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Wie die Natur Chemie betreibt

Metalle wie Eisen, Nickel, Kupfer oder Zink werden gewöhnlich nicht mit der lebenden Natur in Verbindung gebracht. Tatsächlich haben solche Metalle in biologischen Systemen jedoch wesentliche Funktionen. Der menschliche Körper enthält beispielsweise 4,5 Gramm Eisen – so viel wiegt etwa ein grosser Nagel. Der größte Teil dieses Metalls ist Bestandteil des roten Blutfarbstoffs, des Hämoglobins. Es hat die Aufgabe, den lebensnotwendigen Sauerstoff in der Lunge aufzunehmen und an seinen Bestimmungsort in den Zellen zu transportieren. Für diese Funktion ist ein einzelnes, in die große Proteinhülle jedes Hämoglobinmoleküls eingebettetes Eisenatom essentiell.

Auch die Hälfte aller Enzyme sind metallhaltige Proteine. Enzyme wirken als biochemische Werkzeuge, mit denen Bindungen zwischen Atomen geknüpft oder getrennt werden. Metalloenzyme enthalten in ihrem so genannten aktiven Zentrum Metallatome, die von der umgebenden Proteinhülle derart positioniert werden, dass sie in einzigartig effizienter und selektiver Weise chemische Reaktionen von Substratmolekülen vermitteln. Von derartiger Effizienz und Selektivität sind synthetische Katalysatoren, die in der chemischen Technik eingesetzt werden, meist noch weit entfernt. Wenn es gelänge, die Wirkweise der natürlichen Metalloenzyme detailliert aufzuklären, dann – so hoffen die Chemiker – könnten im Labor auch völlig neue Katalysatoren für technische Reaktionen entwickelt werden.

Ein Weg ist, Modellverbindungen für die komplexen natürlichen Enzymsysteme im Labor künstlich herzustellen und zu untersuchen. Dazu versuchen die Chemiker, wesentliche strukturelle Merkmale der aktiven Enzymzentren in kleinen, synthetischen Molekülen nachzubauen. Diese Modellverbindungen sollen nicht nur die Funktionsprinzipien der natürlichen Vorbilder verstehen lassen, sondern im besten Fall auch deren besondere Reaktivität imitieren.

Besonders knifflig wird dieses Unterfangen, wenn die Metalloenzym-Vorbilder mehrere, eng benachbarte Metallatome enthalten, die bei der Katalyse zusammenwirken. In diesem Fall müssen im Labor Gerüstmoleküle synthetisiert werden, die – analog zur Proteinhülle des Enzyms – fähig sind, mehrere Metallatome in vorbestimmter räumlicher Anordnung zu binden. In unseren Modellstudien haben wir uns auf Metalloenzyme konzentriert, die genau zwei benachbarte Metallatome für ihre biologische Funktion nutzen. Hierzu wurde ein Sortiment von Gerüstmolekülen entwickelt, die zwei separate Bindungstaschen für die Aufnahme von Metallatomen aufweisen. Über die Variation der Gerüststruktur lassen sich dann die molekularen Eigenschaften der bi-metallischen Anordnung – beispielsweise der Metall-Metall-Abstand – gezielt einstellen, so dass kleine Substratmoleküle von den geeignet positionierten Metallatomen gemeinsam in die Zange genommen werden können.

Ein prominentes Beispiel für ein Enzym mit zwei Metallzentren ist die "Urease", die zwei Nickelatome in ihrem aktiven Zentrum verwendet. Das Enzym kommt in Pflanzen sowie in vielen Algen, Pilzen und Bakterien vor. Es katalysiert die Reaktion von Harnstoff mit Wasser, das heißt, die hydrolytische Zersetzung des Harnstoffs zu Kohlendioxid und Ammoniak. Diese Reaktion ist außerordentlich wichtig: Die Bildung von verwertbarem Ammoniak ermöglicht es den Pflanzen und Mikroorganismen, Harnstoff als Nährstoffquelle zu nutzen.

In ganz anderer Weise macht sich das krankmachende Bakterium Helicobacter pylori – es ist für die Entstehung von Magengeschwüren verantwortlich – die Urease-Reaktion zunutze: Erst die massenhafte Freisetzung des basischen Ammoniaks erlaubt es dem Bakterium, die Magensäure abzupuffern und unser unwirtliches Magenmilieu zu kolonisieren. Die Frage, wie der Harnstoff im aktiven Zentrum des Urease-Enzyms eingefangen und durch das Zusammenwirken der zwei Nickelatome umgewandelt wird, ist demnach nicht "nur" von grundsätzlichem Interesse. Es könnte auch hilfreich sein, um Hemmstoffe für die Urease zu entwickeln.

