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Metermaß für das Universum

Wie groß, wie alt, wie schwer ist das Universum? Das sind die derzeit spannendsten Fragen der modernen Astronomie. Die Astronomen müssen sie beantworten, um zu verstehen, weshalb das Universum so ist, wie es ist, und welches Schicksal ihm in ferner Zukunft zuteil werden wird. Die Antwort entscheidet darüber, ob die vor rund zwölf bis fünfzehn Milliarden Jahren in einem heißen, chaotischen "Urknall" begonnene Ausdehnung des Weltalls immer weiter gehen oder sich dereinst umkehren wird. Im zweiten Fall würde unser Universum wieder in das heiße, dichte Chaos zusammenstürzen, aus dem es gekommen ist. Heidelberger Wissenschaftler haben sich zusammengeschlossen, um ein Meßinstrument auf einem Satelliten zu konstruieren, das entscheidende Daten für diese Untersuchungen bereitstellen soll. Ulrich Bastian und Siegfried Röser vom Astronomischen Rechen-Institut und Holger Mandel von der Landessternwarte berichten von "Diva", einem kleinen Satelliten für die großen Fragen der Astronomie.

Wie groß, wie alt, wie schwer ist die Milchstraße? Diese Frage ist der Frage nach der Größe, dem Alter und der Schwere des Universums analog, wenn auch in kleinerem Maßstab. In der "kleinen" Frage liegt ein ganz wesentlicher Schlüssel zur Beantwortung der großen Dreifachfrage, läßt sie sich doch vollständig beantworten, indem man die Entfernungen und Bewegungen sehr vieler Sterne in unserer näheren kosmischen Umgebung möglichst präzise mißt. Und genau das soll der geplante Satellit "DIVA" tun. Mit seiner Größe von eineinhalb Metern ist er nach heutigen Maßstäben ein Kleinsatellit. Dennoch soll er den großen Fragen der Astronomie nachgehen, soll als Metermaß und Chronometer für das Universum dienen. DIVA ist die Abkürzung für "Deutsches Interferometer für Vielkanalphotometrie und Astrometrie". Das Hauptarbeitsgebiet von DIVA ist die Astrometrie: die Messung von Positionen am Himmel und deren zeitlichen Änderungen.

Diva, Kugelhaufen 47, Tuc und NGC 1232

Die Astrometrie ist die älteste exakte naturwissenschaftliche Disziplin überhaupt. Sie begann, als die Menschen in grauer Vorzeit aus praktischer Notwendigkeit die Jahreszeiten und die Jahreslänge erforschten. Doch schon im antiken Griechenland diente sie auch der wissenschaftlichen Neugier. Bereits 150 v.Chr. entdeckte Hipparch von Nikäa die Präzession (eine allmähliche Verlagerung der Erdachse im Raum) und bestimmte die Entfernung des Mondes korrekt mit 30 Erddurchmessern. Seine sehr einfachen Hilfsmittel erlaubten eine Meßgenauigkeit von einigen hundert Bogensekunden. Mit zehnfach genaueren Messungen wurde der dänische Astronom Tycho Brahe Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zum Wegbereiter für Johannes Kepler, der daraus die Gesetze der Planetenbewegung ableitete und das Weltbild der Antike zum Einsturz brachte.

Genauigkeit lautete denn auch das Zauberwort für die nächsten drei Jahrhunderte. Als die Schallmauer von einer Bogensekunde durchbrochen war, konnte man erstmals die Entfernung eines Sterns bestimmen. Technische Fortschritte ermöglichten eine lange Serie wichtiger Entdeckungen. Dazu zählt beispielsweise, daß die "Fix"sterne gar nicht am Himmel fixiert sind, sondern sich bewegen. Ein anderes Beispiel ist, daß selbst die allernächsten Sterne millionenfach weiter von uns entfernt sind als die Sonne und die Planeten. Auch daß die Sonne ein ganz normaler Stern ist und daß die Milchstraße rotiert, zählt zu diesen Entdeckungen.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Astrometrie gegenüber der stürmischen Entwicklung anderer astronomischer Beobachtungstechniken stark ins Hintertreffen geraten. Das liegt daran, daß sie besonders stark von der Erdatmosphäre, der irdischen Schwerkraft und anderen Einflüssen der irdischen Umgebung beeinträchtigt wird. Jahrzehntelang haben viele Gebiete der Astronomie unter dem Mangel an hinreichend genauen und zahlreichen Entfernungs- und Bewegungsmessungen gelitten. So war es nur folgerichtig, daß man nach dem Anbruch des Raumfahrtzeitalters sehr bald über die Umgehung der irdischen Probleme durch den Schritt in den Weltraum nachdachte.

