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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Im Juni 1995 fand im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg eine Konsultation über Grundfragen medizinischer Ethik mit sechs Gästen von der staatlichen buddhistischen Mahidol University in Bangkok statt. Die Veranstaltung wurde durch Zuwendungen des Wissenschaftsministeriums sowie der Stiftung Universität Heidelberg ermöglicht. Die Gäste erwiderten einen Besuch Dietrich Ritschls am Centre of Human Resources Development der Mahidol University, um mit dem "Arbeitskreis für interdisziplinäre Forschung in der Medizin", dem die Professoren Peter Hahn, Jürgen Hübner, Volkmar Paeslack, Dietrich Ritschl und Traute Schroeder-Kurth angehören, sowie etwa 15 jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Medizin und Theologie anthropologische und ethische Grundlagen der Medizin und des Gesundheitswesens zu erörtern. Eine weitere Konsultation in Bangkok ist bereits geplant.

Die Bevölkerung Thailands gehört zu über 98 Prozent dem Theravada-Buddhismus an. Die an der Mahidol University, einer vornehmlich medizinischen Hochschule, gelehrte Medizin ist rein "westlich", aber buddhistisches Denken durchdringt Lehrkörper und Studentenschaft vollständig. Die typisch westliche Frage nach "säkularisierten" Formen des Buddhismus stieß bei den Gästen auf gänzliches Unverständnis. Der in Yale promovierte Ethiker Prof. Pinit Ratanakul verbringt seine freien Tage im Tempel und plant seinen Ruhestand dort. Der in den USA ausgebildete Arzt und Molekularbiologe Montri Chulasamaya, Dekan der Graduate School mit über 100 Studiengängen, steht voll in der buddhistischen Tradition, ebenso wie die in Frankreich promovierte Soziologin Sumana Tangkanasingh.

Pinit Ratanakul beklagte das westliche Verständnis der Patientenautonomie als rein individualistisch und konfrontierte es mit dem buddhistischen paticca-samuppada-Prinzip der gegenseitigen Verbundenheit und Abhängigkeit alles Seins sowie mit dem Gesetz des Wandels, anicca, und des Werdens, bhava. Sogar das persönliche Karma eines Menschen steht danach in bezug zu den Kräften anderer. Schwangerschaftsabbrüche, die durchaus durchgeführt werden, stören diese Regelabläufe, samsara, ebenso wie aktive Euthanasie und Suizid. Geburtenkontrolle hingegen ist Ausdruck der Selbstbestimmung, obwohl es eigentlich im Sinn der ewigen Prinzipien wäre, möglichst viele Menschen für eine Reinkarnation Verstorbener bereitzustellen.

Die Selbstbestimmung soll auch bei Sterbenden durch optimal wachgehaltenes Bewußtsein, cuti vinnana, garantiert sein; Analgetika und Sedativa sind mit größter Vorsicht anzuwenden. Sumana Tangkanasingh schilderte die Riten vor der Einäscherung eines Verstorbenen, in denen sich diese Sicht bündelt.

Organtransplantationen - in einem Land, in dem praktisch keine Gesundheitsgesetzgebung besteht und nur ein minimales Versicherungssystem - basieren auf dem Hirntod als hinreichender Todesdefinition. Die ganzheitliche buddhistische Sicht aber läßt eine Trennung von Hirntod und Herz-Kreislaufstillstand im Prinzip nicht zu, wie Montri Chulasamaya erläuterte. Trotzdem werden viele Transplantationen durchgeführt, zum Teil mit (paarigen) Organen, die Inserenten in den Tageszeitungen für viel Geld anbieten. "Mitleid" - ein ganz zentraler Begriff buddhistischer Ethik - rechtfertigt vielleicht diese Tat für andere. In der buddhistischen Tradition konzentriert sich alles auf das Karma. Die ethischen Ratschläge der Mönche können mißachtet werden, aber "im nächsten Leben" wird dafür zu bezahlen sein.

Der Einfluß des medizinethischen Instituts und der Medizinischen Mahidol University in Bangkok ist in Ostasien beträchtlich. Der Heidelberger "Arbeitskreis" sieht einem weiteren Austausch mit Spannung entgegen.

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