Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Einer der ersten Amerikaner

Ein auf der Halbinsel Yukatan entdecktes menschliches Skelett ist mindestens 13 000 Jahre alt und stammt aller Voraussicht nach aus einer Kaltperiode am Ende der letzten Eiszeit, dem späten Pleistozän. Datiert hat das fossile Skelett ein deutsch-mexikanisches Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck und Arturo González González – und zwar basierend auf einem Tropfstein, der auf dem Hüftknochen gewachsen war. „Die vor fünf Jahren aufgefundenen Knochen aus der Chan-Hol-Höhle bei Tulúm stellen damit einen der ältesten Knochenfunde eines Menschen auf dem amerikanischen Kontinent dar und belegen eine unerwartet frühe Besiedelung Südmexikos“, so Geowissenschaftler Stinnesbeck von der Universität Heidelberg.

Die Besiedelung des amerikanischen Kontinents ist ein kontrovers diskutiertes Forschungsthema. Eine lange Zeit vorherrschende Hypothese ging davon aus, dass eine erste Migration vor 12 600 Jahren durch einen eisfreien Korridor zwischen den schwindenden nordamerikanischen Gletschern über die eiszeitliche Bering-Landbrücke von Sibirien nach Alaska stattgefunden hat. Diese Theorie wird durch neue Funde aus Nord- und Südamerika zunehmend in Frage gestellt, die auf eine frühere Ankunft des Menschen hindeuten. Allerdings handelt es sich bei diesen Funden zumeist um Artefakte oder Feuerstellen, deren Alter anhand der enthaltenen Sedimente bestimmt wurde. Knochenfunde des Menschen aus dem gesamten amerikanischen Kontinent, die ein Alter von mehr als 10 000 Jahren aufweisen, sind bislang außerordentlich selten.

Die wassergefüllten Höhlen bei Tulúm auf Yukatan – die Halbinsel, die den Golf von Mexiko vom Karibischen Meer trennt – bieten ein reiches Fundgebiet. Bereits sieben prähistorische Menschenskelette konnten in dem verzweigten Höhlensystem an der östlichen Küste der Insel dokumentiert und teils datiert werden. Die Höhlen entlang der Karibikküste wurden erst beim weltweiten Anstieg des Meeresspiegels nach der letzten Kaltzeit geflutet, sodass die dort verborgenen archäologischen, paläontologischen und klimatischen Informationen aus der Zeit vor der Überflutung hervorragend konserviert sind.

Kurz nach der Entdeckung des prähistorischen menschlichen Skeletts im Februar 2012 wurde die Fundstelle in der Chan-Hol-Höhle bei Tulúm auf der Halbinsel Yukatan geplündert; das Bild entstand vor dem Grabraub.
Foto: Tom Poole, Liquid Junge Lab

Eine genaue Datierung der menschlichen Skelettfunde durch konventionelle Radiokarbon-Altersbestimmung ist allerdings schwierig, weil das in den Knochen enthaltene kohlenstoffhaltige Kollagen durch die lange Verweildauer im Wasser vollständig ausgewaschen wurde. Wolfgang Stinnesbeck und sein deutsch-mexikanisches Team von Geowissenschaftlern und Archäologen wählten daher einen anderen Weg: Sie konnten über die Datierung eines Tropfsteins, der auf dem Hüftknochen gewachsen war, das Alter der menschlichen Knochen aus der Chan-Hol-Höhle eingrenzen.

Eine Analyse der Uranium-Thorium-Isotope ergab ein Mindestalter des Skeletts von 11 300 Jahren. Ein deutlich höheres Alter zeigen jedoch die im Tropfstein gespeicherten Klima- und Niederschlagsdaten. Sie sind im Verhältnis der Sauerstoff- und Kohlenstoffisotope messbar und wurden mit den Werten von „Umweltarchiven“ aus anderen Teilen der Erde verglichen. Mit einem Alter von mindestens 13 000 Jahren stammt der Chan-Hol-Mensch erdgeschichtlich vermutlich aus dem Jüngeren Dryas. „Es handelt sich damit um eines der ältesten menschlichen Skelette aus Amerika. Unsere Daten unterstreichen die große Bedeutung der Höhlenfunde von Tulúm für die Debatte um die Besiedelung des Kontinents“, betont Stinnesbeck.

Nach den Worten des Heidelberger Geowissenschaftlers bedroht jedoch das enorme urbane und touristische Wachstum an der Riviera Maya um Tulúm die in den Höhlen konservierten paläontologischen und archäologischen Archive. Kurz nach der Entdeckung des menschlichen Skeletts im Februar 2012 wurde die Fundstelle geplündert – unbekannte Taucher entwendeten alle lose auf dem Höhlenboden liegenden Knochen. Nur wenige Fotografien und kleine Knochenfragmente belegen seither die ursprüngliche Fundsituation. Der von dem deutsch-mexikanischen Forscherteam untersuchte Hüftknochen entging der Plünderung nur dadurch, dass ihn der steinharte Kalksinter des Tropfsteins vor Diebstahl geschützt hat.

W. Stinnesbeck, J. Becker, F. Hering, E. Frey, A. González González, J. Fohlmeister, S. Stinnesbeck, N. Frank, A. Terrazas Mata, M.E. Benavente, J. Avilés Olguín, E. Aceves Núñez, P. Zell, and M. Deininger: The earliest settlers of Mesoamerica date back to the late Pleistocene. PLOS ONE (30 August 2017), doi: 10.1371.journal.pone.0183345