Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Auch ein bisschen detektivisch arbeiten

Von Mirjam Mohr

Während seines Promotionsstudiums fiel Roland Wenzlhuemer (Foto: Fink) die verblüffende Ähnlichkeit zweier Karten auf, die das Telegrafennetz im späten 19. Jahrhundert und das Glasfaserkabelnetz des Internets zeigen. Durch diese zufällige Entdeckung neugierig geworden, begann sich der Historiker näher mit dem Phänomen Globalisierung zu beschäftigen. Inzwischen bereitet sich der 36-Jährige, der als Privatdozent am Historischen Seminar lehrt und eine Forschergruppe am Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ leitet, mit einem der begehrten Heisenberg-Stipendien auf eine Professur vor.

In seinem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Dr. Wenzlhuemer mit seinen Mitarbeitern bisher unbekannte Schiffszeitungen, die Passagiere im 19. Jahrhundert während der langen Reisen erstellt haben. Damit kehrt er thematisch auch zu seinem ursprünglichen Berufswunsch zurück: „Die romantische Idee war, Journalist zu werden, also Dinge zu recherchieren und tolle Storys zu schreiben“, erinnert sich der gebürtige Österreicher, der zunächst an der Universität Salzburg Kommunikationswissenschaft und im Nebenfach Geschichte studierte.

„Der Alltag des Studiums hat mir allerdings gezeigt, dass ich diesem Ideal mit einer Umkehr der Gewichtung meiner Studienfächer viel näher komme. Ich habe schnell gemerkt, dass es mich mehr interessiert, in die historische Tiefe zu schauen und auch ein bisschen detektivisch zu arbeiten.“ Detektivische Arbeit ist ein wichtiges Stichwort bei Wenzlhuemers aktuellem Projekt zum Leben von Passagieren auf Schiffen im 19. Jahrhundert und deren Rolle im Globalisierungsprozess:

Bei Forschungsarbeiten im Archiv der British Library in London stieß der Wissenschaftler auf zwei Exemplare einer Schiffszeitung. „Die haben Passagiere seinerzeit erstellt, um sich die Langeweile während der zum Teil mehrere Monate dauernden Schiffsreisen zu vertreiben“, erläutert er. „Es war bisher weitgehend unbekannt, dass es so etwas gab; und für uns ist das natürlich eine hochspannende Quelle, weil man so gewissermaßen in die Köpfe der Passagiere schauen kann.“

Ein Online-Artikel zu dem Fund machte eine australische Archivarin auf das Forschungsprojekt aufmerksam. „Sie hat uns dann informiert, dass sie gerade dabei ist, etwa 100 Exemplare solcher Schiffszeitungen zu archivieren, und hat gefragt, ob wir nicht Interesse hätten, uns das anzuschauen“, erzählt Wenzlhuemer. „Das ist ein Zufallsfund, der das Herz eines Historikers höher schlagen lässt.“

Zuvor beschäftigte sich der Geschichtswissenschaftler, der auch schon als historischer Berater für einen Spiele-Verlag tätig war, mit der Telegrafie: Bereits an der Berliner Humboldt-Universität – im Jahr 2008 wechselte er an die Ruperto Carola – ging Wenzlhuemer der Frage nach, wie diese neue Technologie Ende des 19. Jahrhunderts die Kommunikation veränderte, welche Zusammenhänge zwischen der Ausbreitung der Telegrafie und der Globalisierung bestehen und welche Parallelen und Unterschiede es zur Entwicklung des Internets 100 Jahre später gibt.

Dem Telegrafie-Projekt entstammt auch das Thema seiner im Juni 2011 abgeschlossenen Habilitation, deren Ergebnisse er in einem Ende 2012 erschienenen Buch veröffentlicht hat. „Es geht darin um die Bedeutung von telegrafischer Kommunikation für die Globalisierung, vor allem um die Frage, welchen qualitativen Unterschied es für Globalisierungsprozesse macht, dass Kommunikation entmaterialisiert wird, also dass Informationsbestandteile in elektrische Impulse umgewandelt und verschickt werden.“

Er habe lange nicht gedacht, sagt Roland Wenzlhuemer heute, dass er in der Wissenschaft wirklich Fuß fassen könne: „Das war ein abstruser Traum, weil man schon im Studium merkt, dass das sehr schwierig ist.“ Doch spätestens mit dem Erhalt eines Heisenberg-Stipendiums dürfte für den zweifachen Familienvater klar sein, dass sich der Traum doch erfüllt – die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die es herausragenden Wissenschaftlern ermöglichen soll, sich auf eine Professur vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten, gilt schließlich als „kleiner erster Ruf“.

Filmporträt von Roland Wenzlhuemer

Siehe auch: Als das Telegrafennetz erstmals die Kontinente verband

Roland Wenzlhuemer: Connecting the Nineteenth-Century World. The Telegraph and Globalization. Cambridge University Press 2012.