Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Kandidat bei den Mancunians

Von Timm Hondrich

Manchester empfing mich mit Sonnenschein und T-Shirt-Temperaturen – ein mittleres Wunder. Natürlich hatte ich, als ich meinen Erasmus-Aufenthalt (Fotos: privat) in der Heimatstadt von gleich zwei großen Fußballvereinen plante, nicht mit gutem Wetter gerechnet. England ist ja schließlich bekannt für seinen ewigen Regen. Das Wetter war jedoch nicht die einzige Überraschung.

Ich hatte mit einer Stadt gerechnet voll von englischen Dialekten und einer an Fanatismus grenzenden Begeisterung für Fußball. Der Dialekt existiert wirklich, er nennt sich „Mancunian“, was sich vom römischen Namen der Stadt „Mancunium“ ableitet; und ist anfangs kaum verständlich. Auch die Begeisterung für Fußball war vielerorts zu spüren, doch wer schon einmal in einer der Fußballmetropolen Deutschlands zur Zeit eines wichtigen Spiels war, wird das nicht als ausschließlich typisch für Manchester verbuchen.

Die Bevölkerung Manchesters setzt sich zusammen aus einer munteren Mischung völlig verschiedener Nationalitäten und Abstammungen, die Stadt ist angefüllt von asiatischen, britischen und amerikanischen Akzenten. Die oft geschmähte britische Küche entsprach ebenfalls nicht meinem Vorurteil: Ja, es gibt seltsame Kombinationen von süßen und herzhaften Gerichten, und ja, die Würste schmecken nun einmal, man möchte sagen, eigenwillig. Insgesamt jedoch waren Küche und Gerichte auf ihre eigene Art sehr lecker. Nur an den Mangel an dunklem und festem Brot konnte ich mich nur schwer gewöhnen.

Indes war ich nicht nach Manchester gekommen, um vornehmlich zu essen oder die Menschen zu beobachten. Ich hatte mich im Vorhinein in einem der Laboratorien für ein Forschungsprojekt (Research Project) im Zuge des Erasmus-Programms beworben, was für Naturwissenschaftler eine sehr interessante und bereichernde Alternative darstellt. Der Nachteil: Ich lernte vermutlich wesentlich weniger einheimische Studenten kennen als diejenigen meiner Kommilitonen, die sich für den üblichen Universitätsbetrieb entschieden hatten.

Und dieser Universitätsbetrieb funktionierte sehr gut. Vor allem ausländische Studierende bekommen Hilfestellungen jedweder Art; und jede Anmeldung, Einschreibung und sogar einige komplette Module können online erledigt werden. Sollten dabei Probleme auftreten, werden diese innerhalb kürzester Zeit behoben.

Die Laborgebäude, die ich kennenlernte, waren alle auf dem neuesten Stand der Technik und zum Teil kleine architektonische Wunderwerke, die geradezu futuristisch wirkten. In einem dieser Gebäude hat die „Students Union“ ihren Sitz, eine Institution, die ein gewaltiges Freizeitangebot für jede Neigung in Form sogenannter Societies anbietet: Von musikalischen über sportliche bis hin zu Bridge-Societies findet sich für jeden Geschmack hier das Richtige. Finanziert wird alles durch die für deutsche Hochschüler astronomisch wirkenden Studiengebühren von mehreren Tausend Pfund pro Semester.

Obwohl Studiengebühren für mich als Erasmus-Studenten entfielen, schrumpfte mein Kontostand erschreckend schnell zusammen. Bis auf wenige Ausnahmen, zu denen Mobilfunkverträge und Kinobesuche zählen, sind die Lebenshaltungskosten in England höher als hierzulande. Und zwar nur gerade so viel, dass es bei einzelnen Einkäufen kaum auffällt, sich jedoch am Ende des Monats zu recht stattlichen Summen addiert.

Auch Tages- oder Wochenendtouren waren aus diesem Grund recht teuer – doch die atemberaubenden Landschaften und älteren Städte im Norden Englands und Schottlands machen die Ausgaben definitiv wieder wett. So befindet sich im Norden von Manchester der Nationalpark Lake District mit grünen Bergen und kleinen Wäldchen über klaren, blauen Seen; und im Osten lockt der Peak District mit kargen Hochebenen und gewaltigen Felswänden. Ebenfalls im Osten ist York, in dessen mittelalterlichem Zentrum sich die Häuser über engen Gassen zusammenducken und dessen Flussufer den Heidelberger Neckarwiesen Konkurrenz machen. Weiter nördlich von York lohnt ein Ausflug nach Newcastle, einst ein Römerkastell und der östlichste Punkt des noch immer streckenweise erhaltenen Hadrianswalls.

Ein gewaltiger Vorteil bei den Besuchen englischer Städte ist der meist kostenfreie Eintritt in die Museen. So lernte ich auch Manchester selbst an einigen regnerischen Wochenendnachmittagen besser kennen beispielsweise im Museum of Science and Industry, wo alte Dampfmaschinen ausgestellt sind und man einen guten Überblick über die industrielle Revolution bekommt, die Manchester den Namen „Cottonopolis“ einbrachte – eine Anspielung auf seine Bedeutung in der Baumwollproduktion.

Neben all diesen Aktivitäten und dem Research Project fand ich auf wundersame Weise noch die Zeit, mit meinen internationalen Bekanntschaften und Freunden auch das Nachtleben der Stadt auszukosten. Begibt man sich in Richtung Innenstadt, so findet man an jeder Ecke ein Pub oder eine Bar; nur Clubs muss man gezielt aufsuchen. Etwas außerhalb ist zudem das mächtige „Warehouse Project“, in dem internationale DJs aus allen elektronischen Musikstilen einen Kontrast zur hauptsächlich rockigen Pub-Musik bieten.

Musik aller Art gibt es natürlich auch hierzulande, man versteht die meisten Menschen problemlos – und es gibt dunkles, festes Brot. Was also vermisse ich? An erster Stelle natürlich die Freundschaften, die ich geknüpft habe. Außerdem die englische Sprache, die oft unkomplizierter scheint und ist als die deutsche. Erstaunlicherweise jedoch auch die englische Küche mit ihrem reichhaltigen Frühstück mit gebackenen Bohnen und Bacon. Und, last but not least, den Tee in all seinen Formen, der in England tatsächlich in jedem Pub besser schmeckt als in den meisten Cafés in Deutschland.

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Erasmus: Einfach nur ein Party-Semester?

Seit es 1987 von der EU ins Leben gerufen wurde, ist das Erasmus-Programm zu großer Bekanntheit gelangt und führt jedes Jahr Abertausende Studierende in andere Länder. Für die Entscheidung zu einem Auslandsaufenthalt kann es die unterschiedlichsten Gründe geben. Einige wollen „einfach mal raus“ und neue Erfahrungen sammeln, andere sehen an außerhalb Deutschlands gelegenen Universitäten akademische Chancen, die ihnen an ihrer Heimatuniversität verwehrt blieben. Wieder andere wollen ihren Lebenslauf um diesen wesentlichen Punkt bereichern. Oder eine neue Sprache und einen anderen Kulturkreis kennenlernen. Gerade in Europa, in dem ein Land dicht an dicht an das nächste grenzt, ist die Vielfalt der Kulturen und somit die Vielzahl der Gründe für ein Austauschsemester immens.

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen zu dem Erfolgsprogramm. Nicht selten fällt die Bezeichnung „Party-Semester“, wenn von Erasmus die Rede ist. Und in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ grantelte der Berner Bildungsökonom Stephan Wolter, „viele Stipendiaten feierten mehr, als sie lernten.“

Ist diese Kritik berechtigt? Welche Erfahrungen haben Erasmusler der Ruprecht-Karls-Universität gemacht? Timm Hondrich hat sich unter Kommilitoninnen und Kommilitonen umgehört:

Auch wenn Heidelberg als eine der teuersten Städte Deutschlands mit schlechtem Wohnungsangebot gilt, ist das kein Vergleich zu anderen, vor allem großen Metropolen Europas. Abgesehen von Studierenden in Glasgow und Manchester beklagen sich viele über eine relativ unangenehme Wohnungssuche in Dublin, Amsterdam oder Stockholm, an deren Ende sehr teure Wohnungen standen.

Keine oder nur geringfügige Probleme gibt es zumeist mit der Organisation an der Gastuniversität. „Die Organisation war sehr übersichtlich“, erzählt Tobias über seinen Aufenthalt in Stockholm: Vom Ausstellen des Studienausweises über gelegentliche Fragen bis zur Anrechnung der Kurse verlief alles weitgehend reibungslos. Das europaweite ECTS (European Credit Transfer System) scheint gut zu funktionieren, solange die Universitäten eng zusammenarbeiten und die Kurse einen ähnlichen Aufbau haben. Fehlt dies aber, kann es zu Schwierigkeiten kommen. So beklagt eine Anglistikstudentin, dass sehr arbeitsintensive Kurse in England nicht oder nur sehr eingeschränkt von der Heidelberger Universität anerkannt worden seien.

Erasmus I3

Als rundum erfreulich schildern alle Hochschüler den Kontakt zu den Einheimischen sowie das jeweilige Land selbst. „Freundlichkeit wird hier ganz groß geschrieben“, teilt eine Anglistikstudentin aus England mit; und Jana bezeichnet die Niederländer als „supernettes Völkchen“. Die Kommunikation stellt ebenfalls kein Problem dar: Alle sprechen von durchweg sehr guten Englischkenntnissen in den Austauschländern. Und besonders die irische, skandinavische und nordbritische Landschaft scheinen eine große Faszination auf die deutschen Studenten auszuüben.

Und wie steht es um den Lernaufwand – ist Erasmus vielleicht doch eher ein Urlaubssemester?

„Vom Lernaufwand her war es ungefähr gleich“, sagt Julian über seine Erfahrung am University College Dublin, „jedoch musste man mehr unter dem Semester machen, mehr Tests, Reports und Vorträge, die mit 30 Prozent zur Note beitrugen.“ Die anderen Studierenden berichten von ähnlichen Erfahrungen – mal ist es ein wenig schwerer, mal ein wenig leichter. Und selbstredend kommt es auch auf die jeweiligen Kurse an, sodass das Arbeitspensum selbst während der Vorlesungszeit stark schwanken kann.

Der entscheidende Unterschied ist wohl, dass die Freizeit anders genutzt wird – es wird erkundet und kennengelernt, entdeckt und ausprobiert. Ob Menschen, Städte, Landschaften oder die Sprache: Jeder kommt mit einzigartigen Erfahrungen zurück. Oder wie es Karin treffend zusammenfasst: „Man wird selbstständig, selbstbewusst und findet ein zweites Zuhause.“