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Eine Therapie für die Alzheimer-Krankheit ist keine Utopie mehr

Keine Krankheit genießt momentan soviel öffentliche Aufmerksamkeit wie die Alzheimer-Erkrankung. Wir alle sind direkt von dieser Geißel des Alterns bedroht, und wohl jeder Leser kennt in seinem persönlichen Bekannten- und Verwandtenkreis mindestens einen Alzheimer-Patienten. Jedoch wissen die wenigsten, was bei der Krankheit im Gehirn geschieht. In den letzten Jahren wurden enorme Fortschritte bei der Erforschung der molekularen Wirkungsmechanismen erzielt, so daß wir einer Therapie oder Vorbeugung immer näher kommen. Viele wichtige Fragen müssen aber noch geklärt werden, bevor wir über eine mögliche Therapie nachdenken können. Forschungsprojekte im Rahmen des „BioRegio“-Programms bieten nun im Rhein-Neckar-Kreis die perfekte Plattform zur gezielten Zusammenarbeit von Universitätsinstituten und der Pharmaindustrie. Christian Haaß beschreibt, wie der Ausbruch der Krankheit vielleicht verhindert werden könnte.

Der wichtigste Risikofaktor für die Alzheimer-Erkrankung ist das Altern, je älter wir werden, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit daran zu erkranken. Alzheimer ist damit ein typisches Krankheitsbild unserer westlichen Gesellschaft mit hohem Durchschnittsalter. Für die Behandlung der Krankheit ergibt sich daraus zugleich eine wichtige Konsequenz: Um den Ausbruch der Krankheit vor dem natürlichen Tod zu verhindern, würde es ausreichen, wenn wir ihren Beginn nur um wenige Jahre, zirka 10 bis 15 Jahre, hinauszögern könnten. Das bedeutet, wir benötigen keine hundertprozentige Wirksamkeit für potentielle Medikamente, welchen Mechanismus der Krankheit wir auch immer hemmen wollen.

Was soll nun eigentlich bekämpft werden, um den Ausbruch von Alzheimer zu verhindern oder zu verzögern? Genau bei diesem Punkt gibt es große Kontroversen, da der Auslöser der Krankheit bei vielen Wissenschaftlern immer noch höchst umstritten ist. Alois Alzheimer hat 1907 in seiner bahnbrechenden Arbeit die Pathologie der Krankheit bestens beschrieben und bereits nahegelegt, was denn eigentlich die Ursache der Krankheit ist: Er fand, daß bestimmte Regionen des Gehirns übersät sind mit amorphen Strukturen, die später „Amyloidplaques“ genannt wurden. In unmittelbarer Nachbarschaft dieser Plaques treten degenerierende Neuronen auf, in denen abnormal modifizierte Bausteine des Skeletts der Zelle (tau-Proteine) vorliegen. Es erscheint daher naheliegend, davon auszugehen, daß die Hauptkomponente der Amyloidplaques neurotoxisch ist.

Wie wir aufgrund der Arbeiten des kürzlich verstorbenen George Glenner wissen, bestehen Amyloidplaques zum größten Teil aus dem Amyloid-ß-Peptid. Das Peptid neigt dazu, an sich selbst zu binden und unlösliche Aggregate zu bilden. Multimere Formen wirken dann zytotoxisch auf kultivierte Nervenzellen und scheinen die abnormale Modifikation des tau-Proteins hervorzurufen. Hier besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen dem Amyloidpeptid und dem tau-Protein, und man sollte sich auch als erklärter Anhänger der Amyloidhypothese davor hüten, von einer monokausalen Entstehung der Alzheimer-Erkrankung zu reden. Wie bei allen biologischen Prozessen sind auch für die Entstehung dieser Krankheit sehr viele verschiedene Moleküle und zelluläre/biochemische Prozesse verantwortlich. Eines sollte jedoch deutlich werden, die Entstehung und die Neurotoxizität des Amyloid-ß-Peptids ist ein gutes Ziel für neue therapeutische Versuchsansätze, da es mit Sicherheit an der direkten Auslösung der Krankheit beteiligt ist, und ohne das Peptid die Krankheit nicht entstehen oder fortschreiten kann.

