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Können Babys abstrakt denken?


Professor Sabina Pauen  
Foto: Hentschel

Frau Professor Pauen, wir haben da mal eine Frage ...

Vielen Unispiegel-Lesern wird die Antwort auf diese Frage selbstverständlich erscheinen: Natürlich können Babys noch nicht abstrakt denken! Schließlich haben wir selbst als Erwachsene oft große Schwierigkeiten beim Abstrahieren. Wie sollen dann die Babys zu solchen Leistungen in der Lage sein? Die Ergebnisse der modernen Säuglingsforschung dürfen uns daher erstaunen: Schon wenige Wochen alte Kinder beurteilen die Ähnlichkeit zwischen Gegenständen nach abstrakten Kriterien. Ein Beispiel: Wenn wir Babys in einem Versuch ganz unterschiedliche Objekte zeigen, wie etwa einen Fisch, einen Vogel, eine Giraffe, ein Nilpferd und ein Krokodil, dann werden sie diese verschieden aussehenden Objekte in einer Kategorie „Tiere“ zusammenfassen und von Dingen anderer Art (z.B. Fahrzeuge) unterscheiden. Wenn wir ihnen dagegen ähnlich aussehende Objekte zeigen, wie etwa einen Dackel, einen Pudel, einen Schäferhund, einen Dalmatiner und ­einen Golden Retriever, dann werden sie diese Gruppe erst später – ­gegen Ende des ersten Lebensjahres – als „Hunde“ identifizieren und von anderen Tieren (z. B. Katzen) unterscheiden.

Interessanterweise lässt sich die frühe Kategorisierungsleistung auf abstrakter Ebene (Tiere vs. Möbel bzw. Fahrzeuge) nicht damit erklären, dass ein bestimmtes Merkmal oder eine Merkmalskonfiguration der äußeren Erscheinung (z. B. „hat ein Gesicht“) für die Kleinen entscheidend ist. Vielmehr scheint es so zu sein, dass Babys sich zunächst am Verhalten von Objekten und nicht an ihrem Aussehen orientieren, wenn sie Gegenstände in Gruppen zusammenfassen. Und auch hier spielt das Abstraktionsvermögen wieder eine zentrale Rolle. So ist es nicht ein konkretes Bewegungsmuster, das sie wieder erkennen, sondern eine viel grundlegendere Eigenschaft, wie zum Beispiel die Fähigkeit, sich von alleine zu bewegen. Tiere können sich von ­alleine bewegen, andere Gegenstände nicht. Und dieses abstrakte kausale Merkmal nehmen die Babys zum Ausgangspunkt ihrer Beurteilung von Ähnlichkeit von Gegenständen.

Aus diesen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen kann man lernen, dass Abstraktionsvermögen eine Fähigkeit zu sein scheint, die uns in die Wiege gelegt ist. Man muss jedoch genau unterscheiden zwischen Abstraktionen, die wir unbewusst bilden, wie es die ­Babys tun – und solchen, die wir bewusst vollziehen, wie es Wissenschaftler tun. Diese zweite Art der Abstraktion fällt uns viel schwerer und ist daher auch erst wesentlich später zu beobachten. Welche Hirnprozesse der einen und der anderen Art der Abstraktionsbildung zugrunde liegen, müssen künftige Forschungs­arbeiten zeigen.

Sabina Pauen leitet seit dem Jahr 2002 die Abteilung für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie des Psychologischen Instituts der Universität Heidelberg. Zuvor war sie an den Universitäten Gießen, Tübingen und Magdeburg tätig und verbrachte ein Jahr als Forschungsstipendiatin an der Cornell University (Ithaca). Seit mehr als 15 Jahren beschäftigt sie sich mit der kognitiven Entwicklung in der frühen Kindheit. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie 1999 den „Charlotte und Karl Bühler-Preis“ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Eine Zusammenfassung ihrer Baby-Studien finden Sie auch in unserem Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ 3/2008.

 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 11.03.2009
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