Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

 wenn deutsche Universitäten Schlagzeilen in der Presse machen, dann vor allem im Zusammenhang mit Debatten über Hochschulreformen, zuweilen auch anlässlich der Verleihung renommierter Forschungspreise oder der Ankündigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Schlagzeilen, die den Beginn des akademischen Jahres 2001/2002 begleitet haben, waren ganz anderer Art: "Muslime in deutschen Hochschulen: Aufruhr im Elfenbeinturm", "Terrorismus-Fahnder in Universitäten", "Gesucht: Studenten, arabischer Herkunft". Die traurigen und unfassbaren Ereignisse vom 11. September 2001 haben Politiker, Journalisten und Unternehmer veranlasst, in ihren Kommentaren eins zu unterstreichen: Unsere Welt ist nach dem 11. September nicht mehr dieselbe. 

Auch der Alltag der deutschen Universitäten ist nicht mehr derselbe. Rasterfahndungen wurden vorgenommen, und auch in Zukunft werden die Universitäten mit den daraus resultierenden ethischen, datenschutzrechtlichen und administrativen Problemen konfrontiert sein. Studenten mit arabisch oder islamisch klingenden Namen haben immer größere, fast unüberwindbare Schwierigkeiten, einen Job oder eine Wohnung zu finden. Die Angst vor möglichen "Schläfern" paart sich mit der berechtigten Besorgnis vor einer "Hexenjagd" und einer übereifrigen Beschneidung von Rechten.

Die Universitäten – auch unsere Universität – müssen als administrative Einheiten auf eine ungewöhnliche Situation reagieren. Die Wahrnehmung der Pflicht, zusammen mit den Behörden kriminelle Aktivitäten zu verhindern, ohne die Verantwortung gegenüber den ausländischen Studierenden und ihre Rolle als Orte des freien Ideenaustausches zu vernachlässigen, ist eine bisher nicht in diesem Ausmaß und nicht mit dieser Intensität gestellte Herausforderung. Erfreulicherweise gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die deutschen Universitäten dieser Aufgabe nicht gewachsen sind. Dennoch dürfen die damit verbundenen Probleme nicht verkannt werden.

Auch in ihrer primären Funktion als Ort der Forschung ist die Universität von den terroristischen Anschlägen, ihrem Hintergrund und ihren Konsequenzen herausgefordert. Themen wie die historischen und kulturellen Wurzeln, die wirtschaftlichen Folgen und die psychologischen Auswirkungen des Terrorismus, die Gefahren biologischer Waffen und hinterlistig verbreiteter Krankheiten, die Probleme des Datenschutzes, Konfliktentstehung und -bewältigung, Sinn und Unsinn von Rasterfahndungen – das sind aktuelle Themen, zu denen die sachkundige Meinung und die wissenschaftliche Kompetenz von Historikern, Naturwissenschaftlern, Politologen, Islamwissenschaftlern, Verhaltensforschern, Religionswissenschaftlern, Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern und Soziologen gefragt sind.

Allzu oft ist die deutsche Universität als "Elfenbeinturm" stigmatisiert worden. Ob sie diese Bezeichnung verdient oder nicht, wird auch davon abhängen, wie sie mit den Herausforderungen des 11. September fertig wird. Die Universität Heidelberg hat bereits die Initiative ergriffen, diesbezüglich eine öffentliche Debatte zu führen. Eine Podiumsdiskussion mit Vertretern verschiedener Disziplinen, der Studierenden, des Akademischen Auslandsamtes, des Ausländerrates der Stadt Heidelberg und der Polizei im November war ein erster Schritt.

Ihr
Angelos Chaniotis,
Prorektor
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