Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Hilferuf an den Studienfreund

Von Mirjam Mohr

Weltberühmt wurden Anne Frank und ihr Schicksal durch ihr Tagebuch, das sie während der NS-Zeit und in ihrem Versteck verfasste. Weniger bekannt dürfte sein, dass Anne Franks Vater Otto an der Ruperto Carola studierte. Am 9. Mai 1908 wurde der junge Otto Frank drei Tage vor seinem 19. Geburtstag an der „Grossherzoglich Badischen Universität Heidelberg“ immatrikuliert. Er schrieb sich für Kunstgeschichte ein, exmatrikulierte sich aber bereits zum Ende des Semesters wieder. Während seiner kurzen Zeit an der Ruperto Carola freundete er sich mit dem gleichaltrigen Amerikaner Nathan Straus Jr. an, mit dem er ein Studentenzimmer teilte.

33 Jahre später wandte sich Otto Frank verzweifelt an den Freund aus Heidelberger Zeiten, der inzwischen ein einflussreicher Mann war, um US-Visa für sich und seine Familie zu erhalten. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos – was für seine Frau und die beiden Töchter das Todesurteil bedeutete. Edith Frank-Holländer kam Anfang 1945 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau um, ihre Töchter Margot und Anne zwei Monate später im KZ Bergen-Belsen. Jüngst veröffentlichte die Stiftung, die das Anne-Frank-Haus verwaltet, eine Untersuchung, der zufolge Aktionen des Widerstandes und Schwarzhandel mit Rationierungsmarken eine Rolle bei der Hausdurchsuchung geführt haben könnten, die zur Entdeckung, Verhaftung und dem schrecklichen Tod Anne Franks und der Menschen um sie führte.

Dass sich ihr Vater Otto während seiner Studienzeit in Heidelberg mit Nathan Straus Jr. anfreundete, könnte seinen Grund darin haben, dass die familiären Wurzeln beider Männer in der nahen Pfalz lagen. Straus’ Vater Nathan wurde in Otterberg geboren, wanderte als Sechsjähriger mit seiner Familie in die USA aus und wurde dort später unter anderem Teilhaber des berühmten New Yorker Kaufhauses „Macy’s“. Otto Franks Familie stammte aus der Südpfalz: Sein Großvater Zacharias Frank wurde 1811 im rund 60 Kilometer von Heidelberg entfernten Dorf Niederhochstadt geboren. Er kaufte später in der nahen Stadt Landau ein Wohnhaus, das heute unter dem Namen Frank-Loebsches Haus als Begegnungsstätte an die während des Nationalsozialismus enteigneten Besitzer erinnert. Otto Franks 1851 in Landau geborener Vater Michael zog 1879 nach Frankfurt am Main, wo sein Sohn Otto am 12. Mai 1889 zur Welt kam und aufwuchs.

Otto Frank.
Bild: Photo Collections Anne Frank House

Nach seinem kurzen Studienaufenthalt an der Ruperto Carola arbeitete Otto Frank zunächst ein Jahr in einer Bank und ging anschließend für zwei Jahre in die USA, wo er erst bei „Macy’s“ ein Praktikum absolvierte und dann erneut in einer Bank arbeitete. Zurück in Deutschland ab Herbst 1911 war Otto Frank zunächst bei verschiedenen Unternehmen beschäftigt, bevor er nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit einem seiner Brüder die Leitung der Bank des verstorbenen Vaters übernahm. 1925 heiratete er Edith Holländer, mit der er 1926 seine Tochter Margot bekam, der drei Jahre später die kleine Anne folgte.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte Otto Frank bereits 1933 Richtung Amsterdam, wo er schon früher für das Geldhaus seiner Familie tätig gewesen war. Durch Vermittlung seines Schwagers Erich Elias konnte er dort eine Handelsniederlassung für das Geliermittel Opekta aufbauen und 1934 seine Familie zu sich holen. Wegen der deutschen Besetzung der Niederlande im Jahr 1940 wurde aber auch in Amsterdam die Lage für die jüdische Familie immer bedrohlicher. Otto Frank bemühte sich daraufhin um Asyl in den Vereinigten Staaten, um seine Familie in Sicherheit zu bringen. Bekannt wurde dies erst, als 2005 eine Mitarbeiterin des „YIVO Institute for Jewish Research“ in New York auf rund 80 Seiten mit entsprechenden Dokumenten stieß.

