Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Kirche und Zivilgesellschaft

Ein Symposium in Zusammenarbeit mit dem Heidelberg Center in Chile

Mit der Rolle der Kirche in der Zivilgesellschaft beschäftigte sich Ende des vergangenen Jahres ein interdisziplinäres und internationales Symposium in Santiago de Chile. Die Situation der Evangelischen Kirche in der chilenischen Gesellschaft, ihre Pluralität sowie ihr ökumenischer Kontext wurden der Situation in Deutschland gegenübergestellt, um die je eigenen Herausforderungen benennen zu können.
Fruchtbarer Dialog in Santiago de Chile. Fernando Enns, Hans Michael Heinig, Heike Vierling-Ihrig, Walter Eckel, Uta Andrée, Daniel Frei

Fruchtbarer Dialog in Santiago de Chile. Fernando Enns, Hans Michael Heinig, Heike Vierling-Ihrig, Walter Eckel, Uta Andrée, Daniel Frei. Foto : Enns


Vier Assistentinnen und Assistenten der Heidelberger Universität – Dr. des. Uta Andrée (Theologische Fakultät), Dr. Fernando Enns (Ökumenisches Institut), Dr. Hans Michael Heinig (Juristisches Seminar) sowie Dr. Heike Vierling-Ihrig (Praktisch-Theologisches Seminar), leider ohne die erkrankte Professorin Dr. Ingrid Schoberth – reisten nach Chile, um mit den dortigen Gesprächspartnern aus fünf verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und unterschiedlichem religiösen Background zusammenzuarbeiten. Vorbereitet wurde das Symposium vom Heidelberg Center Lateinamerika und besonders von Daniel Frei (Facultad Evangélica de Teología). Fernando Enns organisierte die Kooperation im Auftrag der Evangelisch-Theologischen Fakultät Heidelberg.

Vier verschiedene Aspekte explizierten das Tagungsthema „Kirche und Zivilgesellschaft“. Zunächst wurde nach der „sozialen Verantwortung und Beteiligung der Kirchen“ gefragt. Enns betonte die politische Verantwortung wie auch die öffentliche Funktion der Kirche, denn Kirche, die sich aus der Gesellschaft zurückzieht, werde ansonsten zur Sekte. Im chilenischen Kontext stellt sich dieses Problem verstärkt, da die evangelischen Christen bislang eine Minderheit bilden: Nur 16 % der Chilenen sind evangelisch, sie kommen vor allem aus den unteren sozialen Schichten. Der Pfingstler Dr. Samuel Palma rief die Kirche daher zu mehr sozialem Engagement auf, dies müsse mit dem Dialog zwischen Armut und Bildung beginnen.

Im Hinblick auf die „Interaktion zwischen Kirche und Staat“ stimmten alle Referenten darin überein, dass stets eine Kooperation angestrebt werden müsse, die auf gegenseitigem Respekt beruht. Während Hans Michael Heinig das deutsche Staatskirchenrecht und das europäische Religionsrecht ausführte, stellten die Anwälte Juan Alberto Rabah und Jorge del Picó das Verhältnis in Chile im historischen Kontext vor: Der Staat Chile, der gleichzeitig mit der römisch-katholischen Kirche etabliert worden war, verfolgte anfangs evangelische Christen. Die kontinuierliche Einwanderung evangelischer Ausländer in die Hafenstadt Valparaiso führte jedoch allmählich zu einer gewissen Duldung bzw. Toleranz. 1925 kam es zur Trennung zwischen Staat und katholischer Kirche und zur Einführung der Religionsfreiheit. Doch erst das chilenische Kultusgesetz, das 1999 eingeführt wurde, regelt das Verhältnis von Kirche und Staat. Damit erhalten die chilenischen Evangelischen erstmals ihre volle Anerkennung, alle Religionen haben die gleichen Rechte.

Bildungsverantwortung

Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Gesetzes spielt die „Bildungs- und Erziehungsverantwortung der Kirchen“ – das dritte Oberthema der Tagung. Während in Deutschland die Kirche durch  Säkularisierung und Globali-sierung herausgefordert ist und sich der evangelische Religionsunterricht auf eine „Spurensuche des Heiligen“ (Schoberth) begeben soll, kann in Chile aufgrund des Kultusgesetzes erstmals in allen staatlichen Schulen überhaupt evangelischer Religionsunterricht angeboten werden. Wünschen Eltern ein solches Angebot, muss es von Schulen erteilt werden. In beiden Ländern wird derzeit die Ganztagsschule eingeführt – auch eine Möglichkeit für die Kirchen, ihre Kinder- und Jugendarbeit in die Schule zu verlagern.

Bei der Frage nach der pastoralen und diakonischen Verantwortung der Kirchen wurden die Unterschiede beider Länder am stärksten deutlich. Heike Vierling-Ihrig diskutierte unter dem Stichwort „Vom Amt zur personalen Kompetenz“ verschiedene Leitbilder für Pfarrerinnen und Pfarrer, die zur Erarbeitung eines persönlichen Pfarrbildes wichtig sind. Frauenordination gibt es in beiden Ländern. Während Dr. Gloria Rojas, Bischöfin der lutherischen Kirche Chiles, auf die bestehende Benachteiligung der Frau verwies, zeigte Vierling-Ihrig auf, dass sich in Deutschland der Pfarrberuf als reiner Frauenberuf etablieren könnte. Die Diakonie wird in Deutschland zunehmend institutionalisiert. Doch die Gemeindediakonie, also spontane Hilfe und ehrenamtliches Engagement, ist wieder stärker im Kommen. Genau hierin besteht die diakonische Arbeit der chilenischen Pfingstkirche, führte Dr. Juan Sepúlveda aus (90 % der chilenischen Evangelischen sind Pfingstler) – der Glaube allein motiviere zum helfenden Handeln, staatliche Unterstützung gebe es keine. Uta Andrée sprach mit dem Thema „Die Würde des Altwerdens“ schließlich eine Herausforderung der Diakonie an, die die Gesellschaft in Deutschland wie in Chile zukünftig noch stärker tangieren wird.

Erstmalig kamen in Chile Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinschaft zu einem Symposium dieser Art zusammen. Entsprechend groß war die Resonanz. Über 150 Teilnehmer besuchten die viertägige Tagung – mehr konnte das Tagungshaus, in unmittelbarer Nachbarschaft der berühmten Klosterkirche „Los Domínicos“ gelegen, auch nicht mehr fassen. Der Austausch zwischen der Facultad Evangélica de Teología und der Universität Heidelberg in Kooperation mit dem Heidelberg Center sollte daher fortgeführt werden. Dr. Walter Eckel vom Heidelberg Center Lateinamerika wünscht sich beispielsweise eine Summer School für Studierende aus Brasilien, Argentinien und Chile.

Seitenbearbeiter Email
zum Seitenanfang