Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Virtuelles Pergament

Der einzigartige, aus dem Mittelalter stammende Bestand der ehemaligen Klosterbibliothek Lorsch, der heute über 68 Bibliotheken weltweit verstreut ist, wird in einer virtuellen Bibliothek wieder zusammengeführt. In Kooperation mit der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen arbeitet die Universitätsbibliothek Heidelberg seit einem Jahr daran, die 330 erhaltenen Lorscher Handschriften und -fragmente für den Online-Zugriff verfügbar zu machen.

Das Projekt „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ läuft bis Ende 2013 und wird mit rund 450 000 Euro aus Mitteln des Landes Hessen gefördert. Die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, und ihre baden-württembergische Amtskollegin Theresia Bauer stellten das einmalige Vorhaben Ende März in Heidelberg der Öffentlichkeit vor.

„Durch die virtuelle Rekonstruktion des ehemaligen Bestandes des zum UNESCO-Welterbe erhobenen Klosters Lorsch besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, die intellektuellen Grundlagen des Klosters und darüber hinaus das Weltbild der Karolingerzeit tiefgreifend zu erforschen“, sagte Ministerin Kühne-Hörmann bei der Projektpräsentation. „Für dieses herausragende Vorhaben, das für das Land Hessen von großer Bedeutung ist, haben sich hessische und baden-württembergische Experten zu einer beispielgebenden länderübergreifenden Kooperation zusammengefunden, was nicht zuletzt die historische Bedeutung und Lage der Klosterbibliothek Lorsch zwischen Pfalzgrafschaft und Bistum Mainz widerspiegelt.“

Nach den Worten von Kühne-Hörmann ist das Projekt ein weiterer wesentlicher Baustein in dem Bemühen des Landes Hessen, die einstige Bedeutung von Kloster Lorsch wieder besser erkennbar werden zu lassen: „Dazu gehört neben der virtuellen auch eine reale Rekonstruktion.“ Im Zuge des Investitionsprogramms „Nationale Welterbestätten“ werden nach Angaben der Ministerin gegenwärtig 12,1 Millionen Euro in die behutsame Rückführung des Klostergeländes zu seiner ursprünglichen Topographie, die Vermittlung des klösterlichen Lebens, Denkens und der Klostergeschichte sowie die Kenntlichmachung der einstigen Bebauung investiert. Von dieser Summe finanzieren der Bund 4,8 Millionen, das Land Hessen 4,6 Millionen und die Stadt Lorsch 2,7 Millionen Euro.

„Herausragendes Vorhaben“: Die hessische Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann, Prof. Dr. Thomas Rausch, Prorektor für Forschung und Struktur der Ruperto Carola, Dr. Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg, Karl Weber, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, sowie die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bei der Präsentation (von links nach rechts).
Foto: Rothe

Das Projekt „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ umfasst die Digitalisierung der Codices. Darüber hinaus werden in einer projekteigenen Datenbank alle Handschriften durch ausführliche wissenschaftliche Beschreibungen zu ihrer Entstehungs- und Besitzgeschichte, zu ihrem Aussehen und zur Schrift sowie zum Inhalt erschlossen. Dies erlaubt erstmals einen umfangreichen und systematischen Zugriff auf das Lorscher Handschriftenerbe, der völlig neue Möglichkeiten für die Forschung eröffnet. „Noch nie zuvor wurde im Rahmen eines Digitalisierungsprojekts zur virtuellen Rekonstruktion einer mittelalterlichen Bibliothek ein so weit verstreuter Handschriftenbestand zusammengeführt. In seiner internationalen Ausrichtung ist dieses Projekt eine Pionierleistung auf dem Feld der Handschriftendigitalisierung“, sagte Ministerin Bauer und verwies dabei auf die Expertise der Universitätsbibliothek Heidelberg und die umfangreichen Digitalisierungsaktivitäten in Baden-Württemberg, die vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unterstützt werden.

Das zwischen Rhein und Odenwald gelegene Kloster Lorsch wurde im Jahr 764 gegründet. Mit seinem Skriptorium und seiner umfangreichen Bibliothek war Lorsch in der Karolingerzeit ein außergewöhnliches Wissenszentrum. „Lorsch war eines der Zentren, in dem über alle Brüche hinweg das Erbe der Antike durch Abschriften, Kommentare, Weiterbearbeitungen gesichert und zunehmend auch verwandelt wurde. Hier wurde ein ungeheurer Wissenstransfer für die karolingische und mittelalterliche Kultur geleistet“, so Karl Weber, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Noch für die Humanisten im 16. Jahrhundert war Lorsch so interessant, dass die Sammlung zum Kern der Bibliothek des pfälzischen Kurfürsten Ottheinrich wurde – der Bibliotheca Palatina in Heidelberg – und viel zu deren Ruhm beigetragen hat.

Digitalisierung in Rom: Eine Mitarbeiterin aus Heidelberg am Grazer Buchtisch in den Räumen der Biblioteca Apostolica Vaticana.
Foto: UB

Bei dem mittelalterlichen Bibliotheksbestand handelt es sich vorwiegend um Pergamenthandschriften aus dem 8. und 9. Jahrhundert, der Blütezeit des Lorscher Skriptoriums. Darunter befinden sich herausragende Werke wie das „Lorscher Evangeliar“, das wohl bekannteste und kostbarste Werk der einstigen Klosterbibliothek, der „Livius“ aus dem 5. Jahrhundert, der zu den ältesten Büchern des Bestandes zählte, oder der „Lorscher Rotulus“, eine Heiligenlitanei für Ludwig den Deutschen.

„Ein besonderer Erfolg dieses Projekts stellt die vollständige Digitalisierung der Lorscher Handschriften aus der Sammlung der Biblioteca Apostolica Vaticana dar“, erläuterte Dr. Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg. 133 Handschriften der ehemaligen Klosterbibliothek werden heute in Rom aufbewahrt. Im Zuge des Vorhabens erhielt die UB die Erlaubnis, die Digitalisierung der Lorscher Handschriften in der Biblioteca Apostolica Vaticana in Eigenregie vor Ort vorzunehmen.

Inzwischen sind mehr als die Hälfte der insgesamt 330 Handschriften bereits online zu sehen, darunter Codices aus namhaften Bibliotheken wie der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Österreichischen Nationalbibliothek Wien oder der Zentralbibliothek Zürich. Essenziell für das Projekt sind auch die alten karolingischen Bibliothekskataloge des Klosters Lorsch, ohne die eine Rekonstruktion des ehemaligen Bestandes nicht möglich gewesen wäre.

www.bibliotheca-laureshamensis-digital.de