Im Jahre 1980 war es schließlich soweit. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA beschloß den Bau eines Satelliten mit dem Namen Hipparcos. Er wurde 1989 gestartet und arbeitete drei Jahre lang sehr erfolgreich. Hipparcos brachte einen enormen Durchbruch. Er konnte auf ein Tausendstel einer Bogensekunde genau messen. Seit einem Jahr können die Astronomen der Welt den gewaltigen Datenschatz, den er erzeugt hat, sichten und auswerten. Inzwischen ist ersichtlich, daß er auf praktisch allen Gebieten der modernen Astrophysik bedeutende Beiträge leistet. Aber genau dies hat auch den Appetit der Forscher auf noch mehr und noch bessere Daten geweckt. Denn Hipparcos kann viele ihrer Fragen noch nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten.

Hier setzt das Projekt DIVA an. Wissenschaftler des Astronomischen Rechen-Instituts und der Landessternwarte Königstuhl - beide Einrichtungen sind mit der Universität Heidelberg verbunden - arbeiten zusammen mit Kollegen aus Bonn und Potsdam, mit technischen Experten der deutschen Raumfahrtindustrie und mit Wissenschaftlern der Universitäten Bremen und Karlsruhe. Die Verbindung von wissenschaftlichen Ideen und technischem Spezialistenwissen soll den technologischen Fortschritt der letzten zwanzig Jahre nutzbar machen, um das junge Feld der Weltraumastrometrie einen großen Schritt voranzubringen.

Vor rund zwei Jahren wurde damit begonnen, den Satelliten zu entwerfen. Von März bis November 1998 erfolgte gemeinsam mit der Firma Dornier-Satellitensysteme eine große Machbarkeitsstudie im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das Ergebnis von zwei Jahren intensiver Entwicklungsarbeit: DIVA wird fünfmal genauer messen als Hipparcos; er wird außerdem in der Lage sein, mindestens hundertmal mehr Sterne sowie ferne Milchstraßensysteme zu beobachten; DIVA wird weniger als zehn Prozent des Preises von Hipparcos kosten.

An Bord des Satelliten befindet sich ein ziemlich ungewöhnlich aussehendes Teleskop, das gleichzeitig in zwei verschiedene Himmelsrichtungen schauen kann. In seiner Bildebene kann man den Winkel zwischen zwei weit auseinanderstehenden Sternen mit hoher Präzision messen. Dazu wird das Sternlicht in einem Mosaik aus zehn Millionen Lichtempfängern (einer eigens entworfenen Höchstleistungs-CCD-Kamera) in elektrische Signale verwandelt und zum Boden gefunkt. Innerhalb von zwei Stunden rotiert der Satellit um die eigene Achse. Seine beiden Blickrichtungen beschreiben dadurch am Himmel einen Kreis von 360 Grad. Setzt man die Winkel zwischen den einzelnen Sternen auf diesem Kreis zusammen, muß sich immer genau 360 Grad ergeben. Dies ist das im Grundsatz einfache, im Detail aber ziemlich komplizierte Argument, mit dem das Instrument ungeheuer präzise geeicht werden kann. Dieses Prinzip ist am Erdboden aus vielerlei Gründen nicht anwendbar.

Damit DIVAs Meßmethode wirklich funktioniert, müssen viele extrem strenge technische Anforderungen erfüllt werden. So müssen zum Beispiel die neuartigen Antennen mit wenigen Watt an elektrischer Leistung eine halbe Million Datenbits pro Sekunde zur 70 000 Kilometer entfernten Erde funken. Die Temperatur des Teleskops darf sich trotz wechselnder Sonneneinstrahlung nur minimal ändern. Der Bordcomputer muß zehn Millionen Meßwerte pro Sekunde aufnehmen, sichten und teilweise auswerten - wiederum mit wenigen Watt an Energieverbrauch.

Die strengste aller Bedingungen bezieht sich auf die Gleichmäßigkeit der Drehung des Satelliten: Wenn seine Bewegung im Zeitraum einer Viertelstunde auch nur um wenige Dutzend Atomdurchmesser "ruckelt", sind die Messungen völlig verdorben. Diese zunächst unerfüllbar erscheinende Anforderung hat sich realisieren lassen. Zu diesem Zweck mußte unter anderem dafür gesorgt werden, daß es an Bord keinerlei bewegte Teile gibt und daß äußere Störungen abgeschirmt werden.