Bahnbrechende Arbeiten von Konrad Beyreuther, in dessen Labor am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) das wichtigste Alzheimer-Gen kloniert wurde, zeigten, daß das Amyloid-ß-Peptid durch eine Abspaltung aus einem großen Vorläuferprotein, dem „ß-Amyloid Precursor“ (ßAPP), entsteht. Zwei Proteasen, die wie Scheren das Amyloid-ß-Peptid herausschneiden, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Protease, die am Beginn der Amyloid-Domäne schneidet, wird ß-Sekretase genannt, die am Ende g-Sekretase. Eine weitere Protease, die a-Sekretase, verhindert die Amyloid-ß-Peptid-Bildung, indem sie innerhalb der Amyloid-Domäne schneidet.

1992 konnte durch drei amerikanische Arbeitsgruppen (Dennis Selkoe, Steve Younkin, Bruce Yankner) erstmalig gezeigt werden, daß die Amyloid-Entstehung in kultivierten Zellen nachvollzogen werden kann, und wie die a-sekretorische Prozessierung einen physiologisch normalen Mechanismus darstellt. Das eröffnete die Möglichkeit, mit relativ einfachen Modellsystemen den molekularen Mechanismen der Alzheimer-Erkrankung auf die Spur zu kommen. Tatsächlich führte die Entdeckung innerhalb weniger Jahre zu einer explosionsartigen Zunahme unseres Wissens über die molekularen Mechanismen der Krankheit. Dieses neue Wissen wird es uns ermöglichen, gezielte therapeutische Ansätze zu ihrer Bekämpfung zu entwerfen.

Amyloid ist der Killer im Gehirn

In etwa zehn Prozent der Fälle wird die Alzheimer-Erkrankung vererbt und beginnt dann zu einem sehr frühen Zeitpunkt, zum Teil bereits vor dem 35sten Lebensjahr. Solche seltenen, vererbten Fälle sind für den Wissenschaftler wahre Glücksfälle, da hier von der Natur an einem besonders drastischen Beispiel demonstriert wird, welche zellulären Mechanismen bei der Entstehung der Erkrankung pathologisch betroffen sind.

Die ersten Mutationen, welche die familiäre Form der Krankheit hervorrufen können, wurden innerhalb des ßAPP-Gens gefunden. Hier liegen alle Mutationen in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer der drei wichtigen Sekretasen, was natürlich sofort Anlaß gab zu spekulieren, daß diese Mutationen direkt die Herstellung des Vorläuferproteins beeinflussen. Dies ist auch tatsächlich der Fall, und mit Hilfe des oben beschriebenen Zellkultursystems, in das man leicht die mutanten ßAPP-Gene einschleusen kann, wurden sehr rasch die molekularen Wirkungsmechanismen der Mutationen aufgeklärt. Eine Doppelmutation direkt an der ß-Sekretaseschnittstelle führt zu einer dramatischen Erhöhung der Amyloid-ß-Peptid-Produktion, was den frühen Beginn der Alzheimer-Erkrankung auf sehr simple Weise erklärt.

Weitere Arbeiten haben dann den Mechanismus geklärt, der für den enormen Anstieg der Amyloid-Produktion verantwortlich ist. Die Natur hat hierbei ihren eigenen Regulationsmechanismus umgangen, der durch den a-Sekretase-Schnitt die Amyloid-Produktion auf sehr geringem Niveau hält. Die Mutation erlaubt nun, daß der ß-Sekretase-Schnitt zeitlich wesentlich früher stattfindet und zwar in direkter Konkurrenz zur a-Sekretase. Ist das ßAPP-Gen dagegen nicht mutiert, findet der ß-Sekretase-Schnitt erst zu einem viel späteren Zeitpunkt statt, wodurch nur noch sehr wenig Substrat zur Verfügung steht, das der a-Sekretase entkommen ist.

