Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Sprachtandem bringt Flüchtlinge voran

Von Mirjam Mohr

Die erfolgreiche Integration schulpflichtiger Geflüchteter in das deutsche Bildungssystem stellt eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben der kommenden Jahre dar. Auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die noch wenig oder gar kein Deutsch verstehen und die teilweise mit anderen Schriftsystemen alphabetisiert wurden, sind viele Lehrerinnen und Lehrer nicht vorbereitet. Hier setzt ein aktuelles Projekt der Heidelberg School of Education (HSE) an: Es macht Lehramtsstudierende der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg fit für die sprachliche Förderung und pädagogische Begleitung von geflohenen Kindern und Jugendlichen wie Abdulghafar Nurzaei – und hilft bereits jetzt ganz konkret bei der Eingliederung in das Heidelberger Schulleben.

Zentraler Bestandteil des Projekts für angehende Lehrer aller Fachrichtungen sind Sprachtandems, bei denen Studierende für ein Semester eine Förderpatenschaft für einen jungen Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund an einer Heidelberger Schule übernehmen. Diesen Grundgedanken setzt Prof. Dr. Ingrid Dietrich vom Institut für Bildungswissenschaft der Ruperto Carola bereits seit dem Sommersemester 2014 mit einem Seminar um, das Sprachtandems anbietet und begleitend Kompetenzen im sprachdidaktischen und interkulturellen Bereich vermittelt. Die von Dietrich betreuten Tandems bilden den Kern des aktuellen HSE-Projekts, hinzu kommen Lehreinheiten in Deutsch als Zweitsprache, zur Lernbegleitung und zu traumapädagogischen Gesichtspunkten. Beteiligt sind Lehrende der Institute für Bildungswissenschaft und Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität sowie der Pädagogischen Hochschule.

Gefördert werden Mädchen und Jungen in Vorbereitungsklassen an der Geschwister-Scholl- und der Julius-Springer-Schule in Heidelberg. Von den Sprachtandems können Schüler und Studierende gleichermaßen profitieren. „Mir hat diese Unterstützung sehr geholfen“, sagt etwa Abdulghafar Nurzaei. Der heute 18-jährige Afghane, der Ende 2014 mit seiner Familie in die Stadt am Neckar kam, wurde auf Vermittlung von Ingrid Dietrich in die Vorbereitungsklasse aufgenommen, die seine beiden jüngeren Brüder besuchten. Alle drei bekamen Sprachpaten; und obwohl sie zunächst noch die lateinische Schrift lernen mussten, machten sie so schnell Fortschritte, dass sie aufgrund sehr guter Leistungen Schülerstipendien einer Stiftung erhielten.

Da habe ich manches besser verstanden als in der Vorbereitungsklasse: Abdulghafar Nurzaei, Prof. Ingrid Dietrich und Sissy Geider (von links).
Foto: Fink

Im Zuge des Sprachtandem-Programms traf sich Abdulghafar zweimal pro Woche mit seinem studentischen Paten, um gemeinsam mit ihm zu üben: „Da habe ich manches besser verstanden als in der Vorbereitungsklasse.“ Die beiden kamen so gut miteinander aus, dass sie auch nach dem Ende des Seminars noch ein zweites Semester gemeinsam lernten – und das sehr erfolgreich, denn Abdulghafar macht gerade seinen Hauptschulabschluss. „Die Texte, mit denen man dafür umgehen muss, gehen weit über umgangssprachliche Kenntnisse hinaus. Dass Abdulghafar das nach eineinhalb Jahren schafft, ist ein großer Erfolg“, betont Ingrid Dietrich. Und er will weiter lernen: Das Abitur machen und anschließend Maschinenbau studieren.

Ähnliche Erfahrungen hat die Lehramtsstudentin Sissy Geider gemacht, die als Sprachpatin tätig war und nun Tutorin im HSE-Projekt ist. Auch sie übte über das Semester hinaus weiter mit ihren Förderkindern und kann deren positive Entwicklung nun mitverfolgen. Gleich zu Beginn ihrer Arbeit merkte sie, dass der von ihr aufgestellte Förderplan nicht funktionieren konnte, dass sie viel kleinschrittiger vorgehen musste. „Ich habe gelernt, mich auf die Bedürfnisse der Lerner einzustellen, auch meine Lehrmaterialien individuell anzupassen und flexibel in den Unterricht einzubringen.“ Inzwischen verfügt Geider nicht nur über das notwendige Wissen zu Struktur und Grammatik der deutschen Sprache, das sie zur Vermittlung braucht, sondern auch über die entsprechende Fachdidaktik. Das aktuelle HSE-Projekt bietet den Teilnehmern zusätzlich die Möglichkeit zur Evaluierung und Reflexion der eigenen Lernerfolge und Fähigkeiten, was Sissy Geider nach ihren Erfahrungen für sehr wichtig hält.

Unter dem Dach des Programms „PLACE aktuell“ war das Projekt zur sprachlichen Förderung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zunächst auf das Sommersemester begrenzt. Allerdings soll die Heidelberger Lehramtsausbildung verpflichtend ein Modul „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) erhalten. „Dabei geht es aber um eine bessere Förderung von Migrantenkindern generell, nicht nur von Flüchtlingskindern, die aktuell ohne Deutschkenntnisse zu uns kommen“, erklärt Juniorprofessor Dr. Giulio Pagonis vom Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie. Während Flüchtlingskinder „Seiteneinsteiger“ in die deutsche Sprache und das deutsche Bildungssystem seien, nehme das in die Lehrerbildung implementierte DaZ-Modul in Deutschland aufgewachsene Kinder mit Migrationshintergrund in den Blick, die teilweise fließend Deutsch sprächen aber dennoch im Bildungsbereich hinterherhinkten. „Dieses Phänomen hat Gründe im sprachlichen Bereich, die unabhängig von Intelligenz und sozioökonomischem Status dieser Kinder sind“, weiß Giulio Pagonis: „Hier wollen wir ansetzen, indem wir die künftigen Lehrer aller Fächer mit grundlegenden Kenntnissen im Bereich Deutsch als Zweitsprache ausstatten und so für einen sprachsensiblen Umgang im Fachunterricht qualifizieren.“

Das Programm PLACE – Partizipation langfristig absichern, Chancen erweitern – ist ein Vorhaben der Heidelberg School of Education, das vom Land aus dem Förderprogramm „Lehrerbildung in Baden-Württemberg“ bis Ende September 2020 gefördert wird. Innerhalb von „PLACE aktuell“ konnten Lehrende und Studierende der Universität und der Pädagogischen Hochschule in einem kompetitiven Verfahren Mittel für Projekte einwerben, bei denen aktuelle gesellschaftspolitische Themen im Vordergrund stehen. Während der ersten Förderphase im Sommersemester wurden sieben Vorhaben unterstützt, die sich mit Beiträgen des Bildungssystems und der Lehrerbildung zur aktuellen politischen Situation rund um die Phänomene Verfolgung, Vertreibung, Flucht, Migration und Asylsuche beschäftigten.

Siehe auch: „Deutsche Sprache im Gepäck“