Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit verstümmeltem Erbgut gegen die stille Seuche

Von Ute von Figura

„Vorsicht! Biogefährdung“ steht in fetten schwarzen Lettern auf einem signalgelben Schild, das an der Glastür zu den Labors in Heidelberg hängt. Hinter dieser Tür forschen Prof. Dr. Ralf Bartenschlager (Foto: Philipp Benjamin) und seine rund 60 Mitarbeiter an den Funktionsmechanismen gefährlicher Viren, insbesondere des Hepatitis-C-Virus, kurz HCV. Vor rund 15 Jahren gelang Bartenschlager sein erster großer Durchbruch: Er züchtete ein sogenanntes Mini-Genom des HCV, an dem erstmals antivirale Therapien erprobt werden konnten. Wenige Jahre später dann sein zweiter Coup: die Entwicklung eines Zellsystems, in dem sich der vollständige Lebenszyklus des Virus nachvollziehen ließ. Beide Entdeckungen waren Meilensteine. Dafür wurde der Wissenschaftler jetzt mit dem Lautenschläger-Forschungspreis ausgezeichnet.

Als „stille Seuche“ bezeichnet Ralf Bartenschlager das Virus, denn oft bemerken die Betroffenen viele Jahre nichts von ihrer Erkrankung. Die Symptome sind – sofern sie überhaupt auftreten – unspezifisch. Bleibt der Erreger in den ersten sechs Monaten nach der Infektion unerkannt und gelingt es dem körpereigenen Immunsystem nicht, ihn zu eliminieren, wird die Krankheit chronisch. Weltweit tragen rund 170 Millionen Menschen das Virus in sich, allein in Deutschland etwa 800 000. Mit der Zeit kann Hepatitis C zu schwerwiegenden Leberschäden führen, die im schlimmsten Fall Nährboden für ein Leberzellkarzinom werden und tödlich enden.

Mit der Entwicklung von Hepatitis-C-Mini-Genomen hat Bartenschlager die Grundlage für die Entwicklung geeigneter Therapieformen gelegt. Hierzu isolierte sein Team Ende der 1990er-Jahre Teile aus dem Genom, dem Erbgut des Virus, und setzte sie zu einer „verstümmelten“ Form des Erregers neu zusammen. Dieses Mini-Genom schleusten die Forscher in menschliche Leberzellen ein, an denen sich – so manipuliert – antivirale Therapien testen lassen. Lebhaft erinnert sich der heute 55-Jährige an den Tag, den 10. November 1998, an dem er zusammen mit seinem Mitarbeiter Volker Lohmann den Beweis für die Funktionalität des Mini-Genoms in Händen hielt: „Ich weiß noch genau, wie Volker aufgeregt aus dem Fotolabor kam – damals wurde noch alles auf Röntgenfilmen aufgezeichnet – und sagte: ,Da ist etwas.‘.“ Die Nachricht von der Entdeckung des Mini-Genoms schlug in der Fachwelt ein wie eine Bombe und wurde in „Science“ publiziert.

Manchmal sehnt sich der Virologe nach den Zeiten zurück, in denen er noch selbst mit Zellkulturen und Pipette im Labor hantierte. Inzwischen stehen die Leitung des Bereichs „Molekulare Virologie“, der im Department für Infektiologie am Heidelberger Universitätsklinikum angesiedelt ist, sowie die Ausbildung junger Wissenschaftler im Zentrum seiner Arbeit. Ralf Bartenschlager koordiniert sowohl den Schwerpunktbereich „Infectious Diseases“ des Masterstudiengangs „Molecular Biosciences“ als auch ein strukturiertes Doktorandenprogramm für die Promovenden im Department für Infektiologie. Darüber hinaus unterrichtet er Studierende der Fakultäten für Medizin und Biowissenschaften. „Mir ist es wichtig, junge Leute für das Thema Infektionskrankheiten zu begeistern. Unser Fach hat vieles zu bieten. Die Möglichkeit, an der Schnittstelle von Grundlagenforschung und medizinisch relevanten Fragestellungen zu arbeiten, ist hoch spannend.“ Für ihn selbst war dieser translationale Aspekt seiner Arbeit stets entscheidend: „Eine Forschung, die sich ausschließlich auf grundlegende Mechanismen beschränkt und nicht auch zumindest perspektivisch die Anwendung im Blick hat, ginge mir persönlich zu kurz.“

Gespannt verfolgt der Virologe derzeit die klinische Erprobung von neuen Wirkstoffen gegen das HCV, die auf Basis seiner Forschungsergebnisse entwickelt wurden. In diesem Jahr werden voraussichtlich mehrere Medikamente auf den Markt kommen, die sehr viel besser verträglich und deutlich wirksamer sein sollen. Ralf Bartenschlagers Traum ist ein günstiger und effektiver Wirkstoff gegen Hepatitis C – ein Medikament wie Aspirin etwa, das auch in Entwicklungsländern finanzierbar wäre. Nicht zuletzt aus diesem Grund konzentriert sich ein Teil seiner Gruppe mittlerweile auf die Erforschung des Dengue-Fiebers: Mit 400 Millionen Neuinfektionen pro Jahr beruht es auf den weltweit am häufigsten übertragenen Viren. Und dennoch ist das Interesse der Pharmafirmen an dieser Erkrankung gering, da Industrieländer kaum betroffen sind. Bartenschlager: „Ich sehe es als Aufgabe der akademischen Forschung, hier eine Lanze zu brechen.“

Prof. Dr. Ralf Bartenschlager übernahm 2002 eine an der Medizinischen Fakultät der Ruperto Carola angesiedelte Stiftungsprofessur der Chica und Heinz Schaller Stiftung. Am Universitätsklinikum Heidelberg leitet er den Bereich Molekulare Virologie im Department für Infektiologie. Zudem ist er Mitglied des Exzellenzclusters „CellNetworks“ der Universität und Sprecher der Forschergruppe „Persistenz hepatotroper Viren“.

Der Lautenschläger-Forschungspreis ist mit 250 000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre für besondere Leistungen in der Spitzenforschung vergeben; er ist der höchstdotierte Forschungspreis eines privaten Stifters in Deutschland. Ausgezeichnet wird damit eine „international anerkannte Forscherpersönlichkeit, die sich durch herausragende wissenschaftliche Leistungen ausgewiesen hat“, wie Dr. h.c. Manfred Lautenschläger betont, Preisstifter und Ehrensenator der Ruperto Carola. Ralf Bartenschlager erhielt die Ehrung Anfang Dezember für seine wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Hepatitis-C-Forschung.

www.lautenschlaeger-forschungspreis.uni-hd.de