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Vom „lebendigen“ zum „deutschen“ Geist


Die Universität Heidelberg im Banne der nationalsozialistischen Diktatur – Schwere Beschädigungen in Wissenschaft, Recht und Moral

Das Universitätsarchiv ist das Gedächtnis der Ruperto Carola. In mehreren Folgen präsentiert der Unispiegel ausgewählte Dokumente und Themen aus sieben Jahrhunderten Geschichte der Universität Heidelberg. In dieser Ausgabe geht es um das dunkelste Kapitel – die Zeit während der nationalsozialistischen Diktatur.


Im Jahr der Olympiade gab es 1936 noch ein zweites Ereignis, dem Hitler eine „reichswichtige“ Bedeutung zusprach: das 550-jährige Bestehen der Universität Heidelberg. Ihr erst wenige Jahre zuvor maßgeblich mit amerikanischen Spenden errichtetes neues Hörsaalgebäude – die Neue Universität – zierte seit 1931, dem Jahr seiner Einweihung, über dem Eingangsportal das auf den jüdischen Heidelberger Philologen Friedrich Gundolf (1880-1931) zurückgehende Motto: „Dem lebendigen Geist“. Im Rahmen der Vorbereitungen der Jubiläumsfeierlichkeiten 1936 wurde der ebenso zeitlos wie neutral einem schöpferischen wissenschaftlichen Arbeiten gewidmete Spruch verändert. „Dem deutschen Geist“ erschien nationalsozialistischem Denken passender. Das lasen dann auch Delegationen aus mehr als 30 Nationen, die der Einladung des „Führers der Universität“, Wilhelm Groh (1890-1964), zu vier Festtagen Ende Juni 1936 folgten.

Rückschauend verwundert die internationale Beachtung, die NS-Deutschland in Heidelberg zuteil wurde, weil Zweifel über das damals hierzulande herrschende Verhältnis von Politik und Wissenschaft längst nicht mehr möglich waren. Die Universitäten hatten sich einzufügen, wie der Heidelberger Historiker Eike Wolgast es 1987 in einem Aufsatz formulierte, in „das Phänomen der staatlich vorgegebenen Wahrheit (...) in einem politischen System, das (für sich) beanspruchte, a priori und ohne Einschränkung das Richtige zu wissen und notfalls diesen totalen Anspruch mit Gewalt durchzusetzen“.

Die Auswüchse dieses Ungeistes, der spätestens seit der Pogromnacht des Jahres 1938 sich mit ungehemmtem Staatsterror seinen Weg bahnte, sind bekannt. Es sei hier nur daran erinnert, dass aus politischen Gründen und als Folge des Rassenwahns eine ganze Reihe von Professoren zunächst beurlaubt, dann in weiteren Schritten entrechtet und von der Universität vertrieben wurden. Eine Gedenk­tafel in der Eingangshalle der Alten Universität nennt ihre Namen. In gleicher Weise wurden rassisch oder politisch miss­liebige Assistenten und Angestellte der Universität entfernt und die jüdischen Studierenden aus dem Universitätsleben hinausgedrängt. Soweit bisher durch Recherchen des Universitätsarchivs festgestellt werden konnte, wurde zwischen 1937 und 1943 insgesamt 167 in Heidelberg Promovierten der Doktorgrad wieder entzogen, meist im Zusammenhang mit Ausbürgerungen. Knapp 80 % der Betroffenen waren jüdisch.

Mit dem Verlust von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit einher gingen Beschädigungen der Fakultäten in ihrem Ringen um, aber auch in ihrem Verständnis von Wissenschaft, Recht und Moral. Schließlich beherrschte ein sich zwischen Opportunismus und Ohnmacht einrichtendes Lebensgefühl das Tun und Lassen allzu Vieler. Dies führte zu Verhältnissen, unter denen dann verdeckt zum Beispiel der Heidelberger Mediziner Carl Schneider an Euthanasie-Morden und der Heidelberger Nobelpreisträger des Jahres 1938, Richard Kuhn, im Kriege an der Kampfgas-Entwicklung teilnahmen. Am Ende, im März/April 1945, hinterließ das NS-Regime auch an der Universität Heidelberg ein Bild der Verwüstung. Symbol des Neubeginns war auch, dass das Motto „Dem lebendigen Geist“ in Heidelberg an seinen alten Platz zurückkehrte.

Literaturhinweis: Wolfgang U. Eckart/Volker Sellin/Eike Wolgast (Hg.): Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Heidelberg 2006. 1277 S.
Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 11.03.2009
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