Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Medizin für die Weiten des Weltalls

Klingt nach Science Fiction, ist aber schon Realität: Ein neues, von der europäischen Weltraumbehörde ESA entwickeltes System stellt Astronauten bei Bedarf medizinisches Sofortwissen bereit. Sie brauchen lediglich einen Datenhelm aufzusetzen (Foto: ESA/Space Applications Services NV) und erhalten bei medizinischen Diagnosen oder sogar bei Operationen 3D-Unterstützung. An der Entwicklung beteiligt waren auch Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

Bei der Augmented Reality (AR) – zu Deutsch: erweiterte Realität – wird die reale mit der virtuellen Welt kombiniert, indem das tatsächliche Blickfeld des Trägers präzise um Ebenen computergenerierter Darstellungen ergänzt wird. Das neu entwickelte System mit der Bezeichnung „Computer Assisted Medical Diagnosis and Surgery System“ (CAMDASS) ist ein tragbarer Prototyp.

Datenhelm IlDerzeit kommt CAMDASS einzig bei Ultraschall-Untersuchungen zum Einsatz – es lässt sich im Prinzip aber auch mit anderen Diagnose- und Behandlungsverfahren kombinieren. Die Wahl fiel auf Ultraschall, weil es sich dabei um eine vielseitige, effiziente Diagnosetechnik handelt, die auf der Internationalen Raumstation ISS auch bereits angewandt wird.

Astronauten der Zukunft, die sich weiter in den Weltraum hinaus wagen, müssen in der Lage sein, sich gegenseitig zu behandeln. Je nach Entfernung ist der Funkverkehr mit Experten auf der Erde entweder völlig unmöglich oder aber mit langen Signallaufzeiten verbunden. „Die Crew verfügt zwar über einen gewissen Grad an medizinischem Fachwissen, dennoch können Astronauten nicht sämtliche, potenziell notwendigen medizinischen Verfahren im Vorfeld erlernen und trainieren“, sagt der Biomedizin-Ingenieur Arnaud Runge, der das Projekt auf Seiten der ESA betreut. „Für uns ist es besonders spannend, dass Technologien, die wir für die Krebstherapie entwickelt haben, nun bald im Weltraum eingesetzt werden“, ergänzt Marco Nolden, Medizininformatiker am DKFZ, der an der Entwicklung von CAMDASS beteiligt war.

CAMDASS verwendet einen Stereo-Datenhelm und ein Ultraschallgerät, das über eine Infrarot-Kamera verfolgt wird. Der Patient wird mittels Markern überwacht, die an der zu untersuchenden Körperstelle angebracht sind. Das Ultraschallgerät ist mit CAMDASS verbunden, sodass der Körper des Patienten von der Kamera registriert und das Blickfeld dem jeweiligen Nutzer angepasst werden kann.

Im Datenhelm selbst werden 3D-Hinweise eingeblendet, die den Anwender leiten. Diese werden durch Abgleich der entsprechenden Körperstellen eines virtuellen Menschen und des Patienten generiert. So weiß der Nutzer, wo er den Ultraschallkopf ansetzen und wohin er ihn führen muss. Ultraschall-Referenzbilder geben ihm Hinweise darauf, was er im Ultraschall sehen sollte; und die Spracherkennung sorgt dafür, dass er bei der Untersuchung beide Hände frei hat.

Medizinstudierende und Krankenpflegeschüler, das belgische Rote Kreuz sowie Pflegepersonal an der Brüsseler Universitätsklinik Saint-Pierre haben den Prototypen bereits getestet. Auch ungeübten Anwendern gelangen auf diese Weise relativ schwierige Behandlungen und die richtige Positionierung der Ultraschallsonde ohne weitere Hilfe. „Anhand dieser Erfahrungen wollen wir das System weiter verbessern – dazu gehört beispielsweise ein leichterer Datenhelm und die weitere Miniaturisierung des Prototypen. Sobald das System einsatzreif ist, kann es auch für die satellitengestützte Telemedizin verwendet werden“, so Arnaud Runge.

Die vom ESA-Grundlagenforschungsprogramm finanzierte Entwicklung des Prototypen erfolgte durch ein Konsortium unter Führung der belgischen Space Applications Services NV mit Unterstützung der TU München und des Deutschen Krebsforschungszentrums.