Demnach schrieb Otto Frank verzweifelte Briefe in die USA, wo sich die beiden Brüder seiner Frau, die 1939 in die USA geflohen waren, und Nathan Straus Jr., der Freund aus Heidelberger Zeiten, für die Familie einsetzten. „Ich bin gezwungen, mich um unsere Emigration zu kümmern, und soweit ich sehen kann, sind die USA das einzige Land, in das wir gehen können“, schrieb Otto Frank am 30. April 1941 an seinen Freund, der inzwischen Leiter der US-Wohnungsbaubehörde war. „Du bist der einzige Mensch, den ich fragen kann: Wäre es Dir möglich, eine Kaution zu meinen Gunsten zu hinterlegen? (…) Ich würde Dich nicht danach fragen, wenn die Umstände hier mich nicht dazu zwängen, rechtzeitig alles Menschenmögliche zu unternehmen, um Schlimmeres zu verhindern. (…) Wir sorgen uns vor allem um das Schicksal unserer Kinder. Unser eigenes ist weniger wichtig.“

Doch aus Angst vor einer Unterwanderung durch vermeintlich gefährliche Flüchtlinge wurde die Immigrationspolitik der USA während des Krieges immer restriktiver. „Unter den sogenannten Flüchtlingen in unserem Land befindet sich eine ganze Anzahl, bei denen man sich darauf verlassen kann, dass sie als Handlanger ihrer Regierung handeln, und die in jeglicher Weise die Gastfreundschaft, die sie bei uns genießen, missbrauchen“, zitiert der Historiker Richard Breitmann von der American University in Washington – in einem Essay für das YIVO-Institut – aus dem Schreiben eines US-Botschafters vom Mai 1940 als eines von vielen Beispielen jener Zeit. Rückblickend hätten sich solche damals weit verbreiteten Behauptungen als bestenfalls stark übertrieben erwiesen.

Dennoch ordnete das US-Außenministerium eine Verschärfung der Visa-Bestimmungen an und hielt trotz der tödlichen Bedrohung der europäischen Juden die Zahl der erteilten Visa unter einer festgeschriebenen Obergrenze. In einem internen Memorandum legte der Chef aller US-Konsulate seinen Kollegen nahe, die weitere Einreise von Flüchtenden mit immer neuen bürokratischen Hürden zu verzögern und so zu unterbinden, wie Melissa Müller in ihrer Biographie „Das Mädchen Anne Frank“ schreibt. Mit diesen Hürden wurde auch Otto Frank konfrontiert, dessen verzweifelte Bitten um Asyl trotz aller Fürsprache nicht erhört wurden, so dass er schließlich am 6. Juli 1942 mit seiner Familie mitten in Amsterdam untertauchen musste. Doch am 4. August 1944 wurden die Untergetauchten in ihrem Versteck in der Prinsengracht 263 verhaftet, in das Durchgangslager Westerbork gebracht und am 3. September mit dem letzten Transport von dort nach Auschwitz deportiert.

Das berühmte Tagebuch von Anne Frank.
Bild: Anne Frank Fonds, Basel

Otto Frank überlebte als Einziger der vierköpfigen Familie den Holocaust. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers traf er am 3. Juni 1945 wieder in Amsterdam ein, wo er am 18. Juli vom Tod seiner Töchter erfuhr, die nach Bergen-Belsen gebracht worden waren. 1947 veröffentlichte er das Tagebuch seiner Tochter, das ihm Miep Gies übergeben hatte – seine frühere Mitarbeiterin, die gemeinsam mit anderen Helfern die Familie versteckt hatte. Otto Frank übersiedelte 1953 zu seinen Verwandten in die Schweiz und heiratete Elfriede Geiringer-Markovits, die wie er Auschwitz überlebt hatte. 1963 gründeten sie die Stiftung Anne Frank Fonds in Basel, die das Urheberrecht am Tagebuch der Anne Frank hält.

Nach Otto Franks Tod am 19. August 1980 bleibt als Vermächtnis an die Nachgeborenen seine Mahnung: „Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Das einzige, was wir tun können, ist, aus der Vergangenheit zu lernen und zu erkennen, was Diskriminierung und Verfolgung unschuldiger Menschen bedeutet.“

www.annefrank.org