Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Auch die Götter sind obdachlos geworden

Von Oliver Fink

Tausende Opfer und katastrophale Zerstörungen haben die schweren Erbeben Ende April und Anfang Mai in Nepal verursacht. Das Südasien-Institut (SAI), das seit mehreren Jahrzehnten in vielfältiger Weise mit der Region eng verbunden ist, hat daraufhin eine groß angelegte Spendenaktion gestartet – mit großem Erfolg. Zu den Hilfsprojekten, die im Zuge von „SAI HELP NEPAL“ gefördert werden, zählt die Unterstützung eines Pflegeheims für ältere Menschen, „The Hope Hermitage“, das Erdbebenopfern eine kostenlose Unterkunft und medizinische Versorgung bietet. Bei „Rebuilding Tsum“ geht es um humanitäre Hilfe in einem Tal im nördlichen Hochland des Gorkha-Distrikts, das besonders stark von den beiden Erdbeben betroffen war, und „Rebuilding Bungamati“ widmet sich dem Wiederaufbau einer südlich von Patan gelegenen Kleinstadt. Ähnlich umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen betreffen zwei Distrikte östlich (Shelter in Sindhupalchok and Dolakha) sowie eine Region nördlich von Kathmandu an der Grenze zu Tibet (Shelter and Reconstruction in Langtang). Der Wiederaufbau von Monumenten hat vor allem den Char Narayana Tempel sowie Manimandapa, die sogenannte „Juwelen-Plattform“ auf dem Darbar-Platz in Patan, zum Ziel. Ein Interview hierzu mit dem Heidelberger Nepal-Experten Prof. Dr. Axel Michaels:

Herr Michaels, Nepal ist aus den Schlagzeilen bereits wieder verschwunden. Wie ist die aktuelle Lage vor Ort? Konnten bei der Versorgung der Bevölkerung, beim Wiederaufbau bereits Fortschritte gemacht werden?

„Der eigentliche Wiederaufbau hat noch gar nicht richtig begonnen. Aber es sind Fortschritte beim Aufräumen gemacht worden. Einsturzgefährdete Häuser wurden abgestützt, Reparaturen haben stattgefunden. Aufgrund der Gefahr von Nachbeben herrscht allerdings noch immer eine große Unsicherheit in der Bevölkerung. So überlegen sich viele, ob sie nachts ihr Haus aufsuchen sollen oder nicht. Denn es kann ein kleiner Stoß sein, der es zum Einstürzen bringt. Glücklicherweise gibt es keine Probleme mehr mit Strom und Wasser. Auch die medizinische Versorgung funktioniert einigermaßen.“

Aufräumarbeiten im nördlichen Hochland des Gorkha-Distrikts.
Foto: Südasien-Institut

Mit den eingesammelten Geldern der SAI-Spendenaktion werden mehrere Einzelprojekte unterstützt. Welche Idee steckt dahinter?

„Unser wichtigstes Kriterium bei der Auswahl der Projekte war: Sie müssen etwas mit dem Südasien-Institut zu tun haben. Dafür nutzen wir jahrzehntelange Verbindungen. Wir kennen dort Leute zum Teil bereits in zweiter und dritter Generation, mit denen wir zusammenarbeiten. Die in oder für Nepal tätigen Mitarbeiter des SAI wiederum haben Patenschaften für diese Aktivitäten übernommen. Damit können wir sicherstellen, dass die Spendengelder unbürokratisch vergeben werden und auch direkt dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Über das große Echo, die Spendenbereitschaft aus der Universität und darüber hinaus bin ich höchst erfreut – das Spendenaufkommen liegt derzeit im sechsstelligen Bereich. Damit haben wir nicht gerechnet.“

Bereits seit Jahrzehnten ist das Südasien-Institut in Nepal tätig. 1987 wurde eine Außenstelle in Kathmandu eingerichtet, zu der auch eine Bibliothek gehört. Wie Prof. Dr. Axel Michaels berichtet, halten sich die Erdbebenschäden an dem Gebäude in Grenzen. Geleitet wird die Außenstelle derzeit von der Religionswissenschaftlerin Nadine Plachta. Neben Michaels beschäftigen sich viele weitere SAI-Wissenschaftler auf unterschiedliche Weise mit Nepal. Dazu zählt die Hochgebirgs- und Erdbebenforschung des Geographen Prof. Dr. Marcus Nüsser. Der Architekturhistoriker Prof. Dr. Niels Gutschow erforscht seit den 1970er-Jahren die Tempelbauten, vor allem des Kathmandu-Tals. Prof. Dr. Christiane Brosius arbeitet über den nepalesischen Kunstmarkt; gemeinsam mit dem Gerontologen Prof. Dr. Andreas Kruse verfolgt sie außerdem ein Projekt zu Aspekten des Alterns in der Region.

Unterstützt werden humanitäre Projekte aber auch der Wiederaufbau zerstörter Monumente. Warum ist die Restaurierung alter Tempelstätten genauso wichtig wie die Hilfestellung für Menschen in Not?

„Die Bauten, die zum Teil zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, tragen erheblich zur Identitätsbildung in Nepal bei. Darüber hinaus werden diese Anlagen im religiösen Alltag ja genutzt und gebraucht, sie haben also eine hohe spirituelle Bedeutung. Die Leute sagen selbst: Die Götter sind durch das Erdbeben obdachlos geworden. Daher sei es jetzt wichtig, die Tempel so schnell wie möglich wiederaufzubauen. Auch nicht zu unterschätzen ist, dass diese wunderbaren Stätten Besucher aus aller Welt anlocken – der Tourismus ist immerhin der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. Es gibt allerdings noch ein weiteres Argument für unser Engagement in diesem Bereich: Wir sind weder Ärzte noch Krankenpfleger oder Traumata-Spezialisten. Unsere Expertise liegt unter anderem in den Bereichen Architektur, Kultur und Religion. Da können wir unser Fachwissen am besten einbringen und auch entsprechend einschätzen, welche Projekte sich besonders lohnen. Was unsere Spendenaktion angeht, so haben wir es den Spendern freigestellt, ob sie für humanitäre Zwecke oder für den Wiederaufbau spenden möchten. Ein Vermerk auf dem Überweisungsträger genügt.“

Professor Axel Michaels: Mit dieser großen Spendenbereitschaft haben wir nicht gerechnet.
Foto: Benjamin

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung in Nepal?

„Der Zustand vor Ort wird sicherlich noch eine Zeit lang sehr deprimierend sein. Bis die Unterkünfte, die Wohnhäuser vollständig wiederhergestellt sind, wird es noch eine Weile dauern. Die Stimmen, die wir hören, sind sehr unterschiedlich. Manche sind sehr zuversichtlich, andere eher pessimistisch. Ich persönlich bin durchaus optimistisch, dass sich längerfristig die Lage wieder normalisieren wird, insbesondere der Tourismus wird meiner Meinung nach schon bald wieder anziehen. Die Menschen dort leben seit Jahrhunderten mit der Erdbebengefahr, zuletzt hatte es 1934 ein Erdbeben mit vergleichbaren Auswirkungen gegeben. Was besonders positiv auffällt, ist der Geist der jungen Leute und Studierenden, die sich gerade zusammentun und sich beim Wiederaufbau engagieren. Sie haben dem Land neue Impulse gegeben – gerade auch angesichts eines seit Jahrzehnten stagnierenden politischen Systems.“

Axel Michaels ist Professor für Klassische Indologie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Von 2002 bis 2013 war er Sprecher des von ihm maßgeblich mitgestalteten Sonderforschungsbereichs „Ritualdynamik“. Seit 2007 gehört er dem Direktorium des Exzellenzclusters „Asien und Europa im globalen Kontext“ an und ist mit Prof. Dr. Barbara Mittler Mitbegründer des neuen Heidelberger Centrums für Transkulturelle Studien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Kultur-, Religions- und Rechtsgeschichte Südasiens, insbesondere Nepals. An der Heidelberger Akademie der Wissenschaften leitet Michaels die Forschungsstelle „Religions- und rechtsgeschichtliche Quellen des vormodernen Nepal“.

Das Südasien-Institut bittet um Spenden für kurz- und langfristige Maßnahmen der Hilfe und Selbsthilfe. Dazu hat die Vereinigung der Freunde und Förderer des SAI den „Nepal Erdbeben Hilfsfonds Heidelberg“ (kurz: SAI HELP NEPAL) eingerichtet. Die Mittel werden für humanitäre Zwecke und Projekte zum Wiederaufbau der Kulturdenkmäler eingesetzt. Das Spendenkonto lautet:

Freunde des Südasien-Instituts e.V.
Sparkasse Heidelberg
Stichwort: „Erdbeben Nepal“
IBAN: DE37 6725 0020 0001 3006 95
SWIFT-BIC: SOLADES1HDB

http://saihelpnepal.com