Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Stoned schreibt schlechte Musik

Der exzessive Konsum von Alkohol und Drogen hat bei Jim Morrison, dem legendären Frontmann der „Doors“, in relativ kurzer Zeit zu einem Verlust seiner Kreativität geführt, statt diese zu befördern. „Beeinträchtigt war vor allem seine Fähigkeit, kreative Eingebungen auszuarbeiten und umzusetzen“, sagt der Psychotherapeut und Kreativitätsforscher Prof. Dr. Rainer M. Holm-Hadulla von der Universität Heidelberg. Nach den Worten des Wissenschaftlers muss der Alkohol- und Drogenmissbrauch unter Musikern als ein „Peer-Group-Phänomen“ begriffen werden, das bei den Künstlern selbst, mehr aber noch bei ihren Fans die Illusion bedient, ohne konzentrierte Arbeit schöpferische Leistungen vollbringen zu können. Die Ergebnisse der psychologischen Fallstudie von Holm-Hadulla wurden in der Fachzeitschrift „Psychopathology“ veröffentlicht.

Der Konsum von Alkohol und härteren Drogen gilt als eine unter Rockmusikern weitverbreitete Erscheinung. Verbunden damit ist die Vorstellung, dass auf diese Weise schöpferische Kräfte gefördert würden. Diese Illusion zeigt sich auch bei dem Sänger, Songwriter und Lyriker Jim Morrison, der 1971 im Alter von 27 Jahren starb (Foto: iStock), was ebenfalls zur Legendenbildung beitrug. Am 8. Dezember dieses Jahres wäre er 70 Jahre alt geworden.

Rainer M. Holm-Hadulla hat sich der Pop-Ikone mit ideographischen Methoden genähert, sich intensiv mit seiner Biografie und seinen Texten auseinandergesetzt. Für seine Studie wertete der Wissenschaftler Liedtexte und Gedichte aus, ebenso wie Interviews und Berichte von Freunden, Arbeitskollegen und Familienangehörigen.

„Bereits die frühen Texte zeigen, dass Jim Morrison versucht hat, traumatische Kindheitserlebnisse, depressive Phasen und unkontrollierte Gefühlsausbrüche kreativ zu verarbeiten“, erläutert Holm-Hadulla. Befördert wurde dies durch seine überdurchschnittliche Intelligenz – Morrison wurde ein Intelligenzquotient von 149 bescheinigt – und seine besonderen sprachlichen Fähigkeiten, die ihm bereits ein Lehrer in der Schule attestierte. „Das Talent und das Wissen über literarische Formen waren also schon vorhanden, bevor Jim Morrison begann, Alkohol und andere Drogen zu konsumieren. Seine Inspirationen konnte er jedoch erst ausarbeiten, nachdem er in der Band ,The Doors‘ eine produktive Umgebung gefunden hatte.“

Nach den Worten von Prof. Holm-Hadulla hat Jim Morrison schon in seiner Jugendzeit massiv getrunken, „vermutlich um sich gegen die rigiden Wertvorstellungen der Eltern und Großeltern zur Wehr zu setzen.“ Später seien auch andere Drogen hinzugekommen. „Zu der Rebellion gegen soziale Normen und der Sehnsucht nach Bewusstseinserweiterung trat die Motivation, etwas Neues und Authentisches zu schaffen“, so der Heidelberger Wissenschaftler. „Morrisons kreative Hochphase gründet in dem Kontakt zu seinen Musikerfreunden, die einen geeigneten Resonanzraum darstellten und ihn, wenn auch nur für kurze Zeit, vor seinen selbstzerstörerischen Impulsen schützen konnten.“ Unter massivem Alkohol- oder Drogeneinfluss sei er jedoch nicht mehr in der Lage gewesen, originelle Texte zu schreiben und die Schönheit seiner Stimme zu nutzen. „In einem Teufelskreis haben Alkohol und Drogen seine Kreativität beschädigt, und als Reaktion auf den Verlust schöpferischer Potenzen hat sich besonders sein Alkoholkonsum selbstmörderisch verstärkt.“

Wie der Psychotherapeut und Kreativitätsforscher erklärt, fügt sich seine Morrison-Analyse in die Ergebnisse anderer Studien ein: „Verschiedene Untersuchungen belegen, dass allenfalls geringe Alkoholmengen das assoziative Denken befördern. Die Fähigkeit, Inspirationen auszuarbeiten, wird aber beeinträchtigt und bei höheren Mengen ganz behindert.“

Dennoch ist die mediale Inszenierung des Untergangs von Ikonen wie Jim Morrison oder Amy Winehouse, die ebenfalls mit 27 starb, durchaus attraktiv, wie Holm-Hadulla weiß: „Sie bedienen das Klischee, durch Grenzüberschreitungen kreativ zu werden – entrückte Künstler und ihre Exzesse befeuern vielfältige Illusionen, die von der Musikindustrie gezielt bedient und in den Medien inszeniert werden.“ Das dahinterliegende Elend werde allerdings übersehen. Bei Jim Morrison seien dies die Auseinandersetzung mit einer beziehungsarmen Kindheit, melancholischen Verstimmungen und der Grausamkeit des Vietnamkrieges gewesen. „Er identifizierte sich mit den Opfern, während sein Vater als Admiral der US-Streitkräfte ein Protagonist des Krieges war. In wunderbaren Songs konnten die ,Doors‘ den Schrecken in ästhetische Erfahrungen verwandeln; ihr Sänger verzehrte sich allerdings wie in einem Opferritual.“

R. Holm-Hadulla: Creativity, Alcohol and Drug Abuse. The Pop Icon Jim Morrison; Psychopathology (18 September 2013), doi: 10.1159/000354617

Prof. Dr. Rainer M. Holm-Hadulla ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Er lehrt an der Ruperto Carola und leitet die Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks Heidelberg (PBS). Daneben ist er als Psychoanalytiker sowie als Berater und Coach tätig. Zum Thema Kreativität hat er bereits mehrere Bücher veröffentlicht.

www.holm-hadulla.de