Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Dokumentation des Kunsthandels in der NS-Zeit

Eine neue Quellenbasis zum Kunsthandel im Nationalsozialismus und zu verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken steht mit dem Vorhaben „German Sales 1930-1945. Art Works, Art Markets, and Cultural Policy“ zur Verfügung, das jüngst in Heidelberg der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: Über eine Forschungsdatenbank sollen alle verfügbaren Informationen zu den veräußerten Kunstgegenständen recherchierbar sein.

Sämtliche in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Zeit von 1930 bis 1945 erschienenen Auktionskataloge werden dazu erstmals bibliographisch erfasst, digitalisiert und online zugänglich gemacht. In dem internationalen Kooperationsprojekt arbeiten die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, die Universitätsbibliothek Heidelberg und das Getty Research Institute in Los Angeles (USA) zusammen.

Auktionskataloge sind ein wichtiges Instrument für die Provenienzforschung. Oft stellen sie die einzige Quelle für eine Identifikation von veräußerten Kunst- und Kulturgütern dar, die ihren rechtmäßigen Eigentümern während der Zeit des Nationalsozialismus entzogen wurden. Die Forschung kann derartige Kataloge aus der Zeit von 1930 bis 1945 bislang jedoch nur unter erschwerten Bedingungen nutzen. Denn das unverzichtbare Quellenmaterial ist in den einschlägigen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen lediglich unvollständig vorhanden und zumeist unzureichend erschlossen, wie die Projektverantwortlichen bei der Vorstellung des Vorhabens betonten. Mit ihren Arbeiten wollen sie dazu beitragen, diese Lücke zu schließen, und damit die Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte verfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke sowie deren Rückerstattung ermöglichen.

Die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin erstellt hierbei die umfassende Bibliographie sämtlicher zwischen 1930 und 1945 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in den von Deutschland besetzten Gebieten erschienenen Kataloge. „Bislang gab es keine Möglichkeit, dieses Material zentral einzusehen, denn weltweit hat keine Institution diese wichtigen Quellen systematisch gesammelt“, sagte der stellvertretende Direktor der Kunstbibliothek, Dr. Joachim Brand. In der Bibliographie werden nun alle annotierten, also mit handschriftlichen Anmerkungen versehenen Exemplare verzeichnet. Dabei sind insbesondere Angaben zu Preisen, Namen von Einlieferern und Käufern oder von separat geführten Gutachtern sowie kunsthistorische Kommentare oder auch nur einzelne Markierungen von Bedeutung.

In der Universitätsbibliothek stellten die Partner das internationale Kooperationsprojekt „German Sales 1930-1945“ vor (von links): Dr. Joachim Brand, stellvertretender Direktor der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens, Direktor des Getty Research Institute Los Angeles (USA), Prof. Dr. Bernhard Eitel, Rektor der Ruperto Carola, und Dr. Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg.
Foto: Rothe

Auf der Grundlage der bibliographisch ermittelten Bestände wird jeweils ein Katalogexemplar pro Auktion zur Digitalisierung ausgewählt. Aktuell stellen neben der Berliner Kunstbibliothek und der Universitätsbibliothek Heidelberg 25 weitere Institutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Kataloge für diese „Virtuelle Bibliothek“ zur Verfügung. Wie der Direktor der UB, Dr. Veit Probst, weiß, werden schätzungsweise 2600 Exemplare zentral in Heidelberg auf der Basis eines langjährig erprobten Arbeitsablaufs digitalisiert. Bereits jetzt sind 2100 Kataloge mit rund 150 000 Seiten online gestellt. Für die Recherche in den digitalisierten Katalogen stehen eine differenzierte Suchmaske sowie ein Browsing-Einstieg nach dem Sitz des Auktionshauses bereit.

Im Getty Provenance Index – der Forschungsdatenbank des Getty Research Institute – werden die beiden in Berlin und Heidelberg produzierten Komponenten des „German Sales“-Projekts zusammengeführt und ausgebaut, erläuterte der Direktor des Instituts, Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens. Die bibliographischen Beschreibungen sowie die Angaben zu annotierten Exemplaren und ihren Standorten stellt die Kunstbibliothek zur Verfügung. Ergänzt durch Hinweise zu weiteren Katalogexemplaren in amerikanischen Bibliotheken bilden diese Informationen die „Sales Descriptions“-Datenbank innerhalb des Provenance Index. Von der Universitätsbibliothek werden die Volltexte der digitalisierten Kataloge übernommen und bearbeitet. Dabei recherchieren die Editoren soweit wie möglich auch Künstler, Käufernamen und Preise – auch aus anderen Quellen.

Die Projektergebnisse sollen neue Einblicke liefern in die Zusammenhänge der Kunst- und Kulturpolitik der frühen 30er-Jahre und des Nationalsozialismus. Darüber hinaus werden die Arbeiten nach Einschätzung der Verantwortlichen bislang unbekannte Ergebnisse zur Geschichte einzelner Auktionshäuser zu Tage fördern: Neben Informationen zur Gründung und Auflösung, besonders von kleineren, häufig unbekannten Häusern, können so Inhaberwechsel und damit auch Hinweise auf Enteignungen ermittelt werden. Ein weiterer Forschungsaspekt sind die programmatischen Vorworte der Auktionskataloge, die Käuferinteressen und -schichten sowie ästhetische Wertvorstellungen deutlich machen.

Das Projekt „German Sales 1930-1945. Art Works, Art Markets, and Cultural Policy“ wurde im November 2010 gestartet und soll bis Januar 2013 abgeschlossen sein. Die Arbeiten werden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das National Endowment for the Humanities (NEH) und die VolkswagenStiftung gefördert.

www.arthistoricum.net/themen/themenportale/german-sales

Kontakt:

Dr. Sabine Gehrlein
Universitätsbibliothek Heidelberg
Telefon: 0 62 21/54-25 81
E-Mail: presse@ub.uni-heidelberg.de