Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Zeichen für die notwendige Utopie des Selbst

Von Oliver Fink (Text und Foto)

Zahlreiche Kunstwerke sind in den vergangenen sechseinhalb Jahrzehnten – zumeist im Zuge von Baumaßnahmen – für die Universität Heidelberg geschaffen und an verschiedenen Orten aufgestellt worden. Das Spektrum reicht von modernen Lichtinstallationen über Bilder bis zu Plastiken – so wie die zweiteilige Skulptur von Michael Witlatschil, die 1996 im Innenhof der Neuen Universität eingeweiht wurde.

Der Name des Kunstwerks „Die Waage des Cusanus“ bezieht sich auf den Universalgelehrten Nikolaus von Kues (1401 bis 1464). Zur besonderen Raumsituation dieses Skulpturen-Ensembles gehört, dass sich unter der Gartenoberfläche das Tiefmagazin der Universitätsbibliothek befindet. Davon wiederum zeugt überirdisch im westlichen Hofbereich ein Quader, der von Witlatschil in die künstlerische Gestaltung einbezogen wurde.

Cusanus IrAuf diesem sockelartigen Gebilde, das den Titel „Teil A – Verlorene Ruhe“ trägt (rechts im Bildvordergrund), befindet sich ein liegendes „I“. Dem gegenüber hat Michael Witlatschil eine Replik mit dem Titel „Teil B – Gewonnene Haltung“ platziert. Dieser Quader ragt aus dem Boden heraus, das „I“ befindet sich auf dessen Spitze. Dazu erklärt der Künstler: „Wir brauchen Zeichen, die wir uns setzen und sagen z. B. ‚Ich will ...‘. Das ‚zertrümmerte‘ Ich mutiert zur Utopie des werdenden Selbst, zum Zeichen der Einlösung und letztendlich der Erlösung. Das stählern glänzende, in extreme Haltung gebrachte ‚I‘ ist hier Zeichen für diese notwendige Utopie des Selbst.“

Michael Witlatschil wurde 1953 in Südfelde in Westfalen geboren. Sein Kunststudium absolvierte er in Karlsruhe bei Emil Schumacher und Horst Egon Kalinowski und in Münster bei Timm Ulrichs. Zu den bedeutendsten Auszeichnungen, die er für seine künstlerische Arbeit erhielt, gehören das Villa Romana-Stipendium in Florenz und das Villa Massimo-Stipendium in Rom. 1987 war er auf der documenta 8 in Kassel vertreten. Heute lebt er als freischaffender Künstler im Rhein-Neckar-Raum.

„Für den Innenhof der Neuen Universität, in ein Umfeld von Lernen und Wissenserweiterung, einen Ort, durch den man hindurchgeht oder in dem man vorübergehend verweilt, schien es mir notwendig, ein der technokratischen Wissensaneignung vorgehaltenes, poetisches Zeichen zu setzen“, so Witlatschil über seine Konzeption der „Waage des Cusanus“.

Die Skulptur findet sich auch in einem großformatigen Bildband, der kürzlich aus Anlass des 625-jährigen Bestehens der Ruperto Carola erschienen ist. Das Buch dokumentiert 87 Werke von 84 Künstlern, die seit 1945 an der Universität realisiert wurden.

www.witlatschil.com