Vier weitere Mutationen am Ende der Amyloid-Domäne verursachen nicht eine verstärkte Amyloidentstehung, sondern die Produktion eines um zwei Aminosäuren verlängerten Amyloid-ß-Peptids. Warum verursacht ein Amyloid-Molekül, das an Stelle von 40 Bausteinen 42 enthält, die Alzheimer-Erkrankung? Das längere Peptid aggregiert wesentlich schneller und tötet kultivierte Nervenzellen mit deutlich erhöhter Effizienz. Hierbei handelt es sich natürlich um Experimente im Reagenzglas, jedoch konnte gezeigt werden, daß in Amyloidplaques im Gehirn von Patienten mit der Alzheimer-Erkrankung – und zwar nicht nur in familiär vererbten Fällen, sondern auch in sporadischen Fällen – bevorzugt Peptide der längeren Amyloidform abgelagert werden.

Die Untersuchung der Wirkungsmechanismen der familiär vererbten Alzheimer-Erkrankung führte damit zu einem besseren Verständnis der molekularen Pathologie der Amyloid-Entstehung. Diese entscheidenden Ergebnisse wurden lange Zeit kritisiert, da die untersuchten Mutationen in nur sehr wenigen Familien weltweit auftreten und sicherlich sehr viel mehr Wissenschaftler diese Mutationen untersuchten als es Patienten gibt. Die nicht ganz unberechtigte Kritik wurde später noch dadurch verstärkt, daß ein Gen auf Chromosom 14 lokalisiert wurde, das über 50 Prozent aller vererbten Alzheimerfälle verursacht und nichts mit dem ßAPP-Protein zu tun hat. Wenn nun Mutationen in einem solchen Gen über die Hälfte und noch dazu die aggressivsten Formen der Alzheimer-Erkrankung hervorrufen, stellt sich natürlich erneut die Frage nach der Ursache der Erkrankung.

Gezielte Behandlungsstrategien

Das auf Chromosom 14 lokalisierte Gen, das mit Sicherheit eine Schlüsselfunktion bei der Krankheitsentstehung hat, wurde von Peter St. George Hyslop, Universität Toronto, vor etwa eineinhalb Jahren kloniert und bekam den sehr bezeichnenden Namen „Presenilin“. Bis heute wurden über 30 Mutationen in diesem Gen gefunden, einige können die bisher aggressivsten Formen der Alzheimererkrankung verursachen mit einem Erkrankungsbeginn unter 35 Jahren. Was hat nun dieses Gen mit der Entstehung von Amyloid zu tun? Untersuchungen an kultivierten Fibroblasten aus der Haut von Patienten mit Mutationen im Presenilin-Gen ergaben, daß die Mutanten im Vergleich zu Zellen von gesunden Kontrollpersonen deutlich erhöhte Mengen der 42 Bausteine langen Form des Amyloid-ß-Peptides produzieren. Damit war ein spektakulärer Zusammenhang zwischen den Presenilin-Mutationen und der Amyloid-Entstehung nachgewiesen, Befunde, die sich jetzt auch in transgenen Tiersystemen bestätigen. Mutationen in dem neuen Gen beeinflussen auf pathologische Weise die Entstehung von Amyloid! Damit erweist sich nicht nur das Amyloid als der eigentliche Killer im Gehirn von Alzheimer-Patienten, sondern es zeigt sich auch, daß minimale Veränderungen des Amyloidstoffwechsels tödliche Folgen haben können.

Aufgrund unseres sehr detaillierten Wissens über die molekularen Mechanismen der Krankheitsentstehung wird es nun immer deutlicher, daß therapeutische Ansätze die Entstehung der 42 Bausteine langen Form des Amyloid-ß-Peptids verhindern müssen. Das bedeutet, daß die Alzheimerforschung an einem Punkt angelangt ist, wo es zur Entwicklung gezielter therapeutischer Strategien kommen kann. Hierzu ist es von großem Vorteil, wenn die enormen Kenntnisse, die wir in der Grundlagenforschung erworben haben, nun so rasch wie möglich zur Anwendung am Patienten kommen. Um unsere Ergebnisse schnell umzusetzen, benötigen wir nicht nur genügend finanzielle Unterstützung, sondern auch das Know-how der pharmazeutischen Industrie, der Biotech-Firmen und der Grundlagenforscher. Hierfür stellt die Rhein-Neckar-Region die optimale Plattform dar, zumal an der Universität Heidelberg bereits die weltweit führende Arbeitsgruppe von Konrad Beyreuther angesiedelt ist.

