Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit einem Maus-Klick ins Mittelalter

Es ist vollbracht: Der komplette Heidelberger Teil der berühmten Bibliotheca Palatina ist nun im Internet frei zugänglich. In einem auf drei Jahre angelegten Projekt hat die Universitätsbibliothek alle 848 Codices Palatini germanici mit rund 270000 Seiten und 7000 Miniaturen digitalisiert und für die Online-Nutzung aufbereitet.

Bis ins Gründungsjahr der Ruperto Carola reichen die Ursprünge der ehemals Pfalzgräflichen Bibliothek zurück – eine der wertvollsten Sammlungen deutschsprachiger Handschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges war sie 1622 als Beute in den Vatikan nach Rom geschafft worden: als Geschenk des Heidelberg-Eroberers Herzog Maximilian von Bayern an Papst Gregor XV.

Während sich alle griechischen und lateinischen Handschriften sowie sämtliche Drucke bis heute dort befinden, gelangten die deutschsprachigen Handschriften im 19. Jahrhundert auf Umwegen wieder in die Universitätsbibliothek Heidelberg zurück. Sie bieten ein reichhaltiges Quellenmaterial für eine Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen. Neben Kostbarkeiten wie dem Heidelberger Sachsenspiegel oder dem Codex Manesse finden sich Beispiele höfischer Epik, biblische Texte, medizinische Traktate oder gar Kriegsbücher.

Die jetzt vorgenommene Digitalisierung – finanziert durch die Manfred-Lautenschläger-Stiftung – bringt Wissenschaftlern und interessierten Laien viele Vorteile. Eine Vorschaufunktion ermöglicht die Orientierung innerhalb einer Handschrift und die einzelnen Seiten sind per Zoom-Funktion mehrfach vergrößerbar. Damit wird das Entziffern schwer zu lesender Texte oder die Detailanalyse der Buchmalerei erleichtert.

Alle Miniaturen sind zudem in der Bilddatenbank HeidICON wissenschaftlich erschlossen, so dass eine differenzierte inhaltliche Suche beispielsweise nach Bild-Sujets möglich ist. Unabhängig von Ort und Zeit kann also jedermann Einblick in die Handschriften nehmen, während die Originale unter konservatorisch besten Bedingungen in den klimatisierten Tresoren verbleiben. „Die Folge wird langfristig eine Schonung der kostbaren Stücke sein“, betont Dr. Veit Probst, Direktor der Heidelberger Universitätsbibliothek.

Technisch ausgeführt wurde das Projekt im Digitalisierungszentrum der UB; hier wird an zwei mit hoch auflösenden Digitalkameras ausgestatteten Kameratischen („Grazer Modell“) gearbeitet. Die speziell für diesen Zweck entwickelte Apparatur ermöglicht eine kontaktlose Digitalisierung fragiler Objekte auf buchschonende Weise. Der Codex wird mithilfe eines Laserstrahls exakt positioniert, das aufgeschlagene Blatt dann jeweils durch den milden Sog einer Unterdruckeinrichtung fixiert. Nach der Digitalisierung werden die Fotos mittels professioneller Bildbearbeitungs-Software so optimiert, dass Farb-, Helligkeits-, Kontrast- und Schärfegrad weitestmöglich dem Original entsprechen.

„Unsere aktuellen Internetprotokolle weisen aus, dass die virtuelle Palatina pro Monat zurzeit 8400 direkte Zugriffe aus aller Welt erfährt, bei denen insgesamt durchschnittlich 104 000 Seiten angesehen werden“, belegt der Direktor der Universitätsbibliothek anhand aktueller Zahlen das große Interesse. Die meisten Aufrufe aus dem Ausland stammen aus den USA, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Italien und Polen.

Und die Palatina-Bestände in Rom, könnte man die nicht auch digitalisieren? „Wir versuchen seit geraumer Zeit, mit dem Vatikan darüber ins Gespräch zu kommen; als ersten Schritt zumindest die rund 130 lateinischen Handschriften aus dem Kloster Lorsch in einem gemeinsamen Projekt zu digitalisieren“, erklärt Veit Probst. Momentan freilich sei die Situation dadurch erschwert, dass die Bibliotheca Vaticana wegen Umbauarbeiten schon über zwei Jahre für keinen externen Nutzer mehr zugänglich ist.

http://palatina-digital.uni-hd.de

Siehe auch: „Bibliotheca Palatina digital – Informationen zum Projektabschluss“

Siehe auch: „Maschinelle Bilderkennung am Beispiel Bibliotheca Palatina – Forschungsprojekt am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR)“