Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit Sensoren am Arm durch die Stadt

Unsichere Radwege, Stress durch Verkehrsstaus, Angst in Unterführungen: In modernen Städten gibt es viele belastende Faktoren für die Bewohner. Eine nachhaltige Stadtgestaltung sollte nach Ansicht von Experten deshalb emotionale Reaktionen der Bürger auf ihre Umwelt miteinbeziehen (Grafik: Bernd Resch). Im interdisziplinären Forschungsprojekt „Urban Emotions“ entwickeln Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Kaiserslautern kreative Methoden, um mit nutzergenerierten Daten Auskunft über solche Gefühle zu erhalten – so werden etwa Testpersonen mit Sensoren ausgerüstet durch die Stadt geschickt.

Die Daten sollen zeigen, wie Bürger ihre Stadt nutzen, wo sie sich wohlfühlen und durch welche Gegebenheiten problematische Situationen entstehen können. Für ein geeignetes Instrumentarium testen die Forscher die Möglichkeiten des „People as Sensors“-Konzepts, mit dem automatisiert Emotionen und Stresslevels gemessen werden. Zusätzlich werten sie öffentlich zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken aus. Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Für die automatisierte Messung von Emotionen und Stresslevels statten die Forscher Testpersonen mit Sensoren aus, die sich wie eine Armbanduhr tragen lassen. „Damit können wir die Hautleitfähigkeit, die Körpertemperatur und die Herzfrequenzvariabilität messen, die sich ändern, wenn sich beispielsweise jemand erschrickt“, erläutert Dr. Bernd Resch. Der Geoinformatiker vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg leitet das Forschungsprojekt zusammen mit Dr. Peter Zeile vom Fachbereich Raum- und Umweltplanung an der Technischen Universität Kaiserslautern.

Die Messdaten ermöglichen Rückschlüsse darauf, wo es Stress auslösende Verkehrspunkte und somit Verbesserungsbedarf gibt – etwa auf Radwegen, die Radfahrer immer wieder in gefährliche Situationen bringen. „Mit den Sensoren lässt sich auch das subjektive Sicherheitsempfinden erfassen, zum Beispiel in einer Unterführung. Damit können wir überprüfen, ob ein ‚Angstraum‘ vorliegt und wie mit diesem im Idealfall planerisch umgegangen werden soll“, erklärt Bernd Resch. Die Daten sollen aber auch Aufschluss geben über Stress, der durch Lärm oder Hitze verursacht wird, oder über die positive Wirkung städtischer Gestaltungsmaßnahmen wie Grünanlagen als Entspannungsräume.

Zusätzlich zu den Messdaten werten die Forscher öffentlich zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Flickr oder Instagram aus. Dr. Resch: „Dort steht uns eine große Menge an subjektiven nutzergenerierten Daten zur Verfügung – eine bestens geeignete Datenquelle in einem Projekt, in dem wir auf die persönlichen Empfindungen von Menschen abzielen.“ Die Wissenschaftler können auf diese Weise ihre Ergebnisse validieren, indem sie überprüfen, ob gemessene Empfindungen mit subjektiven Einschätzungen in sozialen Medien übereinstimmen. „Da bei der Auswertung dieser Daten nicht nur der Ort des Geschehens wichtig ist sondern auch die Semantik der Aussagen, arbeiten wir hier in einem neuartigen Forschungsansatz auch mit der Computerlinguistik zusammen“, schildert der Geoinformatiker; „dabei soll der Computer Emotionen kontextbezogen erkennen, sodass die Planer diese besser auswerten können.“

Mit dem „Urban Emotions“-Projekt wollen die Forscher herausfinden, wie sich bisher nicht identifizierbare dynamische Vorgänge in der Stadt über Emotionsinformationen erfassen und beeinflussen lassen. „Unsere Vision ist es, dass hier ein System entsteht, in dem die Bürger in die Raumbeobachtung aktiv miteinbezogen werden. Sie sollen helfen, eine andere Form der Raumwahrnehmung zu generieren und so auch eine neue Sichtweise auf die Stadt als eine Art ‚Organismus‘ zu entwickeln“, sagt Peter Zeile.

Dazu untersuchen die Wissenschaftler, wie Emotionsinformationen am besten gewonnen werden können, wie belastbar diese Daten sind und wie sie so aufbereitet werden können, dass sie im Stadtplanungsprozess nutzbar sind. Bernd Resch betont: „Diese neuen kreativen Methoden können im Erfolgsfall eine wertvolle Ergänzung der traditionellen Stadtplanung sein.“

Wissenschaftliche und technische Unterstützung erhalten die Forscher aus Heidelberg und Kaiserslautern vom Center for Geographic Analysis der Harvard University und dem Civic Data Design Lab des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) sowie den Research Studios Austria - Studio iSPACE in Salzburg.

www.geog.uni-heidelberg.de/gis/urbanemotions.html