Wie können wir nun unser neuerworbenes Wissen nutzen, um die Entstehung der Krankheit zu verhindern oder zu verzögern? Eine Möglichkeit besteht darin, das Gen für das Enzym zu isolieren, das für den Schnitt nach dem 42sten Baustein der langen Amyloidform verantwortlich ist. Die Isolation und Charakterisierung der g-Sekretase sollte dann die gezielte Entwicklung von Substanzen ermöglichen, die Sekretasen hemmen, sogenannte Proteaseinhibitoren. Das ist ein typisches „BioRegio“-Projekt, da der erste Teil, die Klonierung des Gens, an einem Universitätsinstitut erfolgen kann, für den zweiten Teil, die Entwicklung von Proteaseinhibitoren, jedoch unbedingt die Expertise der pharmazeutischen Industrie und deren Know-how bei der Medikamentenentwicklung nötig ist.

„BioRegio“-Projekt par excellence

Wie kann man nun das Gen für die g-Sekretase klonieren? Eine Frage, die sich sicher schon die meisten Alzheimerforscher gestellt haben. In einem Projektvorschlag für „BioRegio“ wollen wir die enormen genetischen Werkzeuge, die uns im Modellsystem Hefe zur Verfügung gestellt werden, ausnutzen. Dieser Organismus hat den Vorteil, daß er sehr leicht und billig zu kultivieren ist, und seine gesamte Erbinformation bereits entschlüsselt wurde. Wir wollen nun ein speziell konstruiertes ßAPP-Gen in die Hefe einbringen, das es ermöglicht, die Amyloid-ß-Peptid-Produktion sehr leicht mittels eines einfachen Enzymessays zu messen. Sollte nun die Hefe eine g-Sekretase enthalten, wäre das Enzym im Kulturmedium aktiv, was sich durch einen Farbumschlag zeigt. In dem Fall würden wir die Erbinformation der Hefe künstlich verändern. Eine der Veränderungen sollte die biologische Aktivität der Sekretase verhindern. Das g-Sekretase-Gen läßt sich dann isolieren, indem man eine Genbibliothek mit der gesamten menschlichen Erbinformation in die mutanten Stämme einbringt. Das neben vielen anderen Genen in der Bibliothek vorhandene Sekretasegen wird den Defekt des Gens der Hefe aufheben und wieder die Entstehung von Amyloid ermöglichen. Mittels sehr einfacher Standardmethoden läßt sich dann das Gen isolieren und identifizieren.

Die Erkenntnisse aus der Klonierung des Sekretasegens müßten danach möglichst rasch zur Anwendung kommen. Hierzu sollen in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner gezielt Substanzen entwickelt werden, welche die Sekretase inhibieren und damit die Amyloidproduktion unterbinden.

Natürlich ist ein solches Projekt, das hier mit einfachen Worten dargestellt wurde, sehr langwierig und teuer und kann nur in direkter Zusammenarbeit zwischen Pharmaindustrie und akademischer Forschung an Universitätsinstituten durchgeführt werden. Durch die staatlich geförderte Zusammenarbeit wird in der Bundesrepublik Deutschland eine neuartige Förderungsform angewandter Forschung entstehen, die hoffentlich zur Entstehung neuer Arbeitsplätze und zum Wohle der Menschheit beitragen kann.

Autor:
Prof. Dr. Christian Haaß
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Abteilung Molekularbiologie, J 5, 68159 Mannheim,
Telefon (0621) 17 03 884
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