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Kurzberichte junger Forscher

Weltweite Klimaänderung?
Neue Meßmethode ermöglicht eindeutigere Voraussagen.

Der atmosphärische Strahlungstransport in der im allgemeinen bewölkten Atmosphäre treibt das irdische Klimageschehen ursächlich an. Trotz der Bedeutung dieses Prozesses ist er bis heute nur mangelhaft verstanden. Diese Unkenntnis ist beunruhigend: Wegen des großen Einflusses der Wolken auf den atmosphärischen Strahlungshaushalt – und damit auf das Klima -, kann die für das nächste Jahrtausend prognostizierte weltweite Klimaänderung mit all ihren Folgen nur äußerst unsicher vorhergesagt werden.

Im Klimasystem schreibt man den Wolken einerseits eine kühlende Wirkung zu, weil sie die Sonnenstrahlung abschatten. Andererseits behindern Wolken die Abgabe der Wärmestrahlung vom Erdboden und der erdnahen Atmosphäre in das kalte Weltall. Dadurch tragen Wolken zur Erwärmung des Erdklimas bei. Der Einfluß dieser beiden Vorgänge ist interessanterweise etwa 40 mal größer als der von den Menschen hervorgerufene Treibhauseffekt. Das Wechselspiel beider Prozesse – das sogenannte klimatische Strahlungsgleichgewicht – führt letztlich dazu, daß die Wolken das Klima leicht kühlen. Wie groß der Kühleffekt ist, hängt sehr empfindlich vom jeweiligen Beitrag der beiden Prozesse ab. Denn auch diese werden wiederum beeinflußt, beispielsweise vom Bedeckungsgrad, der Art und Ausdehnung der Bewölkung, dem Sonnenstand oder der Beschaffenheit des Erdbodens. Ob sich bei einer Klimaänderung zum Beispiel der Bedeckungsgrad der Erde von heute etwa 55 Prozent und damit der Einfluß von Wolken auf das Klima – man spricht hier von Wolkenrückkopplung (englisch: cloud feedback) – ändert, zählt zu den bislang noch völlig offenen Fragen.

Einer der wichtigsten Gründe für die Unsicherheiten in der Berechnung der Wolkenrückkopplung ist das unzureichende Verständnis der Größe der Absorption solarer Strahlung in der bewölkten Atmosphäre. Aus physikalischen Gründen wird die Absorption der Sonnenstrahlung lediglich von zwei Größen bestimmt: (1) der Konzentration der wesentlichen atmosphärischen Absorber (Wasserdampf, Ozon, Sauerstoff) und (2) der Länge der atmosphärischen Lichtwege. Während der Einfluß des ersten Faktors in der Vergangenheit intensiv erforscht wurde, besteht heute noch große Unsicherheit über die Länge der Lichtwege. Der Hauptgrund ist die Schwierigkeit, die Abfolge der (Mie-)streuprozesse des Sonnenlichtes bei seinem atmosphärischen Transport an den räumlich mehr oder minder kompliziert angeordneten Aerosolen und Wolkentröpfchen richtig zu berücksichtigen. Dieses Problem läßt sich in die einfache Frage fassen: Welche Wegstrecken durchläuft das Sonnenlicht in der bewölkten Atmosphäre? Um diese Frage zu beantworten, muß man die statistische Verteilung der Streuzentren – also der Wolkentröpfchen – und damit der Lichtwege eingehen. Denn es ist aufgrund der Vielfachstreuung sehr unwahrscheinlich, daß alle Lichtquanten (Photonen) – mit Ausnahme der ungestreuten Photonen des direkten Sonnenlichtes – die gleichen atmosphärischen Wege einschlagen.

Die Frage mag einfach klingen, ihre Beantwortung ist wegen der besonderen Bedingungen jedoch außerordentlich kompliziert. Hinzu kommt, daß der Bewölkungsaufbau der Atmosphäre niemals gleich ist. Dennoch ist die Bewölkung sich selbst immer "irgendwie" ähnlich. Besser ausgedrückt: Die Bewölkung ist "fraktal". Das heißt: ohne einen Maßstab, zum Beispiel ein Flugzeug am Himmel, läßt sich die räumliche Ausdehnung der Wolken und Bewölkung nicht abschätzen. Die räumliche Anordnung, aber auch der innere Aufbau der Wolken, sind also Fraktale. Es handelt sich genau gesagt um "Multifraktale".

Für diese spezielle Klasse von mathematischen Objekten lassen sich die "höheren" mathematischen Momente einer Eigenschaft, zum Beispiel die räumliche Verteilung der Tröpfchenkonzentration oder der Photonenenwege, nicht aus den "kleinen" Momenten wie dem Mittelwert oder der Varianz abschätzen. Mathematisch gesehen handelt es sich bei dem Problem der Photonenwege um einen "Zufallsgang" (engl. random walk) auf einem Multifraktal – ein mathematisches Problem, das bisher nur für bestimmte Klassen von Fraktalen gelöst werden konnte.

Das Problem läßt sich jedoch auch experimentell untersuchen. Dazu wurde am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg eine neue Methode der Längenmessung von statisch verteilten Lichtwegen weltweit erstmalig entwickelt und erfolgreich eingesetzt. Die neuartige Meßmethode beruht auf der Umkehrung des altbekannten Verfahrens, die Konzentration eines lichtabsorbierenden Gases bei bekanntem Lichtweg (zum Beispiel in einer Kuvette) durch die Lichtschwächung zu bestimmen. Genauso wird bei der neuen Methode die Lichtschwächung des Luftsauerstoffs – eines Gases mit gut bekannter atmosphärischer Konzentration und räumlicher Verteilung – untersucht. Die Besonderheit der neuen Methode ist nun nicht die Messung der Lichtschwächung für eine Wellenlänge (Farbe) beziehungsweise Absorptionslinie; der Trick besteht vielmehr darin, daß eine Vielzahl von unterschiedlich stark absorbierenden Sauerstoff-A-Banden-Linien (bei etwa 770 nm) in dem vom Zenit gestreuten Himmelslicht spektroskopisch hochauflösend untersucht werden. Der Vorteil der Meßmethode ist, daß die Lichtschwächung für die unterschiedlich stark absorbierenden Sauerstofflinien unterschiedlich stark ausfällt – und zwar nicht nur einfach proportional zur Linienabsorptionsstärke und dem Photonenweg (wie bei schwachen Absorptionslinien), sondern unterproportional bei den stark absorbierenden Linien.

Dies ist folgendermaßen zu erklären: Die am Erdboden detektierten Photonen aus stark absorbierenden Spektralbereichen müssen einen kürzeren atmosphärischen Lichtweg durchlaufen haben als Photonen aus schwach absorbierenden Spektralbereichen. Denn hätten sie lange Wege durchlaufen, wären sie vom atmosphärischen Sauerstoff absorbiert worden. Diese systematischen Unterschiede in den Absorptionen der verschieden starken Spektrallinien spiegelt nun genau die Weglängenstatistik der Photonen bei ihrem atmosphärischen "Random Walk" wider.

Wie unsere Untersuchungen zeigen, lassen sich mit der neuen Methode – die von der NASA auf einem Umweltsatelliten eingesetzt werden soll – die höheren Momente der atmosphärischen Lichtwege bestimmen. Diese höheren Momente sind für eine gründliche Beschreibung der Statistik von Multifraktalen notwendig. Die ersten Untersuchungen haben außerdem gezeigt, daß sich die Photonenwegstatistik sehr gut durch sogenannte Lévy-Verteilungen (im Gegensatz zu bisher unterstellten Gauß-Verteilungen) beschreiben läßt. Die Charakteristik der Lévy-Verteilungen ist eine hohe Wahrscheinlichkeit für sehr kurze, aber auch sehr lange Wege. Diese Eigenschaft der Statistik trägt dem atmosphärischen Strahlungstransport weit besser als bisher Rechnung, kann doch beispielsweise ein solares Photon, das in Heidelberg in die Atmosphäre gelangt, durch Vielfachstreuung zum Beispiel über Spanien die Atmosphäre wieder verlassen. Erste Abschätzungen zeigen darüber hinaus, daß die "neue" Photonenwegstatistik die atmosphärische Strahlungsabsorption und das Reflektionsvermögen von Wolken viel genauer als bisher beschreiben kann.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Klaus Pfeilsticker
Institut für Umweltphysik, Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg,
Telefon 06221 (54 64 01), e-mail: pf@uphys1.uphys.uni-heidelberg.de

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