Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Herr Professor Roth, brauchen wir wieder mehr Straßenfußballer?

Deutschlands Kicker haben zuletzt mit ungewohntem Ballzauber verzückt. Die Forschungsschwerpunkte von Prof. Klaus Roth (Foto: Gattner), Direktor des Instituts für Sport und Sportwissenschaft der Uni Heidelberg, liegen in den Bereichen des motorischen Lernens und der motorischen Entwicklung sowie des Trainings im Kindes- und Jugendalter. Der Hochschullehrer, der über lange Jahre hinweg erfolgreicher Handballspieler und -trainer war, ist zudem Initiator der Ballschule Heidelberg, in der Kinder zwischen drei und acht Jahren das ABC des (Ball-)Spielens erlernen können, und die im zehnten Jahr ihres Bestehens beim bundesweiten Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ ausgezeichnet wurde. Im Folgenden beantwortet er die Frage: Herr Roth, brauchen wir wieder mehr Straßenfußballer?

„Diese Frage lässt sich mit einem klaren ,Ja, aber‘ beantworten. Zunächst zum ,Ja‘: Zahlreiche sportwissenschaftliche Studien zeigen, dass große Teile unserer Kinderwelt keine Bewegungswelt mehr sind. Nicht wenige Experten sprechen von verödeten Bewegungslandschaften, Sitzfallen oder einer sitzengebliebenen Gesellschaft. Statt mit einem Spannstoß wird der Ball heute eben mit einem Mausklick ins Tor befördert.

Dieser bewegungsarme Lebensstil ,trackt‘ – wie der Zweite Deutsche Kindersportbericht belegt – in aller Regel bis in das hohe Lebensalter hinein. Der Rückgang der Straßenspielkultur und damit der körperlich-sportlichen Aktivitäten bringt deutliche Nachteile mit sich. Die motorischen Basisfähigkeiten, wie Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination, vieler Kinder haben sich in den letzen zwei Dekaden um mehr als zehn Prozent verschlechtert und die Zahl der übergewichtigen Heranwachsenden ist nach den Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys auf 15 Prozent angestiegen.

Die ,Generation@‘ ist offenkundig auf dem Weg zu einer ,Generation f@t‘! Weniger bekannt ist, dass ,Toben auch schlau macht‘. Bewegungsaktivitäten haben nach Studien aus der sich gerade formierenden Bewegungs-Neurowissenschaft einen positiven Einfluss auf die exekutiven Funktionen, also auf lernförderliche Merkmale wie die Konzentrationsfähigkeit, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und die allgemeine Leistungsmotivation.

Eine ganz andere negative Folge des weitgehenden Wegfalls des Spielens auf der Straße ist, dass es in Deutschland immer weniger Spielertypen gibt, die als Regisseure oder Spielmacher bezeichnet werden können. Im Fußball tragen sie meistens die Nummer 10. Solche Spielkünstler müssen großes Talent mitbringen und als Kind vielseitige Spielerfahrungen sammeln, ohne dass sie dauernd korrigiert werden. Wer schon in diesem Alter ständig Anweisungen und Tipps erhält, kann sich nicht zu einem phantasievollen, kreativen Playmaker entwickeln. Studien aus unserer Arbeitsgruppe haben ergeben, dass Instruktionen den Aufmerksamkeitsfokus und damit den Ideenreichtum einengen und dass Kinder die komplexe taktische Grammatik der Sportspiele besser über unangeleitete implizite Erfahrungssammlungen (freies Spielen) lernen als über explizite Aneignungsprozesse.

Und zum ,aber‘ meiner Antwort: Den Straßenfußball in der früheren Form kann und wird es wohl nie mehr geben. Die Leitsätze ,Spielen macht den Meister‘ und ,Probieren geht vor Studieren‘ müssen ersatzweise in den Kindergarten sowie in den Schul- und Vereinssport hineingeholt werden. Genau das gelingt mit dem Modell der Ballschule Heidelberg, die national und international eingeschlagen hat wie ein ,unhaltbarer Schuss‘.“