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Stierblut und Heldenmut

Eine Tagung in Budapest über Ungarnbilder in Literatur und Geschichte

Im christlichen Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts – zumal in jenen östlichen Gebieten des Habsburgerreiches wie Ungarn – erfasste die Angst vor der Expansionspolitik des Osmanischen Reiches weite Teile des öffentlichen und alltäglichen Lebens sowie der Publizistik in einem Maße, wie es heute vielleicht mit der medialen Allgegenwart der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus vergleichbar ist.

Die zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen, von denen die Belagerungen Wiens zu den prominentesten zählen, sind als "Türkenkriege" in die europäische Geschichte eingegangen. Wenngleich Wien seit der Einnahme Belgrads im Jahre 1521 durch die Truppen des Sultans als geographisch "erste Festung der Christenheit" galt, waren andere Festungen im heutigen Ungarn strategisch mindestens ebenso wichtig.

Untrennbar mit der Belagerung und Einnahme der gut 200 Kilometer südwestlich von Budapest, in der Näher der heutigen Grenze zu Kroatien gelegenen Festung Sigeth / Szigetvár (1566) ist der Name ihres Kommandanten Graf Nikolaus Zrínyi (1508-1566) verbunden, der nicht nur für das historische Selbstverständnis Ungarns eine entscheidende Position einnimmt, sondern mithin auch im modernen ungarischen Bewusstsein eine erstaunliche Popularität genießt. In der Geschichte der europäischen und im Besonderen auch der deutschen Literatur der vergangenen Jahrhunderte fand sowohl der ältere Nikolaus Zrínyi als auch sein gleichnamiger Urenkel und Dichter des ersten ungarischen Nationalepos’ – nicht zufällig über die Belagerung von Sigeth – eine vielfältige Beachtung in Lyrik und Publizistik, im Drama und Roman.

Den weit verzweigten "Vermittlungs- und Rezeptionsprozessen" des historischen Stoffes und den sich daraus ergebenden Ungarnbildern sowie der Bedeutung der beiden Zrínyi für Ungarns historisches Selbstverständnis ist eine internationale und interdisziplinäre Tagung nachgegangen, die kürzlich in Budapest abgehalten und von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung sowie der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert wurde.

Auch in der deutschen Literatur fand Nikolaus Zrínyi wie auch sein gleichnamiger Urenkel und Dichter des ersten ungarischen Nationalepos eine vielfältige Beachtung

Den Veranstaltern und Initiatoren der Tagung, Professor Wilhelm Kühlmann vom Germanistischen Seminar in Heidelberg und Professor Gábor Tüskés von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, ist es in Zusammenarbeit mit der ELTE-Universität Budapest gelungen, namhafte Literaturwissenschaftler und Historiker aus Ungarn, Kroatien und Deutschland zu gewinnen und schon durch diese trilaterale Konstellation die Relevanz des Themas für die Literaturgeschichte bzw. Historiographie dieser drei Nationen zu verdeutlichen.

Wurde in den historisch ausgerichteten Vorträgen die machtpolitische Stellung und Bedeutung Ungarns zwischen habsburgischen Interessen auf der einen und dem Osmanischen Reich auf der anderen Seite am Beispiel der beiden Zrínyi und im Horizont auch genealogischer und heiratspolitischer Aspekte herausgearbeitet, so bildeten produktions- und rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen den Schwerpunkt für die Interpretation der literarischen und publizistischen Quellen.

Das Anliegen der Veranstalter, die interkulturellen Beziehungen, die sich mit den beiden ungarischen Nationalhelden verbinden, in den Mittelpunkt zu stellen, ist allerdings nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht erfolgreich umgesetzt worden. Beeindruckend gerade auch für die deutschen Teilnehmer, darunter zwei Nachwuchswissenschaftler aus Heidelberg, war nicht nur die besonders herzliche Gastfreundschaft, sondern vor allem auch das von Professor Gábor Tüskés organisierte Rahmenprogramm der Tagung, das neben der Aufführung eines frühneuzeitlichen Zrínyi-Dramas als Puppentheater und einem Abendkonzert mit "Musica Zrínyiana" am letzten Tag auch eine Exkursion nach Eger einschloss, wo man dann nach der Besichtigung der dortigen Festungsanlage und Universitätsbibliothek bei Rotwein, dem sogenannten "Eger Stierblut", die tagsüber theoretisch diskutierten Themen mit den neugewonnenen Anschauungen vor Ort verbinden und fortführen konnte.
Bernhard Walcher
Seitenbearbeiter: Email
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