argumente. Die Diskussion darüber wird von Emotionen bestimmt. Drei Fragen möchte ich aufgreifen:

1. Sind wir nicht alle für Tierschutz?
Das sind wir in der Tat. Das Staatsziel Tierschutz kann den Tierschutz jedoch nicht verbessern. Denn für die eigentlich problematischen Bereiche wie Nutztierhaltung oder Tierschlachtung existiert keine gesetzliche Genehmigungspflicht. Die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz würde hier keine einklagbaren Verbesserungen bringen. Ganz anders ist die Situation für die schon jetzt überregulierte biomedizinische Grundlagen- und angewandte Forschung. Ihr entstünden erhebliche Probleme. Ein Beispiel: Das geltende Tierschutzgesetz bestimmt, daß Untersuchungen an lebenden Wirbeltieren genehmigt werden müssen. Jede Genehmigung ist von einer ethischen Abwägung abhängig. Wegen dieser gesetzlich verankerten Genehmigungspflicht und dem Verweis auf ethische Abwägung kann die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in Verbindung mit dem Verbandsklagerecht dazu genutzt werden, bereits genehmigte Tierversuche oder geplante Neuanträge über den Klageweg anzufechten. Hierbei könnte der dann mögliche Verweis auf das Staatsziel Tierschutz richterliche Entscheidungen zu Ungunsten der Forschung beeinflussen. Es würde dann eines langen Instanzenweges bedürfen, bis die Forschung zu ihrem Recht kommt. Die Gefahr, daß über einstweilige Verfügungen der Wissenschaftsbetrieb in der biomedizinischen Forschung vorübergehend lahmgelegt werden würde, ist offensichtlich. Der Faktor Zeit ist aber von herausragender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit. Schon geringfügige Verzögerungen können wichtige Forschungsvorhaben scheitern lassen.

2. Ist der Tierschutz nicht schon in einigen Landesverfassungen fixiert?
Einige Landesverfassungen enthalten bereits das Staatsziel Tierschutz. Da das Tierschutzgesetz Bundesrecht ist, können zu dessen Auslegung landesverfassungsrechtliche Bestimmungen nicht herangezogen werden. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen können Eingriffe in das Bundesrecht nicht rechtfertigen. Im Klartext: Die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz in die Landesverfassungen hat keine praktischen Konsequenzen. Anders wäre dies bei der Aufnahme ins Grundgesetz. Deshalb wird dies zur Zeit versucht.

3. Muß nicht "Waffengleichheit" in Auseinandersetzungen zwischen Forschungsfreiheit (Verfassungsrecht) und Tierschutz (einfaches Recht) herrschen?
Mit dem Begriff "Waffengleichheit" wird von den Befürwortern des Staatsziels Tierschutz eine kriegsähnliche Auseinandersetzung inszeniert. Das hat für die Befürworter den Vorteil, daß Vernunftargumente nicht mehr zählen, sobald dieser Zustand öffentlich anerkannt worden ist.

Vielen Politikern fällt es leicht, alle drei Fragen mit einem sofortigen "Ja" zu beantworten. Ohne weitere Überlegung plädieren sie für das Staatsziel Tierschutz, zumal Umfrageergebnisse eine klare Mehrheit einer Öffentlichkeit anzeigen, die sich bei genauerer Betrachtung als weitgehend uninformiert erweist.

Für die Ablehnung des Staatsziels Tierschutz sprechen zahlreiche Gründe. Die wichtigsten hat vor wenigen Jahren die gemeinsame Verfassungskommission erläutert. Der Tierschutz werde am besten durch den einfachen Gesetzgeber gewährleistet. Das breit akzeptierte Tierschutzgesetz verfolge die konkreten Ziele des Tierschutzes in einer sachkundigen Abwägung mit den jeweils definierten anderen Rechtsgütern, etwa der Forschungsfreiheit. Ein uneingeschränktes Staatsziel Tierschutz würde die Balance innerhalb der Werteordnung des bisher ausschließlich auf den Menschen bezogenen Grundgesetzes verändern und könne zu Kollisionen führen, die weit über die mit einer Staatszielbestimmung Tierschutz verfolgten Anliegen hinausreichten. Gelten diese Argumente schon nach wenigen Jahren nicht mehr? Wollen wir wirklich das Fernziel einer Gleichrangigkeit von Mensch und Tier verfolgen – mit weitreichenden Folgen? Es bleibt zu hoffen, daß wenigstens eine Sperrminorität von Abgeordneten nicht den oberflächlichen Appellen an Emotionen nachgibt, sondern ihr Urteil an Argumenten ausrichtet.

Autor:
Prof. Dr. Wolfgang Kuschinsky
I. Physiologisches Institut, Im Neuenheimer Feld 326, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221)544033

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