Abb. 1
Im Labor versuchen die Chemiker, Modellverbindungen für komplexe Enzymsysteme nach dem Vorbild der Natur nachzubauen. Dabei werden zwei Metallatome (M) so angeordnet, dass sie kleine Substratmoleküle "in die Zange" nehmen können. Eine natürliche Enzymreaktion, bei der zwei benachbarte Kupferatome bedeutend sind, sorgt neispielsweise für die typische Bräunungsreaktion bei einem aufgeschnittenen Apfel.
Abb. 2

Mit Hilfe der neuen Gerüstmoleküle ließ sich nun erstmals eine gleichzeitige, verbrückende Anbindung des Harnstoffs an zwei benachbarte Nickelatome nachweisen – dies wird derzeit auch als wahrscheinliche Bindungsweise des Substrats im natürlichen Vorbild postuliert. Des weiteren konnte am synthetischen System ein neuer Abbauweg des in solcher Weise von den zwei Nickelatomen in den Griff genommenen Harnstoffs verfolgt werden. Es scheint also sogar möglich, künftig eine Urease-analoge Reaktivität durch kleine Modellverbindungen nachzuahmen.

Chemische Reaktionen sind häufig mit der Übertragung von Elektronen zwischen zwei Reaktionspartnern verknüpft: Man spricht dabei von Oxidations- beziehungsweise Reduktionsreaktionen. Metalle wie Kupfer – das nach Eisen und Zink dritthäufigste Übergangsmetall-Element im menschlichen Körper – können sehr leicht einzelne Elektronen aufnehmen und abgeben. Sie sind daher bei zahlreichen Oxidations- und Reduktionsreaktionen, unter anderem beim biochemischen Sauerstoffmetabolismus, als Vermittler der Elektronenübertragung von zentraler Bedeutung.

Wenn bei einer katalysierten chemischen Reaktion gleich mehrere Elektronen übertragen werden müssen, nutzt die Natur häufig das vereinte Wirken mehrerer, benachbarter Kupferatome. Ein Beispiel ist das Enzym "Catechol-Oxidase". Es ist in Pflanzen weit verbreitet und spielt eine wichtige Rolle im pflanzlichen Abwehrsystem: Werden Pflanzenzellen beschädigt, gelangt das Enzym mit seinen natürlichen, zuvor im Zellinnern gespeicherten Substraten und mit Luftsauerstoff in Kontakt. Es kommt zur enzymvermittelten Oxidation des Substrats durch den Sauerstoff. Dies führt schließlich zur Melaninbildung und zur Bräunungsreaktion, die für gealterte Früchte typisch ist.

Wir konnten im Labor zweikernige Kupferverbindungen herstellen, die eine Catecholase-ähnliche Reaktivität aufweisen. Nach geeigneter Feinabstimmung der verwendeten Gerüstmoleküle wurde mit diesen Verbindungen bei geeigneten Testsubstraten eine sehr hohe katalytische Aktivität erreicht. Durch kleine Variationen der Gerüstmoleküle lassen sich mit Hilfe solcher Modellsysteme zudem die Zusammenhänge zwischen der katalytischen Aktivität und dem molekularen Aufbau solch zweikerniger Kupfereinheiten studieren – zum Beispiel dem Abstand der zwei Metallatome voneinander.

Im Gefolge des Studiums von synthetischen Modellverbindungen, die zunächst dazu beitragen, die Funktionsweise der natürlichen Metalloproteine auf molekularer Basis zu verstehen, kann letztlich auch eine neue Chemie entdeckt werden, die in der Natur kein Vorbild hat. Besonders faszinierend ist es, der grundsätzlichen Frage nachzugehen, wie zwei Metallatome in einer umgebenden Hülle angeordnet werden müssen, damit "die Chemie zwischen ihnen stimmt".

Autor:
Franc Meyer, ehemals Heisenberg-Stipendiat am Anorganisch-Chemischen Institut der Universität Heidelberg, wurde kürzlich mit dem Freudenberg-Preis 2001 der Heidelberger Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Seit dem Wintersemester ist er Professor für Anorganische Chemie an der Universität Göttingen.

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