Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Rechtshistorikerin und Frauenrechtlerin

Von Jana Gutendorf

Während die Namen Max und Alfred Weber in Wissenschaft und Gesellschaft allgemein bekannt sind, dürfte der Name Marianne Weber nur wenigen Experten geläufig sein. Dabei stand die Frau des Soziologen Max Weber keinesfalls im Schatten ihres Mannes. Im Gegenteil: Zu ihren Lebzeiten machte sich Marianne Weber einen Namen als Rechtshistorikerin, Frauenrechtlerin und Politikerin. Damit beeinflusste sie nicht nur den Geist der Stadt Heidelberg, in der sie lebte, sondern auch den der Ruperto Carola, deren Ehrendoktorwürde sie trug.

Geboren wird Marianne Weber im Jahr 1870 als Marianne Schnitger in Oerlinghausen bei Bielefeld. Nach dem frühen Tod der Mutter, der wohl auch Ursache für eine psychische Erkrankung des Vaters ist, wächst Marianne bei ihrer Großmutter und Tante in Lemgo auf. 1882 geht sie nach Berlin, um sich zur Zeichnerin ausbilden zu lassen. Hier trifft sie im Hause ihrer Verwandten erstmals auf Max Weber, den sie bereits ein Jahr nach der ersten Begegnung heiratet und fortan an seine akademischen Wirkungsstätten begleitet. So zieht das Paar 1894 nach Freiburg und drei Jahre später nach Heidelberg, wo Max Weber auf Professuren für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft berufen wird.

Das akademische Umfeld wie auch die Ehe mit dem begeisterten Wissenschaftler beflügeln Marianne Weber. Obschon Frauen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht zum Studium zugelassen sind, erwirkt sie bei Philosophie-Professoren in Freiburg und Heidelberg die Erlaubnis, Vorlesungen und Seminare zu besuchen. „Marianne Weber kommt ohne studienvorbereitende Ausbildung in die Ehe, ist aber von vorneherein wissenschaftlich interessiert und möchte im Rahmen der Möglichkeiten, die es institutionell zu dieser Zeit gibt, auch weiterkommen“, erläutert Prof. Dr. Wolfgang Schluchter, Heidelberger Soziologe und Mitherausgeber der Max-Weber-Gesamtausgabe. Von ihrem Mann wird sie in ihrem Streben nach Bildung stets unterstützt – so erscheint ihre erste schriftliche Abhandlung in einer Reihe, deren Mitherausgeber Max Weber ist.

Marianne Weber auf einem Gemälde von Marie Davids (1896).
Repro: Universitätsarchiv Heidelberg

Zu einem ersten Einschnitt in dieser auf Gleichberechtigung angelegten Beziehung kommt es, als Max Weber 1898 einen schweren Zusammenbruch erleidet. Infolge hoher Arbeitsbelastung und wiederkehrender depressiver Verstimmungen muss er seine Lehrtätigkeit zunächst reduzieren und schließlich ganz aufgeben. Er begibt sich immer wieder in Sanatorien und reist, gemeinsam mit seiner Frau, zwei Jahre lang durch Europa. „In dieser Zeit erweist sich Marianne Weber als ungewöhnlich starke Frau, die sich ausschließlich der Gesundung ihres Mannes widmet“, weiß Wolfgang Schluchter: „Ohne sie hätte Max diese Zeit nicht überstanden, möglicherweise gar Selbstmord begangen, wie er in einem seiner späteren Briefe schreibt.“

Ihre Stärke stellt Marianne Weber auch nach der Rückkehr des Paares mehr und mehr unter Beweis. In Heidelberg baut sie sich eine zunehmend selbstständige Existenz auf und macht sich bald einen Namen als Rechtshistorikerin, Frauenrechtlerin und Politikerin. So veröffentlicht sie 1907 die Studie „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“. „Ein rechtsgeschichtlich hochinteressantes Buch von hoher Qualität, das auch im Ausland wahrgenommen und unter anderem in Émile Durkheims Zeitschrift ‚L’Année Sociologique‘ rezensiert wird“, erklärt Wolfgang Schluchter. Für dieses Werk und ihre wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Verdienste erhält Marianne Weber 1922 die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg.

Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit beginnt Marianne Weber, sich aktiv in der bürgerlichen Frauenbewegung zu engagieren, wo sie unter anderem für die Gleichstellung der Frau in der Ehe eintritt. Obschon der politische Kampf in der ersten Reihe wohl nicht ihrem Naturell entspricht, wird sie 1919 Leiterin des Bundes Deutscher Frauenvereine und als Abgeordnete der damaligen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) in die Badische Verfassungsgebende Nationalversammlung gewählt.

Um ihrem Mann auch außerhalb der Universität ein Forum zu eröffnen, hält Marianne Weber von 1911 an einen wöchentlichen „Jour Fixe“ für Wissenschaftler und Studenten im Weber’schen Wohnhaus in der Ziegelhäuser Landstraße 17 ab. Der Gesprächskreis, der bis zum Wegzug des Paares nach München acht Jahre lang regelmäßig stattfindet, entwickelt sich schnell zum Zentrum des Heidelberger Geisteslebens.

Das Max-Weber-Haus, Sitz des Internationalen Studienzentrums, in der Ziegelhäuser Landstraße.
Foto: Universität Heidelberg

Nach dem überraschenden Tod Max Webers im Jahr 1920 kehrt Marianne nach Heidelberg zurück und widmet sich ganz dem Erhalt und der Verbreitung des Werks ihres Mannes. Sie ediert Manuskripte aus seinem Nachlass, gruppiert die hauptsächlich in Zeitschriften veröffentlichten Aufsätze zu mehreren Bänden und verfasst seine Biographie. Dadurch wird das wissenschaftliche Œuvre Max Webers zum ersten Mal in seiner Gesamtheit greifbar und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Im Zuge dieser etwa sechs Jahre währenden Arbeit schafft Marianne Weber insbesondere mit der Biographie ein Werk, das Maßstäbe setzt und noch heute vielfach konsultiert wird. Obgleich Wolfgang Schluchter darauf verweist, dass sie in Teilen wohl auch beschönigend von ihrer Ehe spricht, denn Max Weber unterhält im Laufe der Jahre durchaus intime Beziehungen zu anderen Frauen, etwa der Pianistin Mina Tobler oder der Sozialwissenschaftlerin Else Jaffé. Trotzdem führten Max und Marianne Weber wohl eine innige Ehe auf Augenhöhe – eine „Gefährtenehe“, wie sie es rückblickend beschreibt, die „bis ins Pianissimo des hohen Alters“ andauern sollte, wie er es formulierte.

Nach Abschluss der Arbeit an Werk und Biographie ihres Mannes wendet sich Marianne Weber wieder vermehrt sich selbst zu, publiziert regelmäßig, verfasst ihre eigenen „Lebenserinnerungen“ und kümmert sich um die Kinder ihrer Schwägerin Lilli, die 1920 durch Freitod aus dem Leben geschieden war. 1924 erweckt sie gemeinsam mit Max’ Bruder Alfred den sonntäglichen „Jour Fixe“ wieder. Dieser entwickelt sich in der Weimarer Republik abermals „zu einem bedeutenden, geistigen Zentrum von Heidelberg“, wie Wolfgang Schluchter ausführt, und bleibt auch in der Zeit des Nationalsozialismus bestehen: Hier versammelt sich ein Kreis von inneren Emigranten zum Austausch, unter anderem Martin Dibelius, Karl Jaspers, Walter Jellinek und Gustav Radbruch. Persönlichkeiten, die sich später auch beim Wiederaufbau der Ruperto Carola im sogenannten 13er-Ausschuss verdient machen. Marianne und Alfred Weber gelingt es somit, den „Heidelberger Geist“ über Zensur und Unterdrückung hinaus zu erhalten und dadurch Stadt und Universität entscheidend zu prägen.

Nach einem bewegten Leben stirbt Marianne Weber 1954 in Heidelberg und findet auf dem Bergfriedhof ihre letzte Ruhe. Das Weber’sche Haus am Neckarufer, lange Anker des intellektuellen Lebens der Stadt, ist heute wieder im Besitz der Universität. Hier atmet nunmehr das Internationale Studienzentrum den „Heidelberger Geist“, den auch Marianne Weber mitbegründete.