Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Vor zehn Jahren noch rieten ihr viele von dem „exotischen“ Fachgebiet ab

Von Katinka Krug (Text und Foto)

Im Frühjahr wurde das neue Bioquant-Gebäude eingeweiht. Zeitgleich hat dort Prof. Ursula Kummer, Jahrgang 1967, ihre Stelle mit dem Profil „Modellierung biologischer Prozesse“ angetreten. Finanziert wird die Professur, die an der Fakultät für Biowissenschaften angesiedelt ist, von der Klaus Tschira Stiftung.

Das Forschungsnetzwerk Bioquant bringt experimentell arbeitende Gruppen aus Biologie und Medizin mit dem Know-how aus Biophysik, Biochemie und dem Wissenschaftlichen Rechnen zusammen. An ihrem neuen Arbeitsplatz schätzt Systembiologin Kummer, dass sie hervorragende Forschungsbedingungen habe – so sind in dem Bioquant-Gebäude theoretische und praktische Forschungen auf dem Gebiet „Quantitative Analyse molekularer und zellulärer Biosysteme“ unter einem Dach vereint.

Das erleichtert den Austausch unter den Kollegen enorm, noch dazu begünstigt durch die architektonischen Strukturen des Gebäudes, und ist in dieser Form in Europa nahezu einmalig. Die im Labortrakt angesiedelten Untersuchungen liefern Daten als Grundlage für die theoretischen, rechnergestützten Experimente, die Ursula Kummer vornimmt. Dabei sind ihre Forschungsgebiete komplexe Netzwerke biologischer Funktionen und die computergestützte Analyse und Simulation von Stoffwechselwegen. Das kann beispielsweise bei der Entwicklung von Medikamenten helfen und damit die Anzahl von Tierversuchen verringern wie auch die Produktionskosten von Arzneimitteln senken.

"Bisher haben sich die Biowissenschaften auf die Qualität eines Vorgangs konzentriert, heute ist man dabei, stärker die Quantität zu erforschen: Was löst Vorgänge zu welchem Zeitpunkt in einer Zelle oder in Zellverbänden aus, wie stark müssen die Einflüsse hierfür sein, wann starten solche Vorgänge? Dabei ist ein wichtiges Element zur Erfassung die Berechnung im computersimulierten Experiment", erläutert Ursula Kummer.

Das bemerkenswerte an Bioquant ist neben der direkten Zusammenarbeit der einzelnen Fachrichtungen auch der ausgeprägte Netzwerkcharakter. In dem Gebäude sind neben Forschern der Universität Heidelberg Wissenschaftler aus dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL), dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und anderer Institutionen vereint. "Das Netzwerk Bioquant ist ein Experiment aus Lebenswissenschaften und Wissenschaftlichem Rechnen", fast die Bioinformatikerin zusammen. Ein gut funktionierendes, möchte man hinzufügen.

Systembiologin Ursula Kummer vor dem Bioquant-Gebäude im Neuenheimer Feld.
Foto: Krug

Ursula Kummer entschloss sich nach dem Abitur für ein Studium der Chemie, Biochemie und Physik in Tübingen und Eugene (USA). "Interesse an den Naturwissenschaften war schon immer bei mir vorhanden, und ich konnte mich nicht für ein Fach entscheiden", erzählt die Systembiologin. Die Promotion über nichtlineare Dynamik von Enzymsystemen führte schon in die Richtung, die dann später ihr Hauptforschungsfeld werden sollte – die Beschäftigung mit Enzymeigenschaften und die Modellierung von enzymatischen Reaktionen.

Damals, im Jahr ihrer Promotion 1996, hatte sie noch vielfach den Rat erhalten, sich doch nicht so etwas Exotischem zu widmen sondern lieber Genetik oder Molekularbiologie zu ihrem Thema zu machen. Heute, zehn Jahre später, hat sich dieses Verhältnis völlig umgekehrt: In der Systembiologie werden die größten Chancen und Erwartungen für die Zukunft gesehen. "In den Biowissenschaften lässt sich vieles durch einen rechnerischen Ansatz erklären", weiß Ursula Kummer.

In Heidelberg arbeitet die gebürtige Tübingerin schon länger. Am European Media Laboratory Heidelberg (EML Research) leitete sie seit 2000 die Forschungsgruppe "Bioinformatics and Computational Biochemistry". Die meisten Mitarbeiter ihrer Forschungsgruppe hat Ursula Kummer mit zu Bioquant genommen, darunter auch verhältnismäßig viele Frauen. "Mittlerweile gibt es doch auch mehr Frauen in den Naturwissenschaften", freut sie sich. Der relativ hohe Frauenanteil in ihrer Forschungsgruppe beruht vielleicht auch darauf, dass es für Ursula Kummer kein Hinderungsgrund ist, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Kindern in ihrem Team in Teilzeit zu beschäftigen.

Als großen Standortvorteil des Bioquant-Gebäudes sieht sie die Lage mitten im Neuenheimer Feld, denn damit habe sie direkten Zugang zum wissenschaftlichen Nachwuchs, dessen Fortkommen ihr sehr am Herzen liege. Das zeigt sich nicht nur in der alltäglichen Lehrtätigkeit sondern auch auf diversen Sommerschulen – so leitete Ursula Kummer als Dozentin Workshops (etwa bei der "Informatika feminale"), welche die Förderung junger Naturwissenschaftlerinnen anstreben.