Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Spätphase vor dem Islam war eine dunkle Periode

Archäologen der Universität Heidelberg haben mit Grabungen im Jemen Licht in ein bisher weitgehend unerforschtes Kapitel der Weltgeschichte gebracht. „Unsere Funde in der antiken Ruinenstadt Zafar haben der Zeit unmittelbar vor dem Entstehen des Islam in Altsüdarabien ein Gesicht gegeben“, weiß Prof. Paul Yule vom Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients.

Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung dieser bislang kaum erforschten und als dekadent angesehenen Epoche sei unterschätzt worden. Die Funde – wie die 2008 entdeckte und 1,70 Meter große Königsfigur – belegten unter anderem, wie stark die Wurzeln des Islam mit dem Juden- und Christentum verbunden sind. Yule leitete zwölf Jahre lang die Grabungen 130 Kilometer südöstlich von Sanaa, die 1998 begonnen und nun auch wegen der politischen Lage beendet wurden.

Das altsüdarabische Reich Himyar mit seiner Hauptstadt Zafar war etwa so groß wie Westeuropa ohne Frankreich und bildete das letzte vorislamische Reich im heutigen Jemen. Sein Aufstieg begann um 110 vor Christus; in der Blütephase vom 3. bis zum 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung dominierte Himyar politisch und militärisch ganz Arabien.

In diese Zeit, zu der in Zafar 25 000 Einwohner lebten, fiel auch der Wandel vom Mehrgötterglaube zum Juden- und Christentum. Erst im 7. Jahrhundert gelangte der Islam in die Städte, als Himyar bereits untergegangen war. Die bisherigen Forschungen zu Altsüdarabien beschäftigten sich hauptsächlich mit der Frühzeit ab 900 vor Christus, wie Prof. Yule erklärt: „Die Spätphase vor dem Islam war eine dunkle Periode, aus der man nur wenige Quellen hatte.“

Das änderte sich mit den Grabungen der Heidelberger Forscher. Als Paul Yule 1998 mit den Arbeiten im etwa 2800 Meter hoch gelegenen Zafar begann, ging die Forschung noch davon aus, dass dort wenig zu finden, alles nahezu zerstört worden sei. Tatsächlich erwiesen sich die 120 Hektar Grabungsfläche in den zwölf Jahren aber als wahre Fundgrube: „Das war für mich eine goldene Brücke – ich musste sie nur betreten“, sagt Yule, der außerplanmäßiger Professor an der Philosophischen Fakultät ist.

Zum Abschluss wurde am Ausgrabungsort ein stählernes Schutzdach über einer steinernen Hofstruktur angebracht.
Foto: privat

Unter Schuttschichten fanden die Wissenschaftler rund 400 Maueranlagen, Gräber, Brunnen und Gebäude sowie rund 200 Inschriften und etwa 900 Reliefs. Diese belegen, dass die Hauptstadt Zafar eine Metropole mit großen Prachtbauten war: „Jedes Gebäude hatte Bauschmuck“, berichtet Prof. Yule. Aus den Funden lasse sich auch schließen, dass Himyar über eine gediegene Architektur und Kunstindustrie mit sehr viel Bilderkunst sowie über eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft mit strengen Regeln verfügt habe.

Der spektakulärste Fund war 2008 eine 1,70 Meter große Königsfigur – die einzige erhaltene frühchristliche Skulptur Altsüdarabiens. Zudem tauchten Fundstücke mit jüdischem Hintergrund auf, etwa ein Siegelring mit aramäischer Inschrift. „Die Funde sind Hinweise, dass das Judentum in Altsüdarabien früher vertreten war, als man bisher dachte – wahrscheinlich schon vor dem 4. Jahrhundert vor Christus“, so Paul Yule.

„Außerdem glauben wir, dass Polytheismus, Judentum und Christentum längere Zeit nebeneinander in dieser Region existierten.“ Während der Hochphase des Reichs gab es offenbar eine jüdische Oberschicht und verschiedene christliche Sekten, die sich untereinander bekämpften. Fehden zwischen den Religionsgruppen und Stammesgesellschaften sowie Epidemien und eine Pandemie führten im 6. Jahrhundert schließlich zum Niedergang des himyarischen Reichs.

„Wir haben versucht“, erläutert Prof. Yule, „in Zafar eine wenig bekannte aber wichtige Phase der Weltgeschichte zu erfassen; an dieser zentralen Stelle konnten wir die Strukturen erforschen, aus denen später der Islam hervortrat.“ Schon 1980 hatte das Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients linguistische Untersuchungen in der Region aufgenommen. Die insgesamt elf Grabungskampagnen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Auswärtigen Amt, dem Deutschen Archäologischen Institut und verschiedenen Stiftungen unterstützt.

Wegen der Verschärfung der Sicherheitslage im Jemen mussten die Archäologen das Land jetzt aber als letztes Grabungsteam verlassen. Mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung konnte zum Abschluss ein Stahldach über einer steinernen Hofstruktur errichtet werden, um diese vor den Witterungseinflüssen in der regenreichsten Gegend Arabiens zu schützen.

Das Grabungsprojekt soll mit einer Monographie und einer Ausstellung enden; außerdem will man die Fundstücke bald in einem virtuellen Museum im Internet präsentieren. In der Bilddatenbank der Heidelberger Universitätsbibliothek dokumentieren bereits jetzt 4500 allgemein zugängliche Fotos die Funde. Angehende Vermessungsingenieure der Fachhochschule Mainz kartierten überdies neun Jahre lang das Grabungsgelände und fertigten auf dieser Grundlage virtuelle Computersimulationen an. Dazu gehört auch ein Rundflug über den Grabungsort, wie er im 5. Jahrhundert ausgesehen haben muss.

Kontakt:

Prof. Paul Yule
Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients
E-Mail: paul.yule@t-online.de