Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Unsicherheit im akademischen Umfeld

Von Tanja Schmidt

Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien finden sehr viel seltener den Weg an die Hochschulen als solche, deren Eltern selbst studiert haben. Grund hierfür sind auch fehlende Informationen. Das fängt schon damit an, dass sich manche Schüler über die Vorteile eines Studiums und die damit verbundenen Berufsperspektiven nicht im Klaren sind. Hinzu kommen fehlende Kenntnisse über die Studienförderung und das BAföG sowie andere Möglichkeiten der Studienfinanzierung. Hier setzt seit einigen Jahren die Arbeit der studentischen Initiative „Arbeiterkind“ an.

In Heidelberg fand nun das erste Regionaltreffen Baden-Württemberg im Kulturfenster e.V. statt (Foto: privat). Im Mai 2008 von der Gießener Studentin Katja Urbatsch im Zuge des Wettbewerbs „start social“ gegründet hat sich Arbeiterkind von einer Internetseite zur bundesweit erfolgreichen Initiative von und für Studierende der ersten Generation gewandelt.

Motivation ist dabei die Erkenntnis, dass sich die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind in Deutschland studieren wird, vom Bildungsstand der Eltern ablesen lässt. Laut der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks nehmen von 100 Akademikerkindern 71 ein Studium auf. Dagegen studieren von 100 Nicht-Akademikerkindern lediglich 24, obwohl doppelt so viele die Hochschulreife erlangen. Auch die aktuelle Studie „Aufstiegsangst?“ der Vodafone Stiftung zeigt, dass viele Studienberechtigte ihre Chance auf ein Studium nicht nutzen.

Die finanzielle Belastung ist dabei nur einer von vielen Gründen, die diese Abiturienten von einem Studium abhalten. Häufig ist es die Unkenntnis über die Spielregeln an einer Hochschule oder fehlende psychosoziale Unterstützung. Was es beispielsweise bedeutet, eine Hausarbeit nach wissenschaftlichen Standards in der erforderlichen Zeit fertigzustellen, kann eine nicht-akademische Familie nicht einschätzen. In den Schulen erhalten die Abiturienten hier keinerlei Vorbildung.

Einer der großen französischen Soziologen, Pierre Bourdieu, begründete diese Unsicherheit im akademischen Umfeld mit dem Habitus, der Summe der Verhaltensmöglichkeiten und Denkschemata einer Person: „Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person versperrt ist. […] Aber innerhalb dieser seiner Grenzen ist er durchaus erfinderisch […].“

Arbeiterkind ist deutschlandweit in lokalen Gruppen organisiert mit inzwischen über 5000 Mentoren. Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Gruppen unter anderem aus Freiburg, Stuttgart, Tübingen, Mannheim und Heidelberg konnten sich jetzt beim Regionaltreffen über ihre Erfahrungen austauschen.

Nach einem ersten Kennenlernen wurde in drei Gruppen zu den Top-Themen angeregt diskutiert und es wurden Ziele formuliert wie ein intensiverer Austausch über bisherige Aktivitäten und stärkere gegenseitige Unterstützung bei gemeinsamen Informationsveranstaltungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten über ihre Erfahrungen bei Vorträgen in Schulen – Studienanfänger und -interessierte können sich an Mentoren ihrer Wahl mit persönlichen Fragen wenden im Sinne eines kollegialen Austauschs von Student zu Student. Dabei sind die Mentoren nicht allein sondern können auf das Wissen des gesamten Netzwerks zurückgreifen.

Die mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse, so ein weiteres Ergebnis des Treffens, sollen in Workshops weitergegeben werden. Ebenso ist ein Studienhandbuch speziell für Studieninteressierte aus nicht-akademischen Familien geplant. Alle Baden-Württemberger Gruppen wollen sich zudem für ein „Ba-Wü-Netzwerk“ einsetzen, um häufig gestellte Fragen (FAQs) von Studienneulingen schnell und effizient beantworten zu können.

Ein Höhepunkt der Tagung war ein Video-Trailer der Baden-Württemberger Mentoren, der Arbeiterkind-Gründerin Katja Urbatsch und Kommunikations-Trainerin Madeleine Sanchino-Martinez zeigte. Das Treffen endete mit einer Tour durch Heidelberg am späten Abend.

Jeder, der bei Arbeiterkind aktiv ist, hat übrigens die Möglichkeit, regionale Workshops zu relevanten Themen wie Studienfinanzierung oder Sozialer Kompetenz (Soft Skills) zu besuchen. Wer Interesse hat, ist herzlich eingeladen zum Stammtisch immer am ersten Mittwoch im Monat im Marstall auf der Empore über der Essensausgabe und am dritten Mittwoch im Monat im Café Botanik (Mensa INF) jeweils um 20 Uhr.

http://arbeiterkind.blogger.de

E-Mail: heidelberg@arbeiterkind.de

Siehe auch Pressemitteilung: Aufstiegsangst? – Eine Studie zur sozialen Ungleichheit beim Hochschulzugang im historischen Zeitverlauf (pdf)

Siehe auch Studie: Aufstiegsangst? – Eine Studie zur sozialen Ungleichheit beim Hochschulzugang im historischen Zeitverlauf (pdf)