Siegel der Universität Heidelberg
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Anekdotenreich

Zwei Vorträge zur Universitätsgeschichte

Die beiden Jahreszahlen 1933 und 1968 markieren zwei der wohl wichtigsten Daten in der jüngeren deutschen Geschichte wie auch der Universitätsgeschichte. In zwei Vorträgen, Ende 2004 gehalten im Rahmen der Margot-und-Friedrich-Becke-Stiftung, fungierten sie als Dreh- und Angelpunkte für mitunter recht private Rückblicke auf diese Zeit. Jetzt sind sie in einem kleinen Büchlein mit dem Titel "Erinnerungen – fast vom Winde verweht" im Bochumer Verlag Dr. Dieter Winkler erschienen.

Den Einstieg in die Thematik bestreitet Dr. Dorothee Mußgnug, die man vor allem durch ihre Publikationen zur Geschichte der nach 1933 vertriebenen Heidelberger Dozenten kennt. Sie beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Geschichte der Ruperto Carola während der nationalsozialistischen Diktatur. Darin stellt sie neben den allgemeinen Entwicklungen Fakultät für Fakultät, Handlungen und Handelnde vor. Gerade die einzelnen Fächer hatten zum Teil sehr unterschiedlich unter der braunen Herrschaft zu leiden, wie das Beispiel der "Deutschen Beamtengesetzgebung" zeigt, das mit seiner dritten, 1937 erlassenen Stufe auch jene Personen aus der Ruperto Carola zwang, die "jüdisch versippt" waren – also mit einer Jüdin oder einem Juden verheiratet waren. Insgesamt hat die Universität 27,9 Prozent ihres Lehrkörpers verloren. Verluste gab es freilich auch an anderer Stelle – etwa in der Universitätsbibliothek. Hier wurden Bücher "aus dem Leihverkehr" genommen. "Sie sind heute noch daran zu erkennen, dass die Bibliothekszettel einen ‚Separata’-Stempel (erkennbar an der Frakturschrift) bekamen. Nach 1945 strich man ihn einfach durch, falls das Buch nicht mittlerweile ‚vermisst’ wurde". Denn auch in Heidelberg brannten im Mai 1933 die Scheiterhaufen.

Margot Becke-Goehring war die erste Frau in Deutschland, die ins Amt des Rektors gewählt wurde

Die Bücherverbrennung ist auch Ausgangspunkt des Beitrags von Margot Becke-Goehring, den man als ein unverzichtbares Dokument der Zeitzeugenschaft für die deutsche Universitätsgeschichte bezeichnen kann, wirkte sie doch vom ersten Tag der Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg am Wiederaufbau der Universität mit. Als Privatdozentin war sie von dem von Karl Ziegler geleiteten Chemischen Institut in Halle an der Saale gekommen. Nicht ganz freiwillig, wie sie berichtet, wurde sie doch von den amerikanischen Streitkräften aus der kurz darauf sowjetisch besetzten Zone in den Westen gebracht. Margot Becke-Goehring bezeichnet sich in diesem Zusammenhang selbst ironisch als "Niete", als die sie sich von den Amerikanern eingestuft sah – im Sinne der Atomkernforschung. Denn ganz offensichtlich hatte ihr der einmalige Umgang mit 10 ml D2O ("Schweres Wasser" – eine auch politisch wichtige Chemikalie, die große Bedeutung in der frühen Atomforschung beispielweise bei Werner Heisenberg hatte) das Interesse der Streitkräfte eingebracht, die möglichst alle naturwissenschaftliche Intelligenz im Zusammenhang der Atomforschung in den Westen zu bringen versuchte. Gespickt mit solchen Anekdoten erzählt Margot Becke-Goehring auch von den Aufbaujahren der Ruperto Carola, an der sie nicht nur eine wissenschaftliche Karriere machte. 1947 trat sie eine Professur in Heidelberg an, 1961 wurde sie an die Spitze des Dekanats der Naturwissenschaftlichen Fakultät gewählt und 1966 schließlich als erste Frau an einer deutschen Universität ins Amt des Rektors. Doch so unkonventionell die Wahl auch war – so dramatisch verliefen die beiden Amtsjahre, die direkt in die durch den Tod von Benno Ohnesorg ausgelösten Proteste hineinliefen.

Denn auch in Heidelberg begann nach dem 2. Juni 1967 der Konflikt zwischen Studenten und Professoren um die Universität als "Untertanenfabrik", den Becke-Goehring mit durchaus harten und direkten Worten zu charakterisieren wusste. Besonders deutlich merkt man dies bei ihrer Beschreibung der einzelnen Gruppen, in der sie nicht nur Sektierer, ernsthafte Kommunisten oder frustrierte Privatdozenten auflistet, sondern auch die "große Masse der Unpolitischen", der sie die unreflektierte Bewunderung für die "Engagierten" übel nimmt. Mit vielen geht sie heute, in ihrem Essay auch namentlich, scharf ins Gericht.

"Zuviel schlappe Rache am Chef", schreibt die ehemalige Heidelberger Rektorin über die 1968er-Bewegung

Man spürt, dass der Autorin die beiden Jahre im Rektorat alles andere als leicht fielen. Zumal es zu mitunter skurrilen Situationen kam. So beispielsweise, als sie anlässlich einer akademischen Feier im November 1967 – bei der Carl Zuckmayer die Ehrenbürgerwürde der Universität Heidelberg erhielt – die alte Form des feierlichen Talars zu verteidigen hatte, gegen die sie noch 1960 im großen Senat gestimmt hatte. Und auch bei der Besetzung der Universität im Anschluss an die Verabschiedung der Notstandsgesetze griff sie durch und blieb ihrer Meinung treu, die sich auch in ihrer Charakterisierung der Wahl der Grundordnungsversammlung zeigt, die der Universität nach dem Hochschulgesetz des Landes eine neue Form geben sollte, aber auch eine gewisse Lagerbildung mit sich brachte.

"Es war klar, dass die neue Universität vom Geist der Assistenten getragen würde. Im Zweifelsfall stimmten Assistenten, Dozenten und Studenten gegen die Professoren, von denen die ‚Progressiven’ und diejenigen, die sich nicht als ‚alt’ und ‚verkalkt’ beschimpfen lassen wollten, auch in dieses Lager gingen. Der Geist der Assistenten war aber kein guter Geist für die Universität. Dieser enthielt eine zu starke Komponente von Opportunismus, zu viel Therapie für wissenschaftliches Unvermögen, zu viel ‚schlappe Rache am Chef’", schreibt die ehemalige Rektorin der Heidelberger Universität. Noch einmal macht Margot Becke-Goehring damit deutlich, wie sie die Zeit der 1968er sah – und weshalb sie schließlich demonstrativ einen Schlussstrich zog, und die Versammlung, die aus den angesprochenen Wahlen hervorging, verließ. Und mehr noch: Am 1. April 1969 entschloss sie sich, aus dem Beamtenverhältnis der Universität Heidelberg ganz auszusteigen.

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