Das Innenleben von DIVA steckt voll modernster Technologie. Nur sie erlaubt die im Vergleich zu Hipparcos immense Kosteneinsparung bei gleichzeitig enormer Leistungssteigerung. Nur durch sie ist es möglich, trotz der spärlicher gewordenen öffentlichen Forschungsgelder auch heute noch internationale Spitzenforschung im nationalen Rahmen zu betreiben.

Auch Sterne altern

Zurück zur eingangs gestellten Dreifachfrage. Daß sich aus Entfernungsmessungen letztlich die Größe der Milchstraße beziehungsweise des Universums ergibt, ist unmittelbar einsichtig. Mancher Leser mag sich aber gefragt haben, was denn die von DIVA zu messenden Entfernungen und Bewegungen einzelner Sterne mit dem Alter und der Gesamtmasse unseres Sternsystems zu tun haben? Wie kann man überhaupt das nach Milliarden Jahren zählende Alter eines kosmischen Objekts herausfinden? Nun, das verhält sich bei Sternen im Prinzip genauso wie bei Menschen: Ihre äußere Erscheinung verändert sich im Laufe ihres langen Lebens - sie altern. Natürlich entwickeln sie keine Runzeln oder grauen Haare, wie es beim Menschen der Fall ist. Stattdessen ändern sich die Temperatur auf ihrer Oberfläche und ihre Helligkeit.

Die Astronomen haben heute den inneren Aufbau und die Funktionsweise von Sternen so weit verstanden, daß sie diese altersbedingten Veränderungen theoretisch ausrechnen können. Das Alter eines Sterns wird bestimmt, indem man seine beobachteten Eigenschaften mit den entsprechenden Rechenergebnissen vergleicht. Das Wort "Vielkanalphotometrie" in DIVAs vollständigem Namen bezieht sich auf die Messung von Farben (= Temperaturen) und Helligkeiten von Sternen. Um aus diesen Meßwerten das Alter zu bestimmen, braucht man eine präzise Kenntnis der Entfernung. Denn die Helligkeit eines Sterns, die auf der Erde gemessen wird, muß mit dem Quadrat der Distanz multipliziert werden, um seine wahre Helligkeit zu berechnen.

Ähnlich indirekt geht es bei der Bestimmung der Gesamtmasse und der Massenverteilung der Milchstraße zu. Alle Sterne, Gaswolken und sonstigen Bestandteile dieses riesigen Sternsystems ziehen sich gegenseitig an. Die Schwerkraft möchte alle Körper im Zentrum zusammenstürzen lassen. Dies wird jedoch durch Fliehkräfte verhindert. Die Gesamtstärke der Schwerkräfte ist durch die vorhandene Masse festgelegt, die Gesamtstärke der Fliehkräfte durch die Größe der vorhandenen Bewegungen. Der tatsächliche Durchmesser und der detaillierte Aufbau der Milchstraße sind durch eine empfindliche Balance zwischen diesen beiden Kräften bedingt. Deshalb ist es im Prinzip möglich, durch genaue Untersuchung der Geschwindigkeitsverteilung von Sternen auf die Massenverteilung in der Milchstraße zu schließen. Man muß dazu allerdings sehr genaue Daten von sehr vielen Objekten besitzen. DIVA wird sie für mindestens zehn Millionen Sterne liefern.

Damit hoffen die Astronomen, der mysteriösen "Dunklen Materie" endlich auf die Spur zu kommen, die möglicherweise mehr als zehnmal so viel Masse wie alle sichtbaren Objekte enthält. Sie macht sich in den Außenbereichen von Milchstraßensystemen durch ihre Schwerkraft in den Bewegungen der Sterne bemerkbar. Die bisherigen Messungen zeigen zwar klar die Existenz der Dunklen Materie, sie erlauben es aber noch nicht, ihre Verteilung im Raum und damit ihre Gesamtmasse zu bestimmen. Wenn DIVA die dazu nötigen Daten geliefert hat, wird man hoffentlich auch erkennen, woraus sie besteht. Der Frage nach der Gesamtmasse des Universums und seinem zukünftigen Schicksal wird man dann einen wesentlichen Schritt näher gekommen sein.

Autoren:
Dr. Ulrich Bastian, Dr. Siegfried Röser
Astronomisches Rechen-Institut, Mönchhofstr. 14, 69120 Heidelberg
Telefon (06221)40 51 52 oder 40 51 58
Dr. Holger Mandel
Landessternwarte, Königstuhl, 69117 Heidelberg
Telefon (06221) 50 92 34

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