Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Falsches Selbstbild macht es Kunstfälschern leichter

Immer wieder erschüttern Fälschungsskandale – wie der aufsehenerregende Fall von Wolfgang Beltracchi – den Kunstmarkt. Eine Erklärungshypothese für die sich stetig wiederholenden Betrugs- und Täuschungsversuche besagt, dass sich Experten nach jeder enthüllten Affäre in der trügerisch-falschen Sicherheit wiegen, ein solcher Vorfall werde sich nicht mehr wiederholen. Und das vor allem, weil sie sich im Rückblick sicher sind, dass die Fälscherei einfach hätte aufgedeckt werden können. Daher wähnen sie sich gegen neue Betrugsversuche gewappnet.

Mit Hilfe eines Experiments (Foto: Susann Henker) haben jetzt Nachwuchswissenschaftler des Instituts für Europäische Kunstgeschichte und des Instituts für Psychologie der Universität Heidelberg unter Leitung des Kunsthistorikers Prof. Dr. Henry Keazor gezeigt, dass dieses Phänomen der rückblickenden Selbstüberschätzung den wiederkehrenden Erfolg von Kunstfälschern erklären kann. „In der Psychologie wird das ‚Ich habe es doch schon immer gewusst‘-Gefühl bereits seit den 1970er-Jahren unter dem Begriff ‚hindsight bias‘ oder auch ‚Rückschaufehler‘ intensiv erforscht“, erklärt der Diplom-Psychologe Max Vetter, der die Untersuchung zusammen mit der angehenden Kunsthistorikerin Lena Marschall vorgenommen hat.

Der Rückschaufehler beruht unter anderem auf der Tatsache, dass es Menschen schwerfällt, sich korrekt an frühere Wahrnehmungen zu erinnern und sich in diese gedanklich zurückzuversetzen. Daher neigen sie dazu, die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses in der Rückschau zu überschätzen – und glauben, etwas gewusst zu haben, das ihnen nachweislich nicht bekannt war. Was Kunstfälschungen betrifft würde dies bedeuten, dass der Glaube an das Erkennen von Täuschungen überschätzt wird.

Um herauszufinden, ob diese rückblickende Fehleinschätzung tatsächlich auch eine Erklärung für den sich stetig wiederholenden Erfolg von Kunstfälschern ist, legten die Heidelberger Wissenschaftler rund 150 angehenden und ausgebildeten Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern eine Reihe von Falsifikaten und echten Stücken vor. Die Werke stammten zum Teil aus Privatbesitz, zum Teil aus der Asservatenkammer des Landeskriminalamtes in Stuttgart. Eine Hälfte der Probanden wurde um eine Einordnung zur Echtheit der Werke gebeten. Die andere Hälfte wurde darüber informiert, welche Kunstwerke nachgebildet wurden – anschließend sollten die Befragten beurteilen, ob sie Fälschungen und Originale als solche hätten ausmachen können.

Die Ergebnisse stützten die Hypothese des interdisziplinären Forscherteams: Wer über die Echtheit der Werke Bescheid wusste, war sich auch deutlich sicherer, dass er diese ohne entsprechende Information ebenfalls korrekt identifiziert hätte. Der Effekt ist nach Angaben der Wissenschaftler umso größer, je stärker die Probanden ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen. Eine allzu selbstbewusste Überzeugung von der eigenen Expertise geht also mit einem verstärkten Rückschaufehler einher. Dies birgt die Gefahr einer Überschätzung des eigenen Urteilsvermögens, während gleichzeitig die Sachlage unterschätzt wird. Professor Henry Keazor: „Dieser Effekt der Selbstüberschätzung sollte, wie der Fall Beltracchi gezeigt hat, gerade bei kunstwissenschaftlichen Expertisen zu verstärkter Vorsicht den eigenen Fähigkeiten gegenüber mahnen.“

Ein Erklärungsmodell aus der Psychologie für ein Phänomen der Kunstgeschichte zu nutzen ist nach Auffassung der beteiligten Wissenschaftler sinnvoll, weil Wahrnehmung und deren mögliche Verzerrungen gleichermaßen Gegenstand von kunsthistorischer wie psychologischer Forschung sind, die sich in diesem Punkt berühren. Gut gesicherte Erkenntnisse zum menschlichen Urteilen und Entscheiden aus der Psychologie könnten somit auch in anderen Fächern getestet werden und zum Verständnis eines Phänomens beitragen wie hier der Geschichte der Kunstfälschung. Diese wiederum könne dafür sensibilisieren, wie stark Fragen der Kunst und ihrer Wahrnehmung generell mit Aspekten der Psychologie verbunden sind.

SWR2-Interview mit Prof. Henry Keazor: „Kunstfälschungen – warum lassen sich Fachleute so leicht täuschen“