Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die restlichen 97 Prozent lagen lange im Dunkeln

Ein unerwartet großer Teil vermeintlich nutzloser DNS im Erbgut des Menschen ist tatsächlich doch für die Regulation der Genaktivität zuständig. Das zeigen Untersuchungen eines internationalen Forscherverbundes des Großprojekts ENCODE (Encyclopedia of DNA Elements), in dem Wissenschaftler – darunter Biologen am Centre for Organismal Studies (COS) der Ruperto Carola – an einer Enzyklopädie aller funktionellen DNS-Elemente im menschlichen Genom arbeiten.

Die Heidelberger Forscher konnten mit Hilfe ihrer Arbeiten am Modellorganismus des Medaka-Fisches exemplarisch bestätigen, dass ein Großteil der untersuchten Elemente im nicht-proteinkodierenden Teil der DNS die Arbeit von Genen spezifisch regulieren kann (Abbildung: COS). Die Forschungsergebnisse der ENCODE-Studie wurden jetzt im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.

Das Erbgut des Menschen enthält rund 20 000 Gene, die den Bauplan für alle Proteine darstellen, die unseren Körper ausmachen: von Muskeln über Leber und Auge bis zu Nervenzellen und deren Botenstoffe. Allerdings handelt es sich bei diesen Genen nur um etwa drei Prozent des menschlichen Genoms. Über die mögliche Funktion des restlichen Teils von immerhin rund 97 Prozent herrschte lange Unklarheit. „Auch das Verständnis, wie Gene reguliert sind, damit sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Organen aktiv sind, war bisher begrenzt. Nur in einzelnen Fällen ist dies genauer und mit großem Aufwand untersucht worden“, erläutert Prof. Dr. Joachim Wittbrodt, der am Centre for Organismal Studies die Abteilung Tierphysiologie und Entwicklungsbiologie leitet.

Das ENCODE-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Erbgut des Menschen genauer zu charakterisieren und dabei Funktionen für den großen, nicht-proteinkodierenden Teil des menschlichen Genoms zu identifizieren und in den Kontext der Genregulation zu setzen. Voraussetzung dafür war die Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden, die in großem Maßstab vorgenommen werden können und es zugleich erlauben, die riesigen Datenmengen zu verarbeiten und analysierbar zu machen. Mit Hilfe biochemischer und bioinformatischer Verfahren wurden im menschlichen Genom unter anderem Kandidaten für solche DNS-Elemente identifiziert, die mitbestimmen, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Organ ein Gen aktiv ist. Für die experimentelle Bestätigung dieser Verstärker, Enhancer genannt, leistete das Team von Prof. Wittbrodt einen wichtigen Beitrag.

Die Heidelberger Biologen haben die vorab herausgefilterten Elemente der DNS, die möglicherweise als Verstärker wirken, so präpariert, dass sie zur Steuerung der Aktivität eines sogenannten Reporters genutzt werden konnten. Diese Reporter sind im Modellorganismus des Medaka-Fisches gut zu identifizieren, da sie grün leuchten. Die Wissenschaftler konnten auf diese Weise belegen, dass ein Großteil der untersuchten DNS-Elemente Genaktivität spezifisch regulieren kann. Dr. Stephanie Schneider vom COS erklärt: „Unser Nachweis hat besonderes Gewicht, da er nicht in einem experimentell isolierten System sondern während der embryonalen Entwicklung des Medaka-Fisches erfolgt ist.“

Finanziert wurde das Großprojekt „Encyclopedia of DNA Elements“ mit seinen 80 Arbeitsgruppen weltweit vom National Human Genome Research Institute in den USA. Die Daten, die im Zuge von ENCODE generiert, gesammelt und ausgewertet wurden, sind öffentlich zugänglich und dienen vor allem als wertvolle Ressource für künftige Forschungsarbeiten.

Kontakt:

Prof. Dr. Joachim Wittbrodt
Dr. Stephanie Schneider
Centre for Organismal Studies Heidelberg
Telefon: 0 62 21/54-56 53 oder 54-56 07
E-Mail: stephanie.schneider@cos.uni-heidelberg.de

Ian Dunham et al.: An integrated encyclopedia of DNA elements in the human genome. Nature 489, 57-74 (6 September 2012), doi: 10.1